Trend zur Silberlocke:Der graue Star

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Wer denkt, graues Haar sei nur etwas für Studienrätinnen und Sky du Mont, der hat einen Trend noch nicht mitbekommen. Die Jungen schlagen zurück, in Kunstsilber.

Lena Jakat

Vor einigen Wochen präsentierte Kate Moss in Paris nicht nur ihre erste eigene Handtaschen-Kollektion, sondern auch eine neue, auffällige Haarfarbe: Die Strähnen, die ihr auf den Pressefotos in die Stirn fielen, waren silbergrau gefärbt. Der Aufschrei darüber war bemerkenswert leise und schnell wieder verhallt - als ob es sich dabei nur um einen einmaligen modischen Ausrutscher gehandelt hätte. Das war es aber nicht.

Kelly Osbourne kommt zu Oscar-Partys und PR-Events mit einer lilagrauen Mähne, wie sie sonst vor allem ältere Damen ziert. Modebloggerin Tavi Gevinson zeigte sich auf den Schauen in New York und Paris mit einem silbergrauen Bobschnitt; und das obwohl sie erst 13 Jahre alt ist. Sie nennt ihren Look "Roboter-Alien-Haar".

Doch nicht nur auf roten Teppichen und Laufstegen glänzen silberne Häupter, auch weniger prominente Menschen beweisen in Fußgängerzonen, U-Bahnen und Clubs Mut zum Grau. Was aber bewegt Menschen, die noch Lichtjahre entfernt vom natürlichen Ergrauen sind, dazu, diesen Prozess per Farbpackung so zu beschleunigen? Wollen sie Teil sein der Silversurfer-Generation?

Das ist jene Gruppe der Baby-Boomer, die noch im Berufsleben stehen und dank ihrer Kaufkraft die Wirtschaft am Laufen halten. Die heute über 50-Jährigen sind die reichste Generation, die es in Deutschland je gab. Vor gut zehn Jahren wurde für sie das Etikett "Silversurfer" erfunden, eigentlich der Name eines Comic-Helden aus den sechziger Jahren. Der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann hat in seinem 2007 erschienenen Buch den Begriff der "Generation Silver Sex" geprägt: Die heutigen "Senioren" wehren sich dagegen, zu altern - sie zelebrieren die Jugendlichkeit durch Fitnesstraining, Kosmetik und Mode. Sie fühlen sich durchschnittlich 15 Jahre jünger, als sie tatsächlich sind. "Es herrscht ein Kampf um die ästhetische Erscheinungsform", sagt Wippermann, "in dem sich derjenige durchsetzen wird, der jugendlicher aussieht."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie graues Haar zur Rebellion wird.

Wer nicht auf den Sex-Appeal à la Pierre Brice und Sky Dumont verzichten will, dem kommt der neu definierte Farbton zugute: Silber sind sie, nicht mehr grau wie in Nana Gualdis Schlager "Die Männer mit den grauen Schläfen". Damit solle die Sportlichkeit unterstrichen werden, so Trendforscher Wippermann. Dass nun vor allem junge Frauen freiwillig zu eben diesem Farbton greifen, sieht er als modische Rebellion gegen das Jugendlichkeits-Credo der Älteren. "Die nächste Generation nimmt das einfach auf die Schippe."

Junge Frauen, die sich symbolisch über den natürlichen Prozess des Älterwerdens hinwegsetzen, deren Jugendlichkeit auch eine Oma-Frisur nichts anhaben kann - Wippermann vergleicht diese Mode mit dem Trend zur Glatze. "Vor einigen Jahren rasierten sich junge, kreative Männer die Haare ab, zu einer Zeit, als andere alles daran gesetzt haben, sie zu behalten."

Ob sich diese Haarmode durchsetzen wird? Winfried Löwel vom Landesinnungsverbands der bayerischen Friseure bezweifelt das. Der Trend gehe zwar zu kalten Farben - asch- und platinblondem Haar zum Beispiel. "So entsteht ein silbriger Glanz", sagt er. Doch diese Farben könne nicht jeder tragen, warnt der Friseurmeister aus Nürnberg: "Das geht nur, wenn die Frau dazu bunte Kleidung trägt, und Farbe im Gesicht." Kalte, gräuliche Schattierungen darf sich also nur erlauben, wer jung ist, oder sich wenigstens darum bemüht, so zu wirken.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der Jugendwahn auch die Jugend selbst erfasst.

Ist der Griff zur grauen Farbpackung eine Karikatur der eigenen jugendlichen Eltern, ein Spotten über den Schmerz, den diese angesichts des Pigmentverlusts auf dem Kopf verspüren? Die Münchner Trendbeobachterin Cornelia Langwieser sieht das ähnlich wie ihr Hamburger Kollege. "Das ist eine Persiflage, aber eine ganz lieb gemeinte", sagt Langwieser.

Denn in Wirklichkeit haben sich längst auch junge Menschen dem Jugendwahn verschrieben: Erst kürzlich befand eine Studie zu Einstellungen bei Jugendlichen, dass der Fitness-Szene in der Jugendkultur die größte Bedeutung zukomme, Tendenz steigend. Fitness ist Pop. Der Trend zum blau- und lilagrauen Haar wäre nicht möglich ohne diesen veränderten Blick auf die lebensfrohen und konsumstarken Silversurfer. "Nach dem Motto: Das trau ich mich nur, weil Silberhaarige doch cool sind", erläutert Langwieser.

Das Bild der Jungen von den Alten ist positiv: Es sei mit "Hochachtung vor allem vor der Leistung der Älteren verbunden", befindet die jüngste Shell-Jugendstudie. Die Jugend beobachte die rüstigen, aktiven Senioren mit Wohlwollen. "Die Alten werden als Generation wahrgenommen, von der man noch etwas lernen kann", kommentiert Sozialwissenschaftler Mathias Albert, einer der Leiter der Jugendstudie. Problematisch wird es dann, wenn die Berufsjugendlichen Bereiche für sich entdecken, die bis dahin der tatsächlichen Jugend vorbehalten waren - und dort zur Konkurrenz werden.

Das silbergrau gefärbte Haar könnte so also auch als Warnsignal verstanden werden: Auch wenn ihr euch noch so sehr anstrengt, so jung wie wir werdet ihr nicht mehr.

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