Wie fühlt sich das an?:Blind auf Berge klettern

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Wie hört sich ein Berg an? Andy Holzer weiß es, denn er bestieg schon fünf der Seven Summits. Dabei verlässt er sich auf sein Gehör - weil er nichts sieht.

Anna-Lena-Roth

Andy Holzer kam 1966 in Osttirol blind auf die Welt. Mittlerweile hat sich der gelernte Heilmasseur zum Ziel gesetzt, den jeweils höchsten Berg eines jeden Kontinents, die Seven Summits, zu besteigen. Fünf hat er schon geschafft, 2010 soll der Mount Everest folgen. Zuletzt bezwang er mit vier Freunden den Mount McKinley in Alaska.

Andy Holzer. (Foto: Foto: oh)

"Am schlimmsten ist die letzte Etappe, knapp 1000 Meter Höhenunterschied trennen uns noch vom Gipfel des Mount McKinley, dem kältesten Berg der Welt. Bei minus 37 Grad Celsius fühlen sich die Füße an, als wären sie aus Holz. Aber besonders schlimm ist der Sturm, weil ich mich beim Klettern auf mein Gehör verlassen muss. Wenn ich mit der Zunge schnalze, kann ich mich am Echo orientieren.

Und werfe ich Sandkörner auf den Boden, höre ich genau, wo eine Erhebung oder der Abgrund ist. Doch der Wind verschluckt jedes Geräusch. Ich höre nicht mehr, wo mein Vordermann Thomas seine Steigeisen ins Eis schlägt und kann ihm deshalb nicht auf seiner Route folgen.

Also muss Thomas mir genau sagen, was er sieht - ich klettere dann mit dieser virtuellen Karte im Kopf vor. Alle 200 Meter wiederholen wir das. Und wenn er mir von hinten mit seinem Eispickel auf den Rucksack klopft, weiß ich, dass ich in die falsche Richtung laufe.

Hinter uns liegen 14 anstrengende Tage, jeder von uns trägt 70 Kilo Gepäck. 15 Kilo Körpergewicht habe ich schon verloren. Die Trockennahrung habe ich nur die ersten drei Tage essen können, danach musste ich schon beim Geruch würgen. Also gibt's Powergel und jeden Tag ein paar Nüsse. Hunger spüre ich trotzdem nicht, nur die Kraft lässt deutlich nach.

Im Kopf bin ich schon längst auf dem Gipfel, nur der Körper muss noch nachziehen. Immer und immer wieder muss ich mir sagen, dass ich mich ein Jahr lang auf die Tour vorbereitet habe und Hunderte Menschen mein digitales Expeditionstagebuch lesen. Sie glauben an mich, geben mir Kraft.

Auch den Sponsoren gegenüber fühle ich mich verpflichtet. In trostlosen Situationen vertraue ich auf den Herrgott. So tanke ich neue Energie - mein Kopf sagt meinem Körper dann: "Du schaffst das."

Und ich schaffe es. Als wir schließlich auf 6194 Meter Höhe ankommen, fließen die Tränen. Denn ich, der blinde Andy, darf hier oben sein!"

© SZ vom 23.11.2009/bilu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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