Es ist ein kleiner Din-A-4-Zettel im Flughafen von Hannover, der Großes verkündet. "Lena Viewing Point" ist über einem dicken schwarzen Pfeil zu lesen. Zu sehen gibt es dann an jenem Aussichtspunkt erst einmal nichts. Denn die Maschine aus Oslo, der Sonderflug der Lufthansa mit Lena an Bord, hat Verspätung.
Doch weder von der langen Wartezeit, noch von dem schlechten Wetter in Hannover lassen sich die Lena-Fans abschrecken. Mit selbstgemalten Plakaten warten Tausende geduldig, bis es um kurz nach 15.30 Uhr so weit ist.
Die Tür der Maschine öffnet sich. Heraus springt der neue deutsche Schlagerstar. Ein Blumengebinde aus Plastik, natürlich in den deutschen Landesfarben, trägt sie auf dem Kopf. Ansonsten sieht sie lässig aus wie immer: gestreiftes T-Shirt unter schwarzer Lederjacke, weite Jeans, rote Turnschuhe.
Sie kann ihren Erfolg offenbar immer noch nicht ganz fassen: Beim Blick auf die Menschenmenge schlägt sie die Hände vorm Gesicht zusammen. Und sie strahlt. Ebenso wie Stefan Raab, der hinter ihr die Maschine verlässt. Er hat sie in seiner Casting-Show gefunden, er hat sie nach Oslo gebracht. Er ist ebenso Sieger wie sie.
Weniger leger geht es am Fuß der Gangway zu. Unten steht bereits der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff. Dunkler Anzug, Krawatte, Blumenstrauß in der Hand. Auch er strahlt, als hätte er soeben eine Wahl gewonnen. Wulff hat bereits gefordert, die nächste Folge des Eurovision Song Contest solle in Hannover laufen.
In den ersten Minuten ist Wulff nur Statist. Er steht neben Lena, als sie die Gangway herunterkommt. Kurzes Küsschen auf die Wange, dann darf er ihr die Blumen überreichen. "So empfangen wir hier Präsidenten, aber ich denke, Lena hat's verdient", sagt der niedersächsische Landesherr auf dem Rollfeld.
Doch für den Politiker hat Lena an diesem Nachmittag wenig übrig. Viel mehr interessiert sie das Megafon im Polizeiwagen. Von dort aus kann sie zu ihren Fans sprechen. Die Blumen drückt sie Wulff wieder in die Hand, sie ergreift beherzt das Mikrofon.
Doch die 19-Jährige begeistert nicht nur ihre Fans. Auch die Politiker sind im Li-La-Lena-Fieber. Bundeskanzlerin Angela Merkel scheint geradezu entzückt von der Abiturientin. "Sie ist ein wunderbarer Ausdruck des jungen Deutschland", sagt sie. Und auch ihr Vize, FDP-Chef Guido Westerwelle, jubelt mit - auch wenn seine Lobeshymnen noch etwas gestelzt klingen. Für ihn ist Lena "eine Botschafterin für unser Land, die in einer Nacht so manches althergebrachtes Vorurteil sympathisch widerlegt hat".
Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth ist begeistert von Lenas "Natürlichkeit und ungeschminkter Echtheit". Millionen Menschen in Europa hätten gespürt, dass ihr Auftritt "kein gestylter Mainstream war, kein Produkt aus der Retorte, sondern authentisch, pure Lust an Musik, Rhythmus und Bewegung", sagt Roth und fügt hinzu: Der Sieg "steht für das Lebensgefühl einer jungen europäischen Generation, die alte Grenzen überwindet und zusammenfindet. Mit Lenas Sieg passiert ein gutes Stück Zukunft."
Die neuen Kollegen aus dem Showbusiness sind auch rasch zur Stelle, wenn es um ein paar Sätze zu Lena geht. Die israelische Eurovisions-Siegerin von 1998, Dana International ("Diva"), findet Lena Meyer-Landrut "süß". Die 19 Jahre alte Siegerin des Eurovision Song Contest 2010 sprühe vor Charme, sagte die transsexuelle Künstlerin der israelischen Zeitung Jediot Achronot vom Sonntag. "Ihr Song passt am besten zum echten Musikmarkt", meinte die 1972 als Jaron Cohen geborene Sängerin zudem.
Schlagersängerin Nicole (45), die im Alter von 17 Jahren den ersten deutschen Eurovisions-Sieg holte, tauchte hingegen ab. Ihr Ehemann, Winfried Seibert, beantwortete eine Anfrage von dpa am Sonntag nicht und legte das Telefon kommentarlos auf. Bereits vor dem diesjährigen Finale hatte er erklärt, die im Saarland lebende Nicole gebe keine Interviews zum Grand Prix.
Schlagersänger Guildo Horn, Grandprixteilnehmer von 1998, freut sich indes "riesig" über den Sieg der Hannoveranerin. "Sie hat in Oslo gewonnen, weil sie so natürlich rüberkam", findet er. Der Musiker hatte mit dem von Stefan Raab geschriebenen Titel "Guildo hat Euch lieb" den siebten Platz belegt. Lenas Sieg gebe jetzt aber erst einmal den Deutschen Auftrieb für die Fußball-Weltmeisterschaft. "Jetzt werden wir auch noch Weltmeister", sagte Horn.
"Ich bin absolut froh, dass wir nächstes Jahr den Grand Prix in Deutschland ausrichten", sagt der Musiker. "Das wird auf jeden Fall eine Riesenparty."
Wo die Party steigen wird, ist indes unklar. Lena war noch nicht einmal wieder in Deutschland gelandet, schon ging die Debatte um den nächsten Austragungsort los. Hannover hat Ansprüche angemeldet, ebenso wie Köln. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hält seine Stadt ebenfalls für den richtigen Finalort des Eurovision Song Contest im kommenden Jahr. "Berlin würde sich natürlich freuen", sagt Senatssprecher Richard Meng. "Der Grand Prix würde auch zur Metropole Berlin und dem kreativen Potenzial der Stadt passen." Man solle jetzt aber nicht "kleinliche Diskussionen führen, wer der Ausrichter wird". "Das müssen die Organisatoren und Fernsehsender entscheiden", fügte er hinzu.
Für die TV-Anstalten gibt es seit dem gestrigen Grand-Prix-Erdrutschsieg auch nur noch ein Thema. Selbst die Talkrunde von Anne Will in der ARD wurde für eine Sondersendung über den Oslo-Star verschoben. Und seit dem frühen Nachmittag flimmern immer wieder die Bilder der Siegerin über die Bildschirme: Lena in Oslo, Lena am Flughafen, Lena im Auto. Lena ist überall. Und wer weiß: Vielleicht steht sie nächstes Jahr wieder beim Grand Prix auf der Bühne.