Herbert-Riehl-Heyse-Preis 2021:Gelassen bleiben

Lesezeit: 3 min

Andreas Wenderoth (Mitte) ging während der Pandemie nicht viel unter Menschen. Den Herbert Riehl-Heyse-Preis nahm er aber von Gabriele Riehl und SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach entgegen. (Foto: Robert Haas/Robert Haas)

Bei der Verleihung des Herbert-Riehl-Heyse-Preises an Andreas Wenderoth geht es um die Heiterkeit unter schwierigen Bedingungen - und um die Kunst des genauen Hinschauens.

Von Christian Mayer

Andreas Wenderoth ist ein eher unaufgeregter Mensch, der nicht so gerne in der ersten Reihe steht, doch an diesem Abend gehört die Bühne ihm. Denn der Berliner Journalist hat einen preiswürdigen Text geschrieben - das Porträt eines hochgebildeten, klugen, witzigen und fantasiebegabten Menschen. "Dr. Gross, der Übermensch. Wenn nichts mehr hilft, hilft nur die Lithiumtablette", hieß die Geschichte im Reportagen-Magazin. Sie handelt von einem 76-jährigen Philosophen und seiner Krankheit, einer schizoaffektiven Psychose, die unter anderem dazu führt, dass er sich zuweilen als Reinkarnation Beethovens oder Stalins sieht, mit allen für seine Umwelt strapaziösen Nebenwirkungen.

Wie dieser Peter Gross mit seinen multiplen Persönlichkeiten lebt, wie er mit Hilfe einer treu sorgenden Pflegerin seinen Alltag bewältigt und zwischen "völliger Glückseligkeit" und Zuständen des Wahnsinns schwankt: Das alles erzählt Andreas Wenderoth auf vorbildliche Weise. Indem er seinem Protagonisten die Würde lässt - und seinen Lesern den Raum, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Allerbeste Reportertugenden also.

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Nun steht der Autor im 26. Stock des SZ-Hochhauses in München. Es sei eine große Ehre, den Herbert-Riehl-Heyse-Preis zu erhalten, sagt Wenderoth, der sich selbst als introvertierten Hypochonder bezeichnet. Aber für diese besondere Auszeichnung sei er trotz Pandemie gerne aus Berlin nach München gereist. "Dies ist mein erster Versuch seit langer Zeit, mich unter Menschen zu bewegen", sagt der Preisträger. Über sich selbst sagt Wenderoth zudem, dass er das Schreiben brauche, um sich lebendig zu fühlen - lebendig wird an diesem Abend aber auch Dr. Gross, der Protagonist seiner Geschichte, bei dem sich der Autor ausdrücklich bedankt. Für so eine langwierige Recherche brauche man ja vor allem Vertrauen. Und genügend Zeit, sich einem so komplexen Menschen anzunähern.

Wenderoth nutzt seine kurze Dankesrede auch für einen Appell: nämlich an die Journalistinnen und Journalisten, auch mal innezuhalten, bevor man urteile, länger nachzudenken und sich selbst in Frage zu stellen. Als jüngerer Reporter habe er selbst manchmal witziger geschrieben, immer auf der Jagd nach Pointe und Zuspitzung, "da war ich sicher oft überheblich". Ein sympathischer Auftritt des Preisträgers, der Herbert Riehl-Heyse sein journalistisches Vorbild nennt.

Der Chefredakteur erzählt, wie ihn Riehl-Heyse als angehenden Reporter einmal schonungslos, aber freundlich zerpflückte

Dieser Abend in der SZ-Redaktion ist auch eine gute Gelegenheit, an den Menschen Herbert Riehl-Heyse zu erinnern. Und an den besonderen Geist, der diese Zeitung geprägt hat: Die heitere Gelassenheit und die Kunst der genauen Beobachtung, die Fairness und der Humor, die gewisse Verspieltheit - all das blitzt ja oft auf in den Texten des 2003 verstorbenen Journalisten. SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach erzählt, wie er als junger Volontär einmal auf recht schonungslose Weise in einem Reportage-Seminar von Riehl-Heyse auseinandergenommen wurde: Die Geschichte über einen Straßenmaler sei ja "für einen Anfänger gar nicht so schlecht", lautete das Urteil, nur müsse sich der angehende Reporter bei der Einleitung mehr Mühe geben, beim Schluss origineller werden und den Mittelteil völlig neu komponieren. Riehl-Heyse habe die Fähigkeit gehabt, "klare Urteile zu fällen, ohne die Menschen zu diskreditieren", sagt Krach.

Herbert Riehl-Heyse prägte den Ton und Stil der SZ, bis er 2003 verstarb. (Foto: Regina Schmeken/Sueddeutsche Zeitung Photo)

Wie man sich Humor und Gelassenheit in schwierigen Zeiten bewahrt, darüber spricht die Festrednerin Tamara Dietl, Bestsellerautorin und Krisenberaterin für Unternehmen. Ihr Thema ist das gewaltige Tempo, die radikale Digitalisierung aller Lebensbereiche und die totale Vernetzung. Dietl kann anschaulich erzählen, wie sie als junge Fernsehjournalistin auf Grund der technischen Innovation erst mal eine neue Handtasche kaufen musste: Die alte war viel zu klein für das riesige neue Mobiltelefon.

Tempi passati. Längst sind die vielgepriesenen Faxgeräte und Anrufbeantworter Industrieschrott; stattdessen gibt es das iPhone, den allmächtigen Mini-Computer, der die "Infrastruktur unserer Existenz" darstelle. Viele Menschen erlebten die Veränderung allerdings als "psychosozialen Stress", der zu einem Tunnelblick führen könne, zur Realitätsverweigerung, auch zur Depression. Glücklicherweise ist der Vortrag aber weniger ein Krankheitsbefund als vielmehr eine Ermunterung: zu mehr Selbstwirksamkeit, Resilienz und besseren sozialen Beziehungen. "Humor kann auch sehr helfen", sagt Tamara Dietl. Womit sie schon wieder den Bogen geschlagen hat zum Namensgeber des Abends.

"Humor kann auch sehr helfen", sagt Festrednerin Tamara Dietl. (Foto: Robert Haas/Robert Haas)

Bei Häppchen und Wein tauschen die Gäste dann noch viele Anekdoten aus. Der frühere Bundesfinanzminister und CSU-Chef Theo Waigel und der Kabarettist Bruno Jonas, die beide eine freundschaftliche Beziehung zu Riehl-Heyse pflegten, kommen im Gespräch rasch auch auf die Gegenwart zu sprechen - die Folgen der Bundestagswahl, das politische Schicksal von Armin Laschet, das Vermächtnis von Angela Merkel und die Jugend, die am liebsten grün und gelb wählt, darüber lässt sich herrlich streiten. Besser, als noch eine weitere Talkshow anzuschauen, ist es eben doch, selbst miteinander zu sprechen.

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