Streit um Madonna-Auftritt in Polen:Oh, Maria hilf!

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Dass Madonna ausgerechnet an Mariä Himmelfahrt in Warschau auftritt, sehen manche Gläubige in Polen als Frevel. Sie haben der Queen of Pop den Kampf angesagt. Und Lech Walesa kämpft mit.

Thomas Urban

Die Gruppe meist älterer Frauen, die sich auf dem Warschauer Bankenplatz versammelt hat, versteht die Welt nicht. Eigentlich sollte hier eine Messe unter freiem Himmel stattfinden, es sollte für die Absage des Warschauer Konzerts der amerikanischen Sängerin Madonna gebetet werden. Doch die Messe wurde abgesagt - von den katholischen Bischöfen.

Popkönigin am Kreuz: Bei ihrer "Confessions"-Tour vor drei Jahren sang Madonna mit einer Dornenkrone vom Kreuz herab. Nicht nur strenggläubige Polen fühlen sich von Posen wie diesen verletzt. (Foto: Foto: dpa)

Die sind der Meinung, dass ein Gottesdienst keine "Form des Protests" sein dürfe, was die Frauen natürlich anders sehen. Sie gehören dem "Komitee zur Verteidigung des Glaubens und der Traditionen - Pro Polonia" an. Nun fühlen sie sich von ihrer Kirche verlassen.

Seit Wochen schon beschäftigt das für den 15. August geplante Freiluftkonzert auf einem alten Flughafen die polnischen Medien - es ist das große Sommerlochthema. Denn am selben Tag wird bekanntermaßen Mariä Himmelfahrt gefeiert, es ist der Höhepunkt der allsommerlichen Pilgerfahrten, zu dem sich jedes Mal Hunderttausende am Fuß der Klosterkirche des Wallfahrtsortes Tschenstochau zum Gebet versammeln.

Dort hängt die Schwarze Madonna, eine Muttergottesikone, deren Antlitz wohl vom Kerzenruß geschwärzt wurde. Sie gilt nicht nur als wundertätig, sondern ist vor allem das Nationalheiligtum Polens.

Popkönigin gegen Polens Königin

Es geht in dem Konflikt, der inzwischen sogar die Leitartikler beschäftigt und es zur Titelgeschichte des Magazins Newsweek Polska geschafft hat, um nichts weniger als um die Frage, ob die Madonna aus Tschenstochau einfach so Konkurrenz von der Madonna aus New York bekommen darf.

Die Popsängerin, die italienischer Abstammung ist und katholisch erzogen wurde, hat in ihrer Karriere immer wieder Elemente der Liturgie parodiert. Sie ist mit Dornenkrone aufgetreten und hat nach Meinung ihrer Kritiker das Leiden Christi verspottet, als sie in der Pose des Gekreuzigten an einem großen silbernen Kreuz hängend sang. All diese Bilder wurden jetzt in aller Ausführlichkeit noch einmal in den polnischen Medien gezeigt. Viele Kommentatoren unterstellen der Sängerin sogar, dass sie bewusst die religiösen Gefühle der Gläubigen verletze.

Doch nicht um Glauben allein geht es, sondern auch um Patriotismus. Die Muttergottes von Tschenstochau ist nämlich deshalb das Nationalheiligtum, weil sie angeblich schon zweimal die Nation vor dem Untergang gerettet hat. Das erste Mal im Jahr 1655, als die Schweden in das Land einfielen und es innerhalb weniger Wochen vollständig besetzten. Fast vollständig - denn der wie eine Festung ausgebaute Klosterberg hielt einer Belagerung stand.

Der Legende nach hat die Schwarze Madonna den Verteidigern Mut zugesprochen und gleichzeitig Verwirrung unter den Angreifern gestiftet. Jedenfalls zogen sich die Schweden erst aus Tschenstochau und bald aus dem ganzen Land zurück. Seitdem wird in Kirchenliedern Maria als "Königin Polens" besungen.

Das zweite Mal hat sie nach Überzeugung der Gläubigen im Jahr 1920 die Polen aus höchster Not gerettet. Damals stürmte die Rote Armee aus Russland nach Westen vor. Ziel war es, die Revolution nach Deutschland zu tragen. Doch bei Warschau stellte sich der roten Reiterarmee die polnische Kavallerie entgegen und schlug die Eindringlinge vernichtend. So rettete das "Wunder an der Weichsel" das Abendland, wie in allen polnischen Geschichtsbüchern steht. Man schrieb den 15. August. Der ist deshalb auch "Tag der Streitkräfte", die Muttergottes wurde seinerzeit zur "Ehrenoberkommendierenden" ernannt.

Angesichts dieses mythenbefrachteten Datums dachte eine Gruppe nationalkatholischer Lokalpolitiker, es wäre ein Leichtes, die Nation im Kampf gegen die falsche Madonna aus New York hinter sich zu bringen, und so gründeten sie "Pro Polonia". Die Medien stiegen groß ein, und kein geringerer als der frühere Volksheld und Staatspräsident Lech Walesa sagte seine Unterstützung zu. Walesa trägt stets ein kleines Abbild der Ikone von Tschenstochau an seinem Rockaufschlag; in kleinem Kreis schwadroniert er schon mal, er sei von der Gottesmutter ausgewählt worden, Polen zu retten.

Morgens Kirche, abends Konzert

Doch blieb der Träger des Friedensnobelpreises der einzige prominente Politiker, der die Aktionen gegen Madonna lobte. Der nationalkatholische Staatspräsident Lech Kaczynski, auf den Pro Polonia gehofft hatte, ließ ausrichten, es sei nicht Sache des Staatsoberhauptes, Auftritte von Künstlern zu bewerten. Auch Meinungsumfragen zeigen, dass die Polen sich zwar stark für die Kontroverse interessieren, dass aber nur eine kleine Minderheit sich an dem Konzert stört.

Damit bestätigt die Causa Madonna gegen Madonna soziologische Untersuchungen aus jüngster Zeit, nach denen die überwältigende Mehrheit der Polen sich zwar zum Katholizismus bekennt, aber in ihrem Alltagsleben sich immer mehr an den westlichen Gesellschaften orientiert. Der katholische Fundamentalismus ist den Untersuchungen zufolge auf dem Rückzug, die Autorität der Kirche nimmt immer mehr ab.

Ein Teil der Medien meint auch, dass es schon nicht so schlimm kommen werde. Denn erst kürzlich sei die Nachricht um die Welt gegangen, dass die mittlerweile 50 Jahre alte Popsängerin religiöse Erweckungserlebnisse gehabt habe. Deshalb werde sie in Polen sicherlich auf Provokationen verzichten.

Die liberale Polityka riet ihren Lesern listig zu einem Kompromiss: Sie sollten doch am 15. August vormittags in die Kirche gehen und Kerzen vor dem Marienstandbild anzünden, und am Abend könnte man dann, so moralisch gestärkt, das Madonna-Konzert besuchen. Die Aktivisten von Pro Polonia haben sich ihre eigene Strategie zurechtgelegt: Sie wollen während des Konzerts direkt nebenan laut den Rosenkranz beten.

© SZ vom 03.08.2009/bre - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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