Das Knebelgesetz für die Medien in Ungarn hält in bedeutenden Teilen geltendem Recht nicht stand. Das Verfassungsgericht in Budapest hat wichtige Bestimmungen außer Kraft gesetzt und verfügt, sie bis Mai neu zu fassen. Ein Schlag für die Regierung des Autokraten Viktor Orbán und der fügsamen Zweidrittelmehrheit seines Bundes der Jungdemokraten (Fidesz) im Parlament?
Die deutschsprachige Internet-Zeitung Pester Lloyd nennt das Ganze eine "letzte Zuckung des Rechtsstaates". Ob und wie sich dieser Entscheid überhaupt praktisch auswirken wird, ist unklar. Die Atmosphäre ist so vergiftet, dass sich viele Ungarn vorstellen können, es handele sich um ein abgekartetes Gaunerstück, um dem Rest der Welt eine Posse in Sachen Rechtsstaat vorzuführen.
Die Verfassungshüter haben in ihrem sauberen Spruch inhaltliche Eingriffe in private Printmedien sowie die Liquidierung des Quellenschutzes von Journalisten für verfassungswidrig erklärt. Auch die Struktur der neuen Medienbehörden wurde bemängelt. Das Gericht korrigiert also Dinge, mit denen die überwältigende Regierungsmehrheit die Pressefreiheit aushebeln wollte. Die gleichgeschalteten öffentlich-rechtlichen Medien Ungarns sind nicht betroffen, Klagen in deren Sache liegen noch. Daneben hat das Höchstgericht übrigens auch das umkämpfte Kirchengesetz und Teile eines Befugnisgesetzes der Ermittlungsbehörden kassiert.
Zigtausende haben im Herbst gegen das Mediengesetz protestiert. Das Urteil wird den noch unterentwickelten Teil der magyarischen Zivilgesellschaft, dem es um wirklich demokratische Strukturen geht, bestärken, vielleicht sogar beflügeln. Ob es im rechtlichen Sinne jedoch Wirkung entfaltet, steht dahin. Denn die Tage des Gerichts sind gezählt.
Am 1. Januar tritt eine neue, mit verquasten Nationalismen und Klerikalismen geblähte neue Verfassung in Kraft. Sie verlagert allzu viel aus dem Rechtsraum in Ermessen und Gutdünken von Parlamentsmehrheit und Regierung. Dem Verfassungsgericht werden Kompetenzen genommen, und es wird umgekrempelt. Bewährte Richter werden mit neuen Pensionsregeln ausrangiert, es wird vergrößert und mit Parteigängern der Orbán-Truppen aufgefüllt.
Es gilt als sicher, dass das jetzige Urteil dann ausgehebelt werden wird. Nicht anzunehmen ist, dass Regierung und Mehrheit den Urteilsspruch einfach ignorieren. Sie müssen das Gesetz nur nahezu unverändert neu durchs Parlament bringen - und eine neue Klage dürfte dann an den neuen Verhältnissen scheitern. Nicht einmal ein sauberes Urteil kann heute also auf der machtpolitisch präparierten, rechtsstaatlich schiefen Ebene Ungarns festen Halt bieten.
Überdies beängstigt bereits der Verdacht, dass Orbán-Vertraute im Gericht einfach nur eine Schau veranstaltet hätten. Vor kurzem erst hat sich eine Konferenz in Washington unter Teilhabe der US-Außenministerin Hillary Clinton kritisch mit Ungarns Mediengesetzeslage befasst. Gerüchte wollen nun wissen, Premier Orbán habe als Antwort das Gericht "angewiesen", Rechtsstaatlichkeit vorzuspielen, zumal wenn der Akt ohne reale Folgen bleiben würde.
Orbáns Fidesz hat, so sagen alle nennenswerten Umfragen, von den zweieinhalb Millionen Bürgern, die sie vor anderthalb Jahren gewählt haben, mindestens eine Million wieder verloren. Den demokratisch Gesinnten im Lande macht das nicht nur Mut. Denn der größere Teil der Abtrünnigen wendet sich nach rechts der offen faschistischen Rassisten-Partei Jobbik zu. Sie ist heute die markanteste Oppositionskraft im Parlament, vor den zerstrittenen Sozialisten und den kleinlauten neuen Grünen.
Orbáns Konzept geht also nicht auf - er wollte die Rechten in Schach halten, indem er selbst deren Politik macht. Die Ungarn schätzen kein Plagiat sondern das Original. Mancher hält da Orbán für das kleinere Übel.