La Boum:Der Gestank

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(Foto: Steffen Mackert)

Unsere Kolumnistin wird beleidigt. Aber immerhin ist der Bäcker lustig. Oder eher dumm?

Von Nadia Pantel

Es war Dienstag, ich stand an der Ampel, auf der Straße radelte eine Frau auf mich zu. Sie trug ein bunt geblümtes Sommerkleid, sie sah freundlich und fröhlich aus. Als sie auf meiner Höhe angekommen war, sagte sie im Vorbeifahren: "Du stinkst." Nun möchte ich nicht ausschließen, dass ich stank. Es war das Ende eines heißen Tages, irgendwann verlässt da jeden die Frische. Vor allen Dingen, wenn man sich mit einem Fahrrad den Hügel hinaufkämpft. Aber Moment - das machte ja die Frau im Blümchenkleid, nicht ich. Eine höchstwahrscheinlich stinkende Frau hatte mir also gesagt, ich würde stinken.

Es kann sein, dass die Frau schwanger war und daher eine extra sensible Nase hatte. Ich habe mal eine Indienreise gemacht, auf der ich eigentlich kaum je einen anderen Gedanken fasste, jenseits von "Das stinkt" und "Du stinkst". Als ich in Deutschland ankam, war es Winter, alles war komplett weiß. Und ich roch den Neuschnee und dachte: "Bäh, der stinkt." Da wurde mir klar, dass das Problem weder bei Indien lag, noch beim Schnee. Ich war im zweiten Monat.

In diesem Fall, würde ich sagen, lag das Problem nicht bei mir, sondern bei der Frau auf dem Fahrrad. Wobei es ihr nach der Beschimpfung hoffentlich besser ging, es kann erleichtern, wenn man mit seiner schlechten Laune nicht mehr allein ist. Was das breite Streuen der eigenen Aggressionen angeht, ist Paris eine sehr ausgleichende Stadt: Jeder kriegt mal was auf die Nuss.

In seinem Standardwerk für gut beobachtete Parisklischees beschreibt der Autor Olivier Magny, wie die Stadt ihre Bewohner zu gepflegtem Missmut erzieht. Es gibt das Kapitel "die Amerikaner", in dem erklärt wird, dass Amerikaner als dumm gelten, weil sie zu viel lachen. In einem anderen Kapitel erklärt er, warum intelligente Leute sich nicht dazu herablassen, witzig zu sein.

Für Pariser Standards bin ich vermutlich etwas dumm, mein Humor neigt Richtung Kegelverein. Aber manchmal gelingt es mir, im Schoß des Snobismus meinen Platz zu finden. Zum Beispiel, als ich kürzlich beim Bäcker mein Geld vergessen hatte. "Zahlen Sie morgen", sagte der Bäcker. "Aber wehe Sie kommen nicht, ich weiß, wo Sie wohnen." Ich lachte, der Bäcker war lustig. (War er vielleicht dumm?) Beschwingt trug ich ein Brot und ein Törtchen aus dem Laden. Ich fühlte mich so zufrieden, als hätte ich in einer guten Bar anschreiben lassen. Zu Hause aß ich dann das Törtchen. Es war widerlich. Trocken und pappig. Sofort vergaß ich, dass ich es nicht einmal bezahlt hatte und sah es voll Verachtung an. Olivier Magny hätte mich nicht von einer echten Pariserin unterscheiden können. Am nächsten Tag beglich ich dann meine Schulden. Der Bäcker weiß nämlich tatsächlich, wo ich wohne, weil mein Sohn (der, wegen dem ich neun Monate dachte, alles stinke) ihm jeden Tag durch die Scheibe begeistert zuwinkt. Er ist die andere Art Pariser.

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Paris-Kolumne
:La Boum

Nadia Pantel ist SZ-Korrespondentin in Frankreich. Über ihr Leben in Paris schreibt sie jeden Freitag die Kolumne "La Boum". Hier gibt es alle bisher erschienenen Folgen zum Nachlesen.

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