Todesfall auf der Gorch Fock:Kadetten von Bord

Lesezeit: 3 min

Beim Abstieg vom mittleren Mast hat die 25-jährige Sarah S. den Halt verloren. Nach dem Todesfall auf der "Gorch Fock" stoppt die Marine die Ausbildung auf ihrem Paradeschiff.

Jens Schneider

Die neue Crew war gerade erst in Brasilien eingeschifft worden. Am 2. November begann für die 25 Jahre alte Sarah Lena S. im Hafen von Salvador de Bahia die "Segelvorausbildung". Zum ersten Mal kam sie an Bord des fast sechzig Jahre alten Segelschulschiffes Gorch Fock. Fünf Tage später, an einem Sonntag, übte sie mit anderen Kadetten das "Entern", also das schnelle Klettern in den Wanten. Das Wetter war mild, der Wind wehte nur leicht. Beim Klettern in der Takelage kann man sich, damit es schnell geht, nicht bei jedem Schritt mit Haken absichern. Nach alter Schule sollen die Kadetten sich nach der Maßgabe "eine Hand für sich, und eine Hand fürs Schiff" bewegen, also stets auch an den eigenen Halt denken.

Stolz der deutschen Marine: Seit 52 Jahren werden auf der Gorch Fock Offiziersanwärter ausgebildet. (Foto: dpa)

Beim Abstieg vom mittleren Mast, dem Großtopp, muss Sarah S., die aus dem Landkreis Holzminden in Niedersachsen stammte, den Halt verloren haben. Aus 27 Metern Höhe stürzte die junge Frau aufs Deck der Gorch Fock. Der Schiffsarzt beurteilte ihrem Zustand zunächst als stabil, doch bald darauf starb sie in einem Krankenhaus. Die Umstände sind ganz anders, aber manches erinnert doch an den September vor zwei Jahren. Damals stürzte die 18 Jahre alte Jenny Böken von der Gorch Fock in die Nordsee. Sie wurde erst elf Tage später tot geborgen. An Jenny Böken erinnert heute eine Stiftung, die verunglückten Bundeswehrangehörigen und deren Hinterbliebenen helfen will. Nach ihrem Tod hieß es, sie sei ausgerutscht. Auch sie war unerfahren, auch damals sprach die Marine von einem "tragischen Unglücksfall". Über die Hintergründe des Todes von Sarah S. ist noch nichts bekannt. Die Ermittlungen laufen noch. Aber die Marine zieht Konsequenzen.

Die Ausbildung auf dem Schulschiff, das als Aushängeschild der deutschen Marine gilt, wird ab sofort unterbrochen. Das Ausbildungskonzept solle überprüft werden, sagt Fregattenkapitän Uwe Rossmeisl, Sprecher des Flottenkommandos Glücksburg. "Die Marine nimmt sich Zeit, alles genau zu untersuchen", erklärt Rossmeisl, es gehe nun um die Frage: "Was können wir besser machen?" Ob das Ausbildungskonzept überhaupt geändert werde, das könne jetzt noch niemand sagen.

Die 70 Offiziersanwärter sollen bereits am Montag aus Brasilien nach Deutschland zurückfliegen und dann ihre Ausbildung an der Marineschule Mürwik bei Flensburg fortsetzen. Dort können sie theoretisch geschult werden, sie können an Simulatoren arbeiten und danach, ganz planmäßig, auf modernen Marineschiffen in die Seefahrt eingewiesen werden. Nicht nur für diese Kadetten wird es keine Ausbildung mehr auf der Gorch Fock geben. Auch ein Unteroffiziers-Lehrgang, der nach ihnen an Bord gehen und Kap Hoorn umsegeln sollte, wird die Reise nicht antreten. Das bedeute aber, so betont die Marine, auf keinen Fall das Ende der Schulungen an Bord des Segelschiffes.

Seit 52 Jahren zählen die Wochen auf dem weißen Dreimaster mit 2000 Quadratmetern Segelfläche zur Ausbildung aller Offiziersanwärter und auch der Sanitätsoffiziersanwärter. Seit 1997 segeln auch Frauen mit. Als nicht immer traumhaft, sondern oft umständlich und anstrengend, als militärischen Drill auf engem Raum bei ständig schwankenden Planken, so beschreibt die Bundeswehr in eigenen Filmen die Schulung auf dem von vielen Landratten nahezu mythisch bewunderten, 1958 gebauten Schiff mit Heimathafen Kiel. Eine Fangemeinde verfolgt jede Station der Ausbildungsfahrten und die nicht selten abenteuerlichen Reiseberichte von Kadetten und Mitgliedern der Stammbesetzung auf zuweilen gewaltig bewegter See.

Und auch für junge Kadetten sei die Zeit auf dem nach dem Hamburger Dichter Gorch Fock benannten Schiff in den letzten Jahrzehnten "ein Highlight" gewesen, und sehr wertvoll, sagt Fregattenkapitän Rossmeisl. Denn auf der einst in Hamburg von der Werft Blohm & Voss erbauten, 89Meter langen Gorch Fock könnten sie - ganz anders als auf den modernen Schiffen - direkt lernen, wie man mit den Naturgewalten umgeht.

Die Marine erinnert nun daran, dass es auf 156 Ausbildungsfahrten in 52 Jahren der Gorch Fock nur recht wenige Unfälle gegeben habe. Insgesamt 14500 Kadetten lernten an Bord das Handwerk des Segelns. Die Ausbildung soll zunächst für ein Jahr ausgesetzt werden, voraussichtlich bis zum September 2011. Eine mögliche Änderung könnte offenbar sein, dass die jungen Offiziersanwärter künftig nicht mehr direkt nach ihrer Grundausbildung auf das Segelschiff geschickt werden.

Die Gorch Fock soll schon bald weiter segeln. Weil das Schiff als "Botschafter unseres Landes" viele Repräsentationsverpflichtungen habe, werde es nun bald in Brasilien auslaufen, mit 80 Mann Stammbesatzung an Bord. Das nächste Ziel soll Argentinien sein, danach die Reise um Kap Hoorn.

© SZ vom 20.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: