Kolumne: Vor Gericht:Krönchen und Eisenkreuz

Lesezeit: 2 min

Reiterstatue von Kaiser Wilhelm I. in Dortmund. (Foto: Bernd Thissen/dpa)

Unser Kolumnist wundert sich, warum ihm an Gerichtsgebäuden immer noch alte Kaiser begegnen.

Von Ronen Steinke

Der berühmte erste Satz in Heinrich Manns Roman "Der Untertan" karikiert hervorragend den Typ Mensch, der sich gern an einem Kaiser ergötzt. "Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt." Einen vielleicht noch schöneren Satz spricht dieser Heßling im Schlafwagen, bevor er die Lampe löscht und sich zu seiner Ehefrau Guste gesellt. "Bevor wir zur Sache selbst schreiten, gedenken wir seiner Majestät unseres allergnädigsten Kaisers."

An diesen besonderen Spirit musste ich denken, als ich vor einer Weile am Landgericht Flensburg an der Statue vorbeikam, die dort immer noch zu Ehren des Kaisers steht. Mit rauschendem Backenbart, spitzem Eisenkreuz an der Brust, stechendem Wilhelm-I.-Blick. Einen richtigen Schrein unterhalten sie für den Monarchen dort, drum herum gotische Spitzbögen, frisch grün gestrichen. Man kann sich der Statue wegen der Nische, in der sie steht, nur von vorne so richtig annähern, was für die Putzmänner und -frauen in Flensburg wahrscheinlich unpraktisch ist. Seine Majestät wird mit Spotlights von unten erleuchtet.

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Die Frage, die man als rechtsstaatlich gesinnter Mensch an so einem Ort in einem Gerichtsgebäude im 21. Jahrhundert stellen darf und vielleicht sollte, lautet natürlich: Huch? Und noch mehr habe ich mir diese Frage gestellt, als ich kürzlich am Oberlandesgericht im niedersächsischen Celle war. Es war eine Tagung, wir saßen im Plenarsaal der Richter, der einem monarchistischen Kabinettssaal glich. An den Wänden: überlebensgroße Gemälde. Wilhelm I. im Hermelinfell, sein Enkel Wilhelm II. mit Schärpe und Eisenkreuz. Die riesigen goldenen Rahmen waren noch mit einem besonderen Feature geschmückt: einem Krönchen obendrauf.

Das ist nicht bloß Schmuck. Der Grund, weshalb alte Adelige dort einst aufgehängt wurden, ist, dass es eine Wirkung hat, wenn sie einem über die Schulter schauen beim Arbeiten und Diskutieren. Das ist eine Herrschaftstechnik. Die beiden Wilhelms - rassistisch, antisemitisch und natürlich stramm antidemokratisch, wie sie zeitlebens waren: Ich weiß, es gibt heute viele Richterinnen und Richter, die jeden Morgen zur Arbeit kommen, um genau gegen das anzuarbeiten, wofür diese Herren standen. Aber das Mobiliar sendet die gegenteilige Botschaft.

Ich lästere seitdem jedenfalls nicht mehr so über die vermeintlich hässlichen, schmucklosen Nachkriegsbauten, in denen einige jüngere Gerichte untergebracht sind. Linoleum. Gummibäume. Na und? Passt ganz gut zu einer Demokratie. Unprätentiös. Nicht einschüchternd, sondern zugänglich. Und wenn ich dann auf der anderen Seite manchmal höre, dass einige Juristen (viel seltener auch Juristinnen) es ganz erhebend finden, in immerhin "traditionsreichen" Räumen mit Kaiserporträt zu arbeiten, dann frage ich mich, ob das wirklich der richtige Spirit ist, bevor sie zur Sache selbst schreiten. Also, zur Rechtsprechung.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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