Dicke im Fernsehen:Einmal Ulknudel, immer Ulknudel

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Wer nicht schlank ist, hat es als Schauspieler schwer im Privatfernsehen. Gebührte dem Wohlstandsbauch früher Respekt, symbolisiert die Leibesfülle heute Maßlosigkeit und Ungeschick. Besonders Frauen wird immer dieselbe Rolle angeboten: die dicke Ulknudel. Jüngstes Beispiel ist die Sat-1-Komödie "Plötzlich fett". Ausnahmen gibt es kaum.

Jan Freitag

Diana Amft ist eine sehr blonde, sehr blauäugige, sehr hübsche Schauspielerin, die man als schlank bezeichnen könnte. Schließlich dürfte sie nicht annähernd jene 70 Kilo wiegen, die den BMI, den Body-Mass-Index, auch Körpermasseindex genannt, bei einer Größe von 1,68 über den fernsehspezifischen zulässigen Höchstwert von 25 hieven. Und doch ist Amft auf füllige Filmfiguren gebucht.

Immer wieder das Pummelchen: Obwohl Diana Arnft (rechts im Bild) überhaupt nicht dick ist, steckt sie das Fernsehen in solche Rollen, hier als Eva in "Plötzlich fett". (Foto: N/A)

Merkwürdig. Aber logisch. Denn als sie nach dem Durchbruch mit Mädchen, Mädchen (Kino) vor zehn Jahren gefühlte 1351 Gramm über Model-Niveau lag, bot man ihr bloß noch dralle Rollen an wie die wunderbar genusssüchtige Serien-Ärztin Gretchen Haase in Doctor's Diary (RTL) . Film und Fernsehen sind so gestrickt. Gerade im leichten Fach kommen Darsteller aus Schubladen schwer wieder heraus. Auch Amft fällt da unters TV-Baurecht. Regel 1: Attraktivität ist die Norm. Regel 2: Jede Abweichung ist als Ausnahme zu kennzeichnen. Zum Beispiel, laut Regel 2.1: Übergewicht, das nur erlaubt ist, wenn es Thema des Auftritts ist.

So wird jetzt die schlanke Diana im Sat-1-Film Plötzlich fett! zur dicken Eva, die durch eine Art Zauber schlank erwacht, während der sportliche Fitnessguru Nick plötzlich Evas Polster am Körper trägt. Dass Diana Amft, aber auch die Moderatorinnen Andrea Kiewel oder Barbara Schöneberger als Chiffre eines erhöhten BMI dienen, sagt nicht nur einiges über Schubladendenken allgemein, sondern über den medialen Umgang mit Gewicht generell. Wer im Leitmedium Fernsehen dick ist, muss auch dicke TV-Eigenschaften haben, typischerweise eine gewisse Komik. Und umgekehrt gilt: Wer komisches Talent hat, soll am besten immer wieder die dicke Ulknudel spielen, egal wie viel er wiegt.

Dicke Menschen sind ein Standardmotiv diverser Erscheinungsformen medialer und kultureller Komik", weiß Joan Bleicher, Professorin am Institut für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg. "Es gibt eine lange Tradition der Besetzung komischer Rollen mit dicken Männern", fügt der Fernsehforscher Knut Hickethier hinzu und denkt an Kurt Gerron in den Zwanzigern und Emil Jannings als Dorfrichter Adam, das war 1937. Auch nach dem Krieg dominierte die pfundige Witzfigur. Als Kleinbürger wie Heinz Ehrhardt ihren Wohlstandsbauch erweiterten, billigte ihnen das Metier jedoch zusätzlich den Charakterzug der Verlässlichkeit zu, in der öffentlich-rechtlichen Phase später verkörpert von Günter Strack oder Walter Sedlmayr.

Als 1984 das Privatfernsehen seinen Platz im dualen Rundfunksystem einnahm, entwickelte sich Leibesfülle auch zum Synonym für Maßlosigkeit, Apathie, Ungeschick. Man kann das heute in Freakshows wie Biggest Loser (Kabel 1) oder Schwer Verliebt (Sat 1) beobachten. Vom Polizeitrottel Wiggum ( Simpsons) bis zum Ekel Cartman ( South Park), von Dirk Bach bis Elton - gerne wird der Korpulente auch auf seine Korpulenz reduziert, Bach kann und zeigt mehr.

Charakterzüge eines nicht schlanken Menschen stattdessen aus der Erzählung heraus zu entwickeln - das gelingt derzeit nur wenigen. Regisseure wie Dominik Graf, Aelrun Goette, Christian Petzold oder zuletzt Maren Ade in Alle anderen: Sie wagen das Offenlassen aller Zuschreibungen. Wenn ihre Figuren dick sind, dann sind sie es aus Gründen der Ernährung, der Genetik, des Stoffwechsels, wegen ihrer gegenwärtigen Befindlichkeit oder aus Armut, umständehalber eben. Wer das Phänotypische so behandelt, gestattet seinem Träger alles - auch zu lieben. So wie in der kitsch- und klischeefreien Romanze Zuckerbaby, wo sich der dürre Eisi Gulp ohne jeden Anlass zur Fremdscham ins Pfundsweib Marianne Sägebrecht verliebte. Das war 1986. Seither sind stilisierte Beziehungen von Normabweichlern selten. Der Besonderheit die Oberfläche zu nehmen, gilt dramaturgisch als unverwertbar. Film und Fernsehen wollen unterhalten - ohne Umwege.

Das Normalgewicht wird seltener

Wer über Dicke lacht, "lacht auch über sich und seine eigenen Vorurteile ihnen gegenüber", sagt Sat.1-Fiktionchef Jochen Ketschau über eine "Randgruppe mitten aus unserer Gesellschaft". Andererseits sind 39 Millionen Menschen im Land übergewichtig. Allein 14,1 Prozent der Männer und kaum weniger Frauen gelten mit einem BMI von 30 aufwärts als adipös. Da zudem die Zahl untergewichtiger Menschen steigt, müsste ein subtiles Außenseiterbashing als ein zentrales Funktionsprinzip des Fernsehhumors längst den Körperfettanteil Normproportionierter karikieren. Eine ARD-Anwaltsserie würde dann Der Normalgewichtige heißen statt: Der Dicke.

Das Entertainment wendet Korpulenz allerdings bloß auf drei Typen an: den Kasper, den Kommissar, den Onkel. "Es gab früher insgesamt weniger Dicke im Fernsehen", sagt Medienexperte Hickethier. Vollschlanke Frauen aber ("einst Trude Herr, nun Cindy aus Marzahn"), steckten seit je im Unterhaltungsfach. Und selbst da gab es lange nur Hella von Sinnen und Tine Wittler. Übergewicht, sagt Hickethier, "widerspricht dem allgemeinen Schönheitsideal". Auf Frauen werde das besonders rigoros angewendet.

Rigoroser jedenfalls als auf Polizisten. Ottfried Fischer, Dietmar Bär, Dieter Pfaff - der Krimi leistet sich liebevoll leibesvolle Hauptdarsteller. "Schlanke Ermittler neigen zu action-orientierten Formen", urteilt die Hamburger Medien-Professorin Joan Bleicher: "Das erhöht die Kosten für Special Effects". Im Klartext: Wer redet statt zu rennen, dreht auch billiger. Das hat man so vielleicht bisher gar nicht bemerkt.

Manchmal verlangt aber eine komplizierte Figuren-Anordnung nach einem dicken Darsteller - wie in amerikanischen Serien. Darin finden zwischen Models und Beaus, die nach Feierabend stets Zeit für Situps finden, oft noch ein Bulle/Pathologe/Arzt mit Übergewicht Platz - für die Quote. Es gilt: je höher die Freakdichte, desto größer das Ensemble. Je höher das Gewicht, desto kleiner die Rolle. Ausnahmen: King of Queens oder Roseanne.

Die dicke Eva darf im Sat-1-Happyend von Plötzlich fett! dünn bleiben, dem plötzlich dicken Nick hilft am Ende der Zauber in die alte Traumfigur. Kuss, Geigen, Trallalla und Aus. Grad noch mal gutgegangen.

Plötzlich fett , Sat 1, 20.15 Uhr.

© SZ vom 30.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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