"Wie ich euch sehe" zu Erziehern:"Die Eltern gibt es immer mit dazu"

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Manche Erzieherinnen erinnern sich noch nach vielen Jahren an einzelne Kinder. (Foto: Illustration Jessy Asmus für SZ.de)

Eltern im Förderwahn, hinterhältige Kinder und Plaudern über den Tod: Eine Kita-Leiterin erzählt aus ihrem Alltag.

Protokoll: Hannah Beitzer

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: ein Busfahrer, eine Polizistin, ein Stotterer, eine Kassiererin, ein Zahnarzt. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt Kita-Leiterin Jennifer B. aus ihrem Alltag.

Wer den ganzen Tag mit Kindern arbeitet, erfährt mehr über ihre Familien, als einem mitunter lieb ist. Manchmal ist das aber auch ziemlich lustig. Gerade beim Mittagessen, wenn die Kinder ein wenig zur Ruhe kommen, entspinnen sich ganz eigene Gespräche. Sie schildern dann, wann die Eltern die Schlafzimmertür zusperren, ob der Papa die Mama küsst, wenn er nach Hause kommt - oder zuerst den Hund begrüßt.

Einmal erzählte ein Kind, dass seine Großmutter gestorben sei. Die anderen steuerten ihre Geschichten bei, unterhielten sich über den Tod - für Kinder ist das Thema nicht negativ behaftet. Ein vierjähriges Mädchen drehte sich zu mir um und sagte: "Wenn du mal tot bist, sitzt jemand anderes in deinem Büro." Da musste ich lachen, weil ich dachte: "Stimmt, ich bin total ersetzbar." Kein Erwachsener würde einem das so nüchtern ins Gesicht sagen.

Ich mag besonders die wilden, flippigen, die ihre eigene Meinung haben. Manchmal schämen sich ihre Eltern, wenn ihre Kinder gerade eine Trotzphase haben. Aber bitte, macht euch keine Sorgen deswegen, nur weil es im Alltag manchmal die Abläufe stört. Das ist ganz normal. Ihr wünscht euch doch auch, dass eure Kinder selbstbewusst sind - andererseits sollen sie wie gewünscht funktionieren. Aber beides geht nun mal nicht immer.

Einige Kinder sind richtige Chaoten, bringen jeden Tag Kuscheltiere mit und lassen sie überall liegen. Bei manchen weiß man, woher sie es haben: Ihren Eltern drücke ich den Infobrief extra in die Hand - und kurze Zeit später sehe ich ihn im Garderobenfach liegen. Da denke ich nur: "Das gibt's doch nicht!"

Nicht zu hohe Erwartungen setzen

Manchmal sind ihre Kinder auch das glatte Gegenteil. Sie halten Ordnung für die ganze Familie: "Mama, hast du schon daran gedacht, dich in die Liste fürs Frühstückbuffet einzutragen?" Das Sympathische an chaotischen Eltern ist, dass sie oft über sich selbst lachen können. Ich frage sie manchmal: "Wie haben Sie das eigentlich gemacht, bevor Sie ein Kind hatten, das Ihnen helfen kann?"

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Es gibt auch Kinder, die sehr unauffällig sind und eher nebenher laufen. Sie malen stundenlang und vergessen alles um sich herum. Ihr müsst deswegen nicht gleich befürchten, dass sie sich in der heutigen Ellenbogengesellschaft nicht durchsetzen können. Es muss auch ausgeglichene, ruhige Menschen geben! Beunruhigend wird es nur, wenn ein Kind sich völlig abkapselt und nicht an Gruppenspielen teilnimmt.

Überhaupt, setzt nicht zu hohe Erwartungen in das Sozialverhalten eures Kindes: Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein Zweijähriger sechs Wochen nach der Eingewöhnung schon einen besten Freund hat. So funktionieren Kinder nicht. Bis zu einem gewissen Alter spielen sie eher nebeneinander her als miteinander. Trotzdem wollen viele Eltern, dass sich ihre Kinder am Wochenende oder nach der Kita mit Freunden verabreden. Lasst doch einfach euer Kind selbst den Spielpartner suchen - wenn es so weit ist.

Was es auch gibt: Kinder, die richtig hinterhältig sind, aggressiv und schnell frustriert. Manchmal denke ich: "Den Namen musst du dir merken, der taucht mal in den Nachrichten auf." Wir versuchen natürlich in solchen Fällen, mit den Eltern zu reden. Leider klappt das nicht immer. Natürlich nehmen die meisten ihre Kinder in Schutz, das verstehe ich. Euer Kind zu schützen, ist natürlich eure Aufgabe. Aber irgendwann müsst ihr euch der Realität stellen.

Es gibt spezielle Programme wie Therapien und Familienberatung, die solchen Kinder helfen. Aber darauf einlassen müsst ihr euch schon. Wenn ich immer wieder höre: "Er ist halt ein kleiner Punk" - da könnte ich verzweifeln! Situationen wie diese sind einer der Knackpunkte meines Berufs. Die meisten Pädagogen wählen ihn ja, weil sie mit Kindern arbeiten wollen. Aber die Eltern gibt es immer mit dazu, samt all ihrer Vorstellungen.

Meine Kita liegt in der Innenstadt, viele Eltern sind Anwälte oder Architekten. Sie sind sehr ambitioniert und haben auch das nötige Geld für die Förderung ihrer Kinder. Eine ruhige Kugel zu schieben, ist da nicht angesagt. Ich finde das problematisch. Da ist das Kind ohnehin den ganzen Tag in der Kita, und bekommt noch Musikunterricht, geht ins Ballett, zum Sport.

"Manche Kinder weinen, wenn sie abgeholt werden"

Manche Kinder weinen sogar, wenn sie abgeholt werden. Sie sind erledigt vom Tag - und wissen, dass sie gleich den nächsten Termin haben. Denkt doch mal zurück, was euch in eurer Kindheit wichtig war! Die meisten Kinder wollen einfach noch ein wenig zu Hause mit den Eltern spielen oder auf den Spielplatz gehen.

Und vergesst bitte nicht, dass wir nur eine Ergänzung zur Erziehung sind. Meine Kita zum Beispiel hat drei Förderungsschwerpunkte. Sprache - wegen der Kinder mit Migrationshintergrund. Bewegung - weil viele Familien keine Gärten haben. Und Religion - weil wir eine katholische Kita sind. Manchmal beanstanden Eltern, dass die Kinder in einer anderen Kita schon viel fingerfertiger seien, weil sie mehr basteln. Und fragen, warum das bei uns nicht so wäre. Da kann ich nur sagen: Wenn ihr wollt, dass euer Kind besser bastelt - dann bastelt selbst mit ihm!

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Was ich auch nicht verstehe: Viele Eltern trauen sich nicht, Grenzen zu setzen. Sie erzählen, dass sie die Kinder nicht ins Bett bekommen, dass es zu Hause Szenen gibt. Und sind dann verwundert, dass es bei uns in der Kita so viele klare Regeln gibt. Wir verlangen von den Kindern, dass sie zum Beispiel beim Essen ruhig sitzen bleiben und ihre Teller und Tassen selbst abspülen. Glaubt mir, die können das! Warum übernehmt ihr die festen Regeln, die wir in der Kita haben, nicht auch zu Hause? Das würde vieles einfacher machen.

Vertraut auf euer Bauchgefühl!

Mag sein, dass viele von euch ein schlechtes Gewissen haben, weil sie ihre Kinder in die Kita geben. Und dass ihr euch deshalb wünscht, dass abends alles harmonisch und kuschelig ist. Dabei verpasst ihr aber, dem Kind Grenzen beizubringen, und letztlich enden Konflikte in Geschrei und Tränen. Es ist nicht gut, wenn es zwischen Eltern und Kindern nur diese zwei Extreme gibt: ganz lieb oder ganz böse.

Auf der anderen Seite kann ich euch auch verstehen. Ihr bekommt so viele Tipps und Ratschläge, dass ihr manchmal gar nicht mehr wisst, was richtig ist. Dabei ist nur eines wichtig: Hört auf euer Bauchgefühl! In den meisten Fällen sagt es euch, was das Beste für euer Kind ist.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung Ihrer Situation per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

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