Kolumne: Vor Gericht:Genug mit dem Gelaber

Lesezeit: 2 min

Welche Regeln gelten für V-Männer? Hier ein ehemaliger V-Mann aus der Neonazi-Szene als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags. (Foto: Arne Dedert/picture alliance/dpa)

V-Männer bekommen eine Erfolgsprämie, wenn sie jemanden überführen. Über einen Hobbyspion, der sich mehr als dreißig Mal einschleusen ließ - und dabei offensichtlich Grenzen überschritt.

Von Ronen Steinke

Beruf? Sozialhilfeempfänger. Vorstrafen? Ja, etliche, unter anderem wegen Betrugs. Der etwas untersetzte Mann saß vor dem Oberlandesgericht Stuttgart aber nicht als Angeklagter. Sondern als absolute Spitzenkraft des Landeskriminalamts Baden-Württemberg. Sein Gesicht war hinter einer Scheibe verborgen, seine Stimme elektronisch verzerrt, seine Identität blieb ein Staatsgeheimnis. Schon dass man erkennen konnte, dass er eine Glatze haben könnte, machte seine Betreuer nervös.

Die Polizei in Deutschland arbeitet mit vielen solcher Hobbyspione. Mit V-Leuten, das ist die Abkürzung für Vertrauenspersonen. Und dieser Mann galt als einer der wichtigsten in dieser ziemlich windigen Branche. Dreißig Mal soll er zwischen 2007 und 2017 in Kreise der organisierten Kriminalität eingeschleust worden sein, stets ausgestattet mit falschem Namen, falschen Papieren, einem Tagegeld von bis zu hundert Euro. Und mit Erfolgsprämien, wenn er, der Arbeitslose, jemanden überführte.

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Er besitze das seltene Talent, so schilderte ein Polizist vor Gericht, schnell das Vertrauen von Menschen zu gewinnen. Auch weil er mit seinen etwa 60 Jahren und seinem Bäuchlein kaum Misstrauen wecke. Die Polizei hatte ihn dann einmal auf einen jungen Deutschkurden angesetzt, Dasbar W. Die Mission: Herausfinden, ob dieser ein gefährlicher Islamist sei. Der Deutschkurde musste in einen Gabelstaplerkurs vom Arbeitsamt, der V-Mann gesellte sich unauffällig hinzu.

Sie waren dann gemeinsam ins Fitnessstudio gegangen, hatten in einem Café gesessen, über Politik gesprochen. Er sei sich ganz sicher, so berichtete der V-Mann bald seinen Polizei-Betreuern: Dieser Dasbar W. sei "eine Art tickende Zeitbombe, die jederzeit explodieren kann". Belege hatte er keine. Der V-Mann ließ aber nicht locker - und stupste Dasbar W. ungeduldig an, wie er später der Polizei berichtete: Weil er den Eindruck hatte, Dasbar W. überlege, einen Anschlag mit einem Kleinbus zu begehen, habe er ihm "beiläufig" den Tipp gegeben, vielleicht mal einen Wagen zu mieten.

Der V-Mann war zunehmend genervt davon, dass Dasbar W. nur redete, ohne je etwas Justiziables zu tun, für das man ihn verhaften könnte, also bot er seinem "Freund" nach ein paar Wochen auch an, Schusswaffen zu besorgen. Schließlich stellte er Dasbar W. zur Rede. Er habe jetzt genug vom Gelaber. Entweder man plane einen Anschlag. Oder die Freundschaft sei vorbei. Es geschah: nichts. Da verlor auch die Polizei die Geduld. Sie nahm Dasbar W. fest. Nach ein paar Monaten in Untersuchungshaft begann der Prozess, wobei der Richter aber von Beginn an merklich grübelte, ob er diesem V-Mann denn wirklich glauben sollte. Am Ende schreckte er davor zurück.

Zuvor gab es noch einen kleinen Dialog im Gerichtssaal. Der Richter wollte von der Polizei wissen: Ob denn der V-Mann mit einer Erfolgsprämie rechnen dürfe, wenn bei diesem Prozess ein Schuldspruch herauskomme? Ja, lautete die Antwort.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung hieß es, das Gericht habe dem V-Mann geglaubt. Wir haben das korrigiert.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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