Achtteilige Kriegsserie "Weltenbrand":Emotional rangezoomt

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Mit der Serie "Weltenbrand" verabschiedet sich Historiker Guido Knopp vom ZDF. Originalaufnahmen werden mal wieder koloriert, verlangsamt, mit Musik unterlegt und mit Pathos garniert. Und der Zuschauer wird für dümmer gehalten als er ist.

Gustav Seibt

Wer ist der einflussreichste deutsche Historiker der letzten Jahrzehnte? Hans-Ulrich Wehler, Reinhart Koselleck oder Joachim Fest? Keiner der Genannten ist es, wenn man realistisch ist. Es ist Guido Knopp, der Zeitgeschichts- und History-Direktor des ZDF, der dort seit dreißig Jahren die Abend- und die Nachtprogramme füllt und die Sehgewohnheiten einer ganzen Generation bestimmt hat.

Kaiser Wilhelm II. verleiht Orden. Die Farben schimmern zwar fahl, aber mit illusionistischem Effekt. Die Bilder wurden auf HD-Niveau gehoben. (Foto: Transit-Film)

Mit gediegenem Pathos, einem Schuss Rührung, flackernden Originalaufnahmen, breit daruntergepinselter Musik und immer wieder mit den schicksalsgestählten und urlaubsgebräunten "Zeitzeugen", die 1945 überlebten, um dann als "Leistungsfanatiker" (Wehler) mit zäher Energie am Wirtschaftswunder zu arbeiten.

Weltenbrand heißt das auf insgesamt acht Teile angelegte Vorhaben, mit dessen erster Staffel sich Guido Knopp nun verabschiedet: Das Wort setzt den Sound. Es geht um die Epoche der Weltkriege von 1914 bis 1945, die nach britischem Muster als Einheit, als "Dreißigjähriger Krieg des 20. Jahrhunderts" begriffen werden sollen, auch für eine internationale Kundschaft. Die ersten 45 Minuten stellten Knopp und sein Team (Annette von der Heyde und Stefan Mausbach) Ende August im Deutschen Historischen Museum den - wie Knopp auf der Pressekonferenz leicht buhlerisch bemerkte - immer besonders kritischen Berliner Journalisten vor. Ausgestrahlt werden sie nun von diesem Dienstag an zu bester Sendezeit, was wichtig ist, weil damit etliche Grundentscheidungen der Produktion begründet wurden.

Zeitzeugen kann es bei diesem Stoff - die erste Sendung behandelt das erste Halbjahr des Ersten Weltkriegs, das ihn eigentlich schon entschied - nicht mehr geben. Dafür kommen auswärtige und interne Fachleute - der Hitler-Biograf Ian Kershaw etwa, aber auch der ZDF-Berater Sönke Neitzel - zu Wort.

Die Erzählung ruht auf zwei Säulen: Die erste ist reiches filmisches Archivmaterial, ein großer Teil davon nie gezeigt, die zweite besteht in den Lebensläufen von Adolf Hitler und Bernard Montgomery, die als junge Kriegsteilnehmer schon 1914 dabei waren und bis 1945 den "Weltenbrand" auf ihren entgegengesetzten Seiten entscheidend mitbestimmten. Sie bieten auch einen narrativ höchst wirksamen moralischen Kontrast.

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Knopps enormer Einflussreichtum könnte sich auch bei seinem letzten öffentlich-rechtlichen Œuvre noch einmal als wirksam erweisen. Denn er und sein Team entschieden sich dafür, die originalen Filmaufnahmen eingreifend zu bearbeiten: Sie werden koloriert und verlangsamt, nach Möglichkeit auf High-Definition-Niveau gebracht, sie werden heutigen Sehgewohnheiten angeglichen. Die Farben schimmern zwar so fahl wie auf alten kolorierten Postkarten, aber mit der Aufhebung der hibbeligen Bewegungsabläufe der ältesten Filmaufnahmen ergibt sich ein illusionistischer Effekt: Die Menschen wirken aus Fleisch und Blut, die Sonne scheint, die Patina-Distanz von verregneten, hektischen Dokumenten ist aufgehoben. Die Aktion ist aufwendig und teuer, schon das Einfärben kostet 1500 Euro pro Minute.

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Viele der neuen Filmaufnahmen zeigen die deutsche Gesellschaft noch im Frieden - Großstadtleben am Berliner Alexanderplatz mit Automobilen, Trambahnen und immer noch Pferdefuhrwerken, aber auch Kinderfeste und Biertrinker -, und man meint Zeitgenossen zu sehen. "Die letzten Stunden einer Epoche", raunt die Erzählerstimme dazu schicksalsschwer. Nachstellen musste man Hitlers Leben als Meldegänger hinter der Front und Montgomerys schwere Verwundung und Rettung, aber auch eine Rührszene wie die längst schon Filmstoff gewordene Weihnachtsverbrüderung an der Westfront 1914. Da sehen die singenden, rauchenden und Weihnachtsbäume aufrichtenden Männer fit und munter aus, wie kein Rekrut von 1914 aussah, weil er damals schon im Frieden selten mehr einmal pro Woche Fleisch aß.

Die Strategie des emotionalen Heranzoomens blendet dann aber auch die gut bekannten Brüche der Epoche aus: Es war ja nicht so, dass Europa 1914 völlig unvorbereitet in den Krieg taumelte - die Juli-Krise handelt der Film in kaum einer Minute ab -, düstere Vorahnungen hatte es viele gegeben. Die auch hier wieder zitierten Sätze von Stefan Zweig und Carl Zuckmayer über den schönen Friedenssommer 1914 könnten von einer Fülle anderer Zeugnisse relativiert werden. Auch die Kriegsbegeisterung war weit weniger allgemein als der Film, hier auf überholtem Stand, suggeriert: Nicht nur das Landvolk lehnte ihn ab - schon, weil Erntezeit war -, sondern auch jene großstädtischen Massen, die noch im Juli im Berliner Treptower Park für den Frieden demonstrierten.

Solche deutschen "Interna" will Knopp seinen ausländischen Abnehmern aber nicht zumuten - allein, es gab den Pazifismus 1914 auch in Paris und London, und es ist ja hilfreich, wenn überall bekannter würde, dass nicht alle rasend in den Krieg rennen wollten. So ein Film sei ein "Eisberg", sagt Knopp, er kann nur einen Bruchteil des Wissbaren zeigen. Je, nun. Die Gewichte sind unterschiedlich gut gesetzt: Gut ist, dass die für Deutschlands Ruf in der Welt bis heute belastenden Gräuel gegen die belgische Zivilbevölkerung von 1914 nach heutigem Stand aufgeklärt werden, als Überreaktionen einer hysterischen Truppe auf eigenes "friendly fire".

Aber problematisch ist, dass ein so herausgehobener Sendetermin immer wieder dazu verführt, die Zuschauer für dümmer zu halten als sie wohl sind. Wenn man die Bildquellen schon so radikal bearbeitet, warum führt man dann nicht wenigstens drei Minuten in originaler Fassung vor, um jedem den Abstand klar zu machen? Das ist ja nicht so arg schwer zu verstehen.

Weltenbrand , drei Teile: Sündenfall - Fegefeuer - Völkerschlacht, ZDF, jeweils dienstags, 20.15 Uhr

© SZ vom 18.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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