Stalking:"Sie genießen die Macht, die sie über den anderen ausüben können"

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Was treibt einen Stalker an und wie sollte ein Opfer darauf reagieren? Der Psychiater Harald Dreßing weiß, was in Menschen vorgeht, die andere verfolgen.

Interview von Christina Berndt

Stalking ist für die Menschen, die es trifft, kaum auszuhalten. Oft gerät ihr Leben aus den Fugen, und was den Stalker antreibt, bleibt für sie unbegreiflich. Harald Dreßing, Leiter der Forensischen Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, hilft Betroffenen. Er kennt aber auch die Gegenseite: Für Gerichte begutachtet er Stalker.

SZ: Herr Dreßing, Stalker zeichnen sich durch extreme Hartnäckigkeit aus. Was kann man tun, um sie wieder loszuwerden?

Harald Dreßing: Es gibt eine klare Regel. Man muss einmal sachlich, aber deutlich kommunizieren: Ich wünsche keinen weiteren Kontakt. Von da an darf der Betroffene keine Kontaktaufnahme mehr beantworten. Das ist besonders wichtig.

Aber nicht so einfach. Was passiert denn, wenn man dem Stalker doch noch mal sagt: Nun hör endlich auf!

So zu reagieren ist menschlich. Aber das schafft nur neuen Anreiz. Wir sprechen von intermittierender Verstärkung. Wenn man 99 Mal nicht ans Telefon geht, aber beim 100. Mal eben doch, dann lernt der Stalker: Ich muss nur hundert Mal anrufen, dann bekomme ich wieder Kontakt.

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Und wenn anhaltendes Schweigen auch nicht hilft?

Dann sollte man rechtliche Schritte einleiten. Aber auch das sollte man entschlossen und mit ganzer Energie tun, nicht ein bisschen und wieder zurück.

Wenn der Stalker psychisch krank ist, ist man vor Gericht doch machtlos.

Da befinden wir uns in der Tat in einem Dilemma. Gegen gesunde Stalker können Näherungsverbote oder Anrufverbote verhängt werden, denen bei Nichtbeachten empfindliche Geld- oder Freiheitsstrafen folgen. Aber wenn der Stalker aufgrund einer psychischen Störung sein Handeln nicht steuern kann, sind die rechtlichen Mittel beschränkt. Nur wenn es zu Gewalt kam oder erhebliche Gefahr für Gewalt besteht, ist die Unterbringung im Maßregelvollzug möglich.

Sind Menschen, die anderen nachstellen, nicht alle krank?

Nein, mehr als 95 Prozent sind gesund. Sogar solche, die ihren Job aufgeben, um in Vollzeit stalken zu können. Nur weil sich jemand unnormal verhält, ist er nicht krank.

Dafür machen die Stalker am Ende sicher die Betroffenen krank ...

Oh ja, zehn bis 20 Prozent werden depressiv oder ängstlich. Bei manchen entwickeln sich Vorstufen einer posttraumatischen Belastungsstörung: Wenn das Telefon klingelt, bekommen sie eine Panikattacke. Sie ziehen sich zurück. Wir raten Betroffenen, aktiv dagegen anzugehen. Sie können das Stalking nicht verhindern, aber sie können kompetenter werden im Umgang damit. Sie sollen trotzdem ihr Leben leben.

Trägt man eine Mitschuld, wenn man Opfer von Stalking wird?

Nein, jeder kann zum Betroffenen werden. Es gibt da keine spezifischen Persönlichkeits- oder Verhaltensmerkmale, die einen prädestinieren. Manche Betroffene hatten sogar nie mit dem Stalker zu tun. Er hat sie vielleicht nur mal auf der Straße gesehen und ist seither fest überzeugt, dass sie ihn lieben.

Das sind aber die Ausnahmen, oder?

Das ist richtig, und das sind dann auch die psychisch kranken Stalker. Etwa 60 Prozent aller Stalker sind dagegen Ex-Partner. Sie sind zugleich die gefährlichsten, in jedem zweiten dieser Fälle kommt es zu Gewalt, mitunter zu schwerer. Oft hatten Stalker und Gestalkter auch beruflichen Kontakt. Der ist dann vielleicht nicht so gelaufen, wie sich der Stalker das vorgestellt hat. Besonders häufig sind Ärzte, Anwälte, Lehrer betroffen.

Was geht in einem gesunden Stalker vor? Sind in seiner Kindheit schlimme Dinge passiert?

Oft ist die Persönlichkeitsstruktur dieser Menschen narzisstisch und dissozial geprägt. Sie genießen die Macht, die sie über den anderen ausüben können. Wenn man in die Kindheit von Stalkern geht, findet man häufig eine unsichere Bindungserfahrung. Die Eltern waren nicht fürsorglich, nicht verlässlich. Das macht diese Menschen wohl für Trennungen so vulnerabel.

Also können einem Stalker leidtun?

Nur weil man ihr Verhalten erklären kann, heißt das nicht, dass es zu entschuldigen ist. Viele Menschen haben ähnlich schwierige Erfahrungen gemacht, ohne zu Stalkern zu werden.

© SZ vom 12.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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