#Beckmann zum IS:"Schlimmer als man es sich vorgestellt hatte"

Lesezeit: 4 Min.

Ex-Großinterviewer Reinhold Beckmann: "Das Reportageformat erlaubt, auch mal emotionalen Kontakt zu den Menschen aufzunehmen". (Foto: NDR/Paul Schirnhofer/beckground.)

Ex-Talkmaster Beckmann nimmt sich mit seinem neuen Reportage-Format der Schreckensherrschaft des IS an. Aber darf man dabei weinen?

Von Peter Burghardt

Reinhold Beckmann war noch Talkmaster, da saß seine Zukunft schon neben ihm. In einer seiner letzten Sendungen hatte er im August 2014 Songül Tolan zu Gast, Berliner Doktorandin der Volkswirtschaft und Sprecherin des Zentralrats der Jesiden.

Zwischen Gastgeber, Experten und Politikern sprach sie über den Genozid des Islamischen Staats an ihrer Volksgruppe, vom Exodus aus dem Irak, von Oldenburg, wo ihre Familie wohnt. Es ging auch darum, dass Männer aus Deutschlands jesidischen Gemeinden in den Nahen Osten ziehen und dort nicht wie Hunderte deutsche Dschihadisten mit dem IS morden, sondern gegen diese Horrormiliz kämpfen. Ihr Bruder besuchte gerade ein überfülltes Flüchtlingslager.

Ende September 2014 wurde die Gesprächsreihe Beckmann dann wie geplant eingestellt, nach mehr als eineinhalb Jahrzehnten. Wegen der ARD-internen Konkurrenz hatte er auf einen ungünstigeren Sendeplatz wechseln müssen, es gibt in Deutschland ja so viele Großinterviewer: Jauch, Maischberger, Will, Illner.

Oder Markus Lanz, in dessen Runde Reinhold Beckmann vor seinem Neustart ins Journalistenleben kürzlich an das Drama der Jesiden erinnerte und auf seinen Film hinwies. Denn an diesem Montag hat die Reportagesendung #Beckmann in der ARD Premiere, und diesmal reiste er mit Songül Tolan selbst hinein in diese Tragödie im Zweistromland.

Mutige Gesandte wagen sich schon länger ins Krisengebiet

Titel: "Unser Krieg? Deutsche Kämpfer gegen IS-Terror." Der Name #Beckmann klingt dabei ein wenig gewollt, irgendwie nach Journalismus 2.0, wird aber von den Machern mit dem Hinweis auf einen umfangreich begleitenden Webauftritt und einen steten Dialog mit den Zuschauern erklärt.

Auch haben Beckmann und sein Co-Autor Helmar Büchel das Thema natürlich nicht entdeckt, die Katastrophe von Jesiden und IS geht seit Monaten durch die Nachrichten. Mutige Gesandte von Zeitungen, Magazinen und Sendern wagen sich schon länger ins Krisengebiet, gewöhnlich mit kleineren Budgets. Aber diese unfassbare Geschichte von Gotteskriegern und Verfolgten ist es allemal wert, auch diese 45 Minuten lang erzählt zu werden. Und wer würde mehr Aufmerksamkeit finden als einer der bekanntesten deutschen Fernsehmänner zur besten Sendezeit im Ersten?

Man hätte es einfacher haben können

Das Experiment, #Beckmann mit so schwerem Stoff aus einem blutigen Knäuel der Weltgeschichte zu beginnen, ist bereits ein Verdienst der Crew. Man hätte es einfacher haben können, als das für viele Uneingeweihte verwirrende Grauen im Nordirak nahe Syrien und der Türkei zu erkunden. IS, Jesiden, Peschmerga, Kurden, Schiiten, Sunniten - "komplex", sagt Reinhold Beckmann, 59, der für #Beckmann weite Teile seiner Redaktion ausgewechselt hat.

Der junge Beckmann hatte einst Filmbeiträge gemacht, ehe er die Fußballshow ran übernahm und dann die Sportschau, ehe er zu einem der populärsten Fragesteller und Unterhalter der Republik wurde.

Zwischendurch veröffentlichte er Dokumentationen über Gerhard Schröder, Udo Lindenbergs Mauertournee bei Erich Honecker oder Brasilien vor der WM 2014. "Ich wollte ein journalistisches Format", sagt er. "Mit dem Filmemachen habe ich vor 30 Jahren begonnen und eigentlich nie damit aufgehört. Talk vermisse ich nach 16 Jahren im Moment nicht so sehr."

Am Freitag vor Folge eins von #Beckmann sitzt Beckmann erschöpft im Schneideraum, draußen nieselt der Winter auf Hamburg, und spricht seinen Text auf erschütternde Bilder.

Denn ein klimatisiertes Studio ist das eine. Ein eiskaltes Schlachtfeld oder zumindest eine Randzone am Schlund der Hölle sind etwas anderes, das weiß jeder Krisenberichterstatter. "Das durchdringt dich", sagt Beckmann, "da begegnen dir existenzielle Fragen."

Einen ersten Teil der Grenzerfahrung bestreitet er mit seinem Team an der Seite der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die ihn in der Transall und im Panzerwagen nach Bagdad und Erbil mitnimmt. Die Politikerin kommt da recht "tough" weg, die Begleiter waren beeindruckt von ihrer Standfestigkeit, die Werbung mag manchem missfallen.

Sie erläutert Beckmann, weshalb die Bundeswehr Ausbilder zu den Peschmerga ins Kurdengebiet schickt und Waffen, obwohl es dafür kein Mandat von UN und Nato gibt. "Wir, die deutschen Pazifisten, mischen uns jetzt ein - halten wir das durch, passt das zu uns?", fragt der ehemalige Zivildienstleistende Beckmann.

Der Krieg kommt auch aus Bad Oeynhausen oder Oldenburg

Ministerin von der Leyen verweist auf deutsche Verantwortung und darauf, dass man das Vorrücken der IS unterschätzt habe. Ungefähr 50 000 Fanatiker hat das Kalifat des Schreckens unter Waffen, darunter geschätzt 600 Deutsche.

Der Krieg habe längst seine Fühler nach Europa ausgestreckt, erinnert Beckmanns Stimme aus dem Off. Und der Krieg kommt auch aus Bad Oeynhausen oder Oldenburg, wo viele deutsche Jesiden leben. Immer mehr ziehen mit ihren irakischen Verwandten gegen den Islamischen Staat an die Front.

Das Hamburger TV-Team begleitet Männer durch Checkpoints und Ruinen, die in Deutschland Jurastudenten oder Gärtner waren und nun die alte Heimat vor diesen schwarzen Rittern bewahren wollen.

Manche von ihnen tragen deutsche Gewehre, oft ist es zu spät. Er sei auch bereit, "für Deutschland zu kämpfen", sagt einer. Ein anderer in Bundeswehrjacke will lieber "für was Gutes sterben, als in Deutschland von einem Auto überfahren zu werden".

Zwei Söhne ermorderter Eltern schweigen, als sie erzählen sollen

Irgendwann wird mit bloßen Händen nach Leichen gegraben, in einer eingekesselten Gebirgsgegend waren Tausende ermordet, verschleppt und versklavt worden. Zwei Söhne erschossener Eltern schweigen, als sie erzählen sollen. Es sind einige der stärksten und deprimierendsten Szenen.

Unterhalb des Taurus-Gebirges an den Grenzen zu Syrien und der Türkei hausen Flüchtlinge in verlassenen Rohbauten, ehe zumindest Lastwagen mit Hilfsgütern eintreffen. Zwischendurch laufen Reinhold Beckmann und Songül Tolan die Tränen, und man hört: "Es ist schlimmer, als man es sich vorgestellt hatte."

Darf einer, der auch die Krise von Jürgen Klopp und Borussia Dortmund erörtert, darf ein vormaliger Moderator da weinen? Oder sollte sich ein Beobachter möglichst unsichtbar machen? "Das Reportageformat erlaubt, auch mal den emotionalen Kontakt mit den Menschen aufzunehmen", sagt Reinhold Beckmann, der wieder Reporter ist.

#Beckmann, ARD, 20.15 Uhr.

© SZ vom 23.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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