Stilkritik: Schirmträger:Nass im Nacken

Der Despot Muammar Gaddafi mit Schirm erinnert an weitere Wesen, die bereits in andere Sphären abgehoben sind: An Mary Poppins zum Beispiel, das fliegende Kindermädchen.

Martin Zips

Staatsfernsehen und Wirklichkeit schließen sich seit jeher aus. Schon im DDR-Staatsfernsehen durften nur die unwirklichsten Moderatoren die neuesten LPG-Zahlen verkünden.

Das nordkoreanische Staatsfernsehen wiederum presst seinen realitätsfernen Pelzmützen-Führer in Endlosschleife ins Programm - und im libyschen Staatsfernsehen verkündet ein kahlköpfiger Gaddafi-Sohn vor einer riesigen Weltkarte vollkommen irreal, dass er bis zur letzten Kugel kämpfen werde. Wie erratisch kurz darauf sein Vater, der Revolutionsführer, mit einem Regenschirm in der Hand, seine Flucht nach Venezuela dementiert!

"Ich sandte dir ein Schutzdach, damit es von deinem verehrungswürdigen Haupte den Regen abhalte", schrieb Abt Alkuin von Tours dem Bischof Arno von Salzburg, als er ihm im Jahr 802 einen Regenschirm schickte.

Für wie verehrungswürdig man Gaddafis Haupt zu halten hat, ist eine Sache. Der Regen jedenfalls prasselt ihm derzeit kräftig ins Genick.

Da erinnert einen der Despot mit Schirm gleich an weitere Wesen, die bereits in andere Sphären abgehoben sind: An Mary Poppins zum Beispiel, das fliegende Kindermädchen. An den tschechischen Schirmträger Pan Tau, an Gene Kelly als Don Lockwood in "Singin' in the Rain" oder Mr. Steed aus "Mit Schirm, Charme und Melone".

An fiktive Gestalten also, die sich, ähnlich dem delirierenden Despoten, durch Traumwelten bewegen. Wesen, für die es nur einen einzigen Ort gibt, an dem sie wirklich gut aufgehoben sind: das Staatsfernsehen des Märchenlands.

© SZ vom 23.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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