Franken-"Tatort":Kommissar Voss macht den Wallraff

Lesezeit: 3 min

Perspektivwechsel: Kommissar Felix Voss (Fabian Hinrichs) gibt sich als tschetschenischer Geflüchteter aus, um in der Gemeinschaftsunterkunft zu ermitteln. (Foto: BR/Rat Pack Filmproduktion GmbH/Bernd Schuller)

Brauchen die ARD-Zuschauer wirklich einen "Tatort"-Kommissar, um sich in die Lage eines Geflüchteten hineinzuversetzen? Der neue Franken-"Tatort" bemüht sich um Ausgewogenheit, kommt aber etwas naiv daher.

Kolumne von Luise Checchin

Die Erkenntnis:

Die Dinge sind nicht schwarz und weiß, sie kommen in allen möglichen Grauschattierungen daher. Der neue Franken- Tatort "Am Ende geht man nackt" erzählt von "guten" und "schlechten" Deutschen, von "guten" und "schlechten" Geflüchteten und davon wie manchmal eins mit dem anderen zusammenhängt. Dieser Tatort will also konkretisieren, worüber mehr oder weniger abstrakt in Deutschland seit eineinhalb Jahren diskutiert wird. Vorurteile abbauen durch einen Wechsel der Perspektive, das ist das Grundmotiv von "Am Ende geht man nackt". Und damit sind sowohl negative als auch positive Vorurteile gemeint.

Darum geht es:

Bei einem Brandanschlag auf eine Bamberger Flüchtlingsunterkunft kommt die Kamerunerin Neyla Mafany ums Leben. Wer steckt dahinter? Und war es Mord oder Zufall, dass es ausgerechnet Mafany traf? Kommissar Felix Voss, gerade von einem Verwandtenbesuch aus Tschetschenien heimgekehrt, stößt verspätet zu dem Fall. Man weiß nicht genau, ob es am Jetlag liegt oder am übermäßigen Konsum großmütterlicher Wurst, jedenfalls beschließt Voss, als Geflüchteter verdeckt in der Unterkunft zu ermitteln. So muss seine Kollegin Paula Ringelhahn alleine durch Bamberg ziehen, während Voss in der Flüchtlingsunterkunft seinen falschen tschetschenischen Akzent trainiert.

Bester Dialog:

Kommissar Sebastian Fleischer und seine Kollegin Wanda Goldwasser warten auf die Teamsitzung, um das weitere Vorgehen im Fall zu besprechen. Fleischer betrachtet Fotos der toten Neyla Mafany und übt sich in Empathie:

Fleischer: Das ist doch schrecklich, oder? Erst vermutlich zu Fuß quer durch Nordafrika. Hunger, Durst, marodierende Banden, Angst vor Vergewaltigung. Dann Schleuser, ein Schiff, völlig überfüllt, untauglich für Hochsee, ständiges Bangen, ob das Ding untergeht oder nicht.

Goldwasser (zeigt auf Neyla Mafanys Reisepass): Fleischer, sie ist geflogen.

Top:

Wenn es eines gibt, was man diesem Tatort anmerkt, dann ist es das Ringen um Ausgewogenheit. Man hat ein bisschen das Gefühl, die Macher hätten im Vorhinein alle nur erdenklichen Zuschauerreaktionen von links und von rechts einkalkuliert und für jedes Lager ein paar Figuren eingestreut. In "Am Ende geht man nackt" gibt es aufrichtig engagierte Deutsche, die den Geflüchteten helfen wollen. Es gibt Geflüchtete, die unfassbare Gräuel erlebt haben, unter den Mängeln des deutschen Asylsystems leiden und trotzdem ihr Bestes tun, um sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Es gibt aber auch Geflüchtete, die Frauen als "Huren" bezeichnen und zwielichtige Geschäfte betreiben. Es gibt deutsche Unternehmer, die die Not der Geflüchteten ausnutzen, Nazis, die es auf sie abgesehen haben und Polizisten, die, wenn es Aussage gegen Aussage steht, lieber diesen Nazis Glauben schenken als den Geflüchteten.

Der Anspruch der Ausgewogenheit geht tatsächlich auf. Niemand wird in diesem Tatort komplett heroisiert oder gänzlich verteufelt, selbst der Nazi vom Dienst darf kurz darlegen, wie die Arbeitslosigkeit seine rechte Gesinnung befördert hat. "Am Ende geht man nackt" wirft einen differenzierten Blick auf die Flüchtlingsthematik, was in diesen Zeiten schon einmal eine Leistung an sich ist.

Flop:

Leider geht diese Ausgewogenheit auf Kosten der Spannung. Bei dem beherzten Versuch, jedem eine Stimme zu geben und diese Stimme auch noch möglichst ambivalent klingen zu lassen, geraten die Ermittlungen in den Hintergrund. Der Plot dümpelt lange vor sich hin und mündet schließlich in der Erkenntnis, dass es gar keinen Mörder gibt. Einen Drahtzieher hinter dem Anschlag, den gibt es immerhin, aber der ist als gesichtsloser Repräsentant des Kapitals so lustlos gezeichnet, dass man die Wut, mit der Kommissarin Ringelhahn ihn verfolgt, schwer nachvollziehen kann. Als gesellschaftliches Porträt mag "Am Ende geht man nackt" also durchgehen, als Kriminalgeschichte nicht.

Hinzu kommt eine Frage, die sich desto hartnäckiger stellt, je länger man Kommissar Voss seinen schlechten tschetschenischen Akzent zum Besten geben sieht: Ist es wirklich notwendig einen Tatort-Kommissar nach Günter-Wallraff-Manier als Geflüchteten zu verkleiden? Oder unterfordert man nicht die Zuschauer ein wenig, wenn man annimmt, dass sie sich nur auf diesem Weg in die Lage eines Geflüchteten hineinversetzen könnten?

Schlusspointe:

Der Drahtzieher des Brandanschlags ist gefunden, aber Paula Ringelhahn kann ihm trotz eifriger Bemühungen nichts nachweisen. Ihr Kollege Voss ist als falscher Geflüchteter enttarnt und hadert jetzt mit sich, ob er den sechzehnjährigen Basem Hemidi, den er in der Unterkunft kennengelernt hat, adoptieren soll. Doch er kommt ohnehin zu spät: Basem ist von dem zwielichtigen Said dazu genötigt worden, ihm bei einem Einbruch zu helfen. Der Einbruch geht natürlich schief, der wild gewordene Rentner, den die beiden beklauen wollten, verteidigt sein Eigentum mit einem Jagdgewehr und Voss kommt gerade noch rechtzeitig, um den verblutenden Basem Adieu zu sagen. Ein etwas dramatisches Ende, aber wohl ein unvermeidliches. Bei einem so pädagogisch wertvollen Tatort wäre ein Happy End schließlich schwer zu ertragen gewesen.

Die besten Zuschauerkommentare:

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