Dem Geheimnis auf der Spur:Die Schattenexistenz

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Ein Scherenschnitt zeigt die Silhouette von Étienne de Silhouette. (Foto: Interfoto)

Sein Name wurde zum bekannten Begriff, aber kaum jemand kennt das Schicksal von Étienne de Silhouette.

Von Rudolf von Bitter

Jedes Wort hat seine Geschichte. Vor einigen Jahren konnte man, anlässlich eines Romantitels, die Herkunft der "Habseligkeiten" erfahren. Ein alltäglich und selbstverständlich benutztes Wort bekommt plötzlich neue Konturen. Und wie ist es mit den Konturen selbst, oder dem Synonym, der "Silhouette"? Den Umriss bekannter Persönlichkeiten darzustellen, war große Mode in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, kaum ein Dichter und Denker von Goethe bis Voltaire, von dem es nicht einen Scherenschnitt gibt, gemacht nach seiner Silhouette.

Heute ist das Wort vor allem in der Mode ein Begriff. Nachgewiesen ist es im Französischen seit 1788, doch die Formulierung à la silhouette gab es schon dreißig Jahre vorher. Als à la silhouette wurden Gegenstände bezeichnet, die sparsam angefertigt, gewissermaßen hingehuscht waren, also etwas allenfalls Umrissenes, Leeres. So wurden die um diese Zeit modischen Hosen, die keine Taschen hatten, als à la silhouette charakterisiert, ebenso Tabaksdosen aus rohem Holz und eben auch die schlichten schwarzen Porträts im Profil. Gleichzeitig gab es eine Anzahl lustiger Liedchen und Spottverse in der Art von "Was Gott uns einst geschenkt, der Nette, das nimmt uns jetzt Herr Silhouette".

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Einen entscheidenden Hinweis, wie es dazu kam, gibt Voltaire, der Philosoph und kritische Beobachter seiner Zeit: "Wir hatten als Finanzminister einen Silhouette, von dem wir nur wussten, dass er (...) Pope übersetzt hat. Er galt als Adler, und erwies sich nach vier Monaten als Küken. Er hat das Geheimnis gelüftet, wie man die Kreditwürdigkeit so vernichtet, dass der Staat an kein Geld mehr kam." Voltaire bezieht sich auf Étienne de Silhouette, der sich nur kurze Zeit im Amt hielt, sodass seine Politik nicht recht Gestalt annehmen konnte. Und genau das war das Ziel seiner Gegner: Der Finanzminister sollte sich nicht durchsetzen können mit seinem Vorhaben, die vom Siebenjährigen Krieg ramponierten Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen.

Um die Kassen zu füllen, ließ der Finanzminister sogar Gold- und Silberwaren einschmelzen

Silhouette wurde 1709 als Sohn eines Steuerpächters in Limoges geboren. Schon als 22-Jähriger wandte er sich angesichts wiederkehrender Hungersnöte bei gleich bleibender Steuerlast gegen Prasserei und Luxus. Am 4. März 1759 wurde er von König Louis XV. zum Generalkontrolleur der Finanzen ernannt. Bereits sechs Wochen später wurden die Steuerprivilegien von Adel, Bürgertum und Militär aufgehoben: "Wir haben, solange der Krieg herrscht und zwei Jahre über den Friedensschluss hinaus, kein gerechteres Mittel gefunden, als jene unserer Untertanen wieder in die Klasse der Steuerpflichtigen eintreten zu lassen, die steuerpflichtig geboren sind, die sich aber durch den Erwerb aller möglicher Ämter der Entrichtung von Steuern entzogen haben, die zu tragen sie dabei eher in der Lage waren als die anderen."

Der Beschluss lautete unter anderem: Aufhebung der Steuerbefreiungen, Streichung ungerechtfertigt zuerkannter Löhne und Pensionen und Abtretung der Hälfte der Provisionen der Steuerpächter. Mit seinen Maßnahmen hatte sich Silhouette schlagartig eine unübersehbare Menge an Feinden geschaffen, die bisher von Steuern ausgenommen gewesen waren. Dass er selbst adelig war und trotzdem die Sonderrechte des Adels angriff, machte ihn in den Augen seiner Standesgenossen zu einem Verräter. Doch bei der Streichung der Privilegien blieb es nicht: Madame de Pompadour und der Kriegsminister, Maréchal de Belle-Isle, wollten England erobern, dafür benötigten sie Geld, und Silhouette musste deshalb bald weitere Steuern erheben. Um die Kassen des Staates zu füllen, ließ er sogar Gold- und Silberwaren einschmelzen.

Seine Feinde lasteten ihm die Kosten ihrer eigenen Niederlagen an

Das Streichen der Adelsprivilegien hatte Silhouette beim Volk beliebt gemacht, doch jetzt kippte die Stimmung. Voltaire notierte: "(...) sie besteuern immerhin nicht die Luft, die wir atmen; aber sonst wüsste ich nichts, worauf keine Steuer erhoben würde." Es war die beste Gelegenheit, den Minister scheitern zu lassen, aber nach Art des Hofs von Versailles. Gemordet wurde da nicht mit dem Dolch, die Waffe der Wahl war le ridicule: "Laster haben keine Folgen, aber Lächerlichkeit ist der Tod." Silhouettes Name wurde zum Synonym für Dinge, die als billig, minderwertig oder unvollendet galten. Am 21. November 1759 wurde er entlassen. Aber auch das reichte seinen Feinden nicht. Der Marschall und wer immer Geld vergeudet hatte, lasteten dem geschassten Minister die Kosten ihrer eigenen Niederlagen an, bis sich niemand mehr mit Silhouette in Verbindung bringen lassen wollte.

Während bei manchen Alltagsbegriffen wie Diesel oder Röntgen die jeweiligen Urheber noch präsent sind , ist es wohl einmalig, dass der Name einer Person so weit verballhornt wird, dass er als Wort bekannt ist, der Mensch dahinter aber totgeschwiegen wird. Dabei hatte Jean-Jacques Rousseau Étienne de Silhouette noch am 2. Dezember 1759 in einem Brief gehuldigt: "Sie haben dem Geschrei der Profiteure die Stirn geboten. Als ich Sie sah, wie Sie diese Elenden zertraten, habe ich Sie um Ihr Amt beneidet; dafür, dass Sie es verließen, ohne zu widerrufen, bewundere ich Sie." Rousseaus Freundin Madame de Luxembourg erfuhr davon und bat um eine Kopie des Schreibens. Der Philosoph gab sie ihr, ohne zu wissen, dass sie zu den Feinden Silhouettes gehörte, und fiel bei ihr in Ungnade. Wie erfolgreich die Unterdrückung des Namens war, zeigt sich in Rousseaus "Bekenntnissen": Wenige Jahre später notiert er beiläufig, dass ihn jemand um ein "profil à la silhouette" gebeten habe. Der Gedanke an den Minister war da bereits verblasst. Der war nicht einmal mehr ein Schattenriss seiner selbst, allenfalls blieb eine Ahnung.

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