Methoden der Castingagenturen:Erbarmungslose Endlosschleife

Egal, ob beim unbeholfenen Schokoladendinner in der Badewanne, beim Modellieren des Gebisses in der Zahnarztpraxis oder beim Schuldengespräch mit dem unbarmherzigen Sparkassenmitarbeiter: Der Bewerber soll so weit wie möglich von der gesellschaftlichen Norm abweichen, sonst könne sich der Zuschauer weder lustig machen noch aufregen oder Mitleid empfinden, so die Begründung.

Damit auch kein Lacher ausbleibt, verstärken die Produktionsfirmen die peinlichen Auftritte mit Effekten. So wird bei "Bauer sucht Frau" aus einem harmlosen in Thai-Deutsch genuscheltem " Ich bin fix und fertig" im RTL-Untertitel "Ich bin fick und fertig". Noch eins draufgesetzt hat der Sender beim Format "Schwiegertochter gesucht": Der Auftritt einer Bewerberin, die aufgrund ihrer Leibesfülle Probleme hat, durch eine Zimmertüt zu kommen, wird mit dem Quietschen von ächzendem Holz unterlegt. Das Ganze landet dann sogar in Satire-Formaten wie "TV Total".

Aber das ist noch lange nicht alles im Alltag eines Castingagentur-Mitarbeiters. Schlimmer als die Selektion der freiwilligen Bewerber war für Kathrin Sand, wenn sie aktiv nach geeigneten Akteuren suchen musste.

Für Formate, bei denen der Bewerberansturm zu wünschen übrig ließ, musste sie in verschiedenen Dörfern anrufen: Vom Bürgermeister bis zum Friseur haben die Caster wahllos Menschen angerufen, um ein fernsehtaugliches Schicksal aufzuspüren. Geeignete Kandidaten wurden dann verfolgt, auch wenn die betroffenen Personen zu Beginn weder etwas von sich preisgeben wollten noch einen besonderen Wunsch gehegt haben, mit ihrem Schicksal ins Fernsehen zu kommen. So geschehen bei einer Frau, die ein Familienunternehmen betreibt, und deren Mann eine Woche vor dem Anruf einem Herzinfarkt erlag. Ins Fernsehen kam sie trotzdem.

"Wir mussten aus Leuten, die ganz arm dran waren, alles rauskitzeln", sagt Sand. Habe sich die Geschäftsleitung in einen potentiellen Treffer verbissen, habe es keine Alternative gegeben. "Es hieß, die haben kein Interesse und wurden trotzdem wieder und wieder angerufen". Bei manchen entnervten Teilnehmern zahlte sich die Hartnäckigkeit auch aus. Und hatten sie einmal zugesagt, gab es kein Zurück, sie wurden mit Verträgen "dazu geknechtet", sagt die Casterin.

"Nicht asozial genug"

An ihre "krasseste Story" erinnert sie sich voller Mitleid. Eine verzweifelte Mutter bewarb sich für eine der zahlreichen Shows, da sie es in ihrem Leben nicht mehr aushielt. Ein Familienmitglied wählte bereits den Selbstmord, andere waren davor, auf die schiefe Bahn zu geraten. In die Show schaffte es die sonst eher bürgerliche Familie dennoch nicht. Die Begründung: "Nicht asozial genug".

Habe ein Caster bemerkt, dass ein Bewerber nicht für das Format geeignet erscheint, habe er so schnell wie möglich die Gespräche abbrechen müssen, so Sand. Dann hieß es "Wir melden uns bei Neuigkeiten". Auf Absagen und die Angabe von Gründen wurde verzichtet. Kathrin Sand sagt, sie habe die Abgewiesenen dann trotzdem zurückgerufen.

Nach nur fünf Monaten hat Kathrin gekündigt. Das Geschäft mit dem Elend hat sie fertiggemacht. Ihre Chef hat damit kein Problem. Seine Empfehlung an seine Mitarbeiter: "Man muss es mit schwarzem Humor sehen".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: