Ja, der Winter. Stundenlang kann Lee darüber reden. Wie es ist, im Schnee oder Matsch über Uferböschungen zu rutschen, und alles am Körper ist so klamm, dass sie sich kaum bewegen kann. Barfuß und bibbernd durch den Schnee zu waten, Eis aufzuhacken, mindestens 45 Züge zu machen, zwei bis drei Minuten sind das. Ohne Neoprenanzug, um die Kälte zu spüren und zu wissen, wann Schluss ist. Und am Ende dann dieses Kribbeln, das den Körper durchflutet und den ganzen Tag anhält, das "Nachglühen". Es gebe nichts Besseres, als im Winter im Wasser zu sein, immer weiter an die Grenzen des Kälteempfindens zu gehen, sagt Jessica Lee, "das ist wie eine Sucht."
Und sie ist nicht die Einzige. Inzwischen gibt es eine ganze Bewegung von Schwimmern, die auf der Suche nach dem Kältekick sind. Im Winter schwimmen sie zwischen Raureif und Schnee, im Sommer steigen sie in eiskalte Gletscherseen, Kälteschwimmen ist eine Art Abenteuersportart geworden. Auf Fotos auf Instagram sieht man dann Leute, wie sie im eisgrauen Wasser durch Nebelschwaden gleiten oder in tiefschwarzen Gebirgsseen baden, die Haut rosig von der Kälte.
Lee sagt, das Schwimmen im See habe sie aus einer Depression geholt. Als sie nach Berlin kam, hatte sie eine Scheidung und eine Abtreibung hinter sich, in Deutschland kannte sie niemanden, ihre Familie war auf einem anderen Kontinent. In solchen Momenten ins kalte Wasser zu gehen habe zugleich etwas Destruktives und Erlösendes, sagt Lee. Das Gefühl, sich aufgerafft, etwas geschafft zu haben.
In der Krummen Lanke ist es nach einigen Minuten fast angenehm. Man spürt keinen Schmerz mehr, nur das Bedürfnis weiterzuschwimmen in diesem kalten, klaren, graublauen Wasser. Irgendwann sagt Lee, dass es Zeit sei, aus dem See zu kommen. Sie rubbelt sich trocken und steckt ihre Badesachen in eine Plastiktüte. Inzwischen ist noch ein anderer Schwimmer gekommen, er geht nackt in den See und nickt Lee dabei zu, in der Szene kennt man sich. Es gebe immer eine Reaktion, wenn sie aus dem Wasser steige, sagt Lee. Meistens wird sie gefragt: "Waren Sie etwa schwimmen?" Aber es gab auch schon Leute, die besorgt waren, sie wolle sich etwas antun.
Lee trinkt zum Aufwärmen Tee aus einer Thermoskanne und blickt über den See. Die kleinen Buchten, die Äste der Bäume, die über Wasser ragen. Bald wird hier alles voll sein mit Leuten, die plantschen, grillen, Spaß haben, Party machen wollen, "deswegen hasse ich den Sommer", sagt Lee. Das klinge jetzt zwar "total hippy- dippy, aber ich will das Gefühl haben, mit der Natur verbunden zu sein." Lee hält kurz inne, als gebe es noch eine rationalere Erklärung für ihr Tun. Ach ja, sagt sie. Seitdem sie fast jeden Tag in einem See bade, sei sie nie mehr erkältet.