Das Konzert, das dieser Solokarriere den ersten Schub geben soll, ist mit Hilfe einiger Backstreet-Boys-Nummern gerade in Fahrt gekommen, da reißt die Musik plötzlich ab. Auf die Bühne tritt ein Mann mit Anzug, gelber Krawatte, Seitenscheitel und angestrengt würdevoller Mimik, eine Aktenmappe unterm Arm. Er ähnelt Guido Westerwelle, heißt aber Olaf. Olaf vom Guinness Book of Records. Man werde, sagt eine fröhliche PR-Frau, nun gleich einen Weltrekord versuchen, es gehe darum, den Refrain des Backstreet-Boys-Songs "As long as you love me" fünf Minuten lang zu pfeifen.
Als Backstreet-Boy machte Nick Carter weichgespülten Mainstream-Pop und wurde zum Held Millionen junger Mädchen. Heute macht Nick Carter immer noch weichgespülten Mainstream-Pop. Wenn auch in kleineren Hallen.
(Foto: dpa)Lange Gesichter bei den Mädchen. Ihr Star hat gerade versprochen, den vierten Knopf seines Hemdes in Kürze öffnen zu wollen, und jetzt das. "Ich bin zu heiser zum Pfeifen", pampt eine dünne Brünette und verzieht sich nach hinten, der Rest spitzt etwas lustlos die Lippen, die Band spielt ein paar Takte an, dann beginnt der Weltrekordversuch.
Nick Carter pfeift. Er pfeift mit dem gleichen Enthusiasmus, mit dem er eben noch gesungen hat, er ist sich nicht zu schade für die Aktion. In diesen langen fünf Minuten bringt er alle Gesten unter, die er als Backstreet Boy gelernt hat: den federnden Seitgalopp über die Bühne, den flehentlich ausgestreckten Arm, die aufs Herz klopfende Hand, die geschlossenen Augen als Zeichen für höchste Emotionalität.
"Ziele immer auf den Mond, denn wenn du ihn verfehlst, landest du wenigstens zwischen den Sternen", hat er vorhin im Hotelzimmer gesagt. Aber manchmal kannst du auf den Mond zielen, wie du willst, du landest doch nur im Berliner Fritz Club vor 200 ungeduldigen Mädchen, die jetzt noch fünf Minuten länger warten müssen, bis du endlich das Hemd aufknöpfst.
Das "Music & Lifestyle Hotel Nhow" am Spreeufer verbreitet den Charme einer MTV-Studiokulisse. Aus den Lautsprechern rinnt die Sirupstimme von Justin Bieber, die Rezeption ist pink, die Bar bläulich, die Sitzlandschaften in der Lobby sehen aus wie Blubberblasen, die zu Schaumstoff geronnen sind. Es ist der Nachmittag vor dem Konzert. In den Blubbersesseln sitzen die Mädchen.
Es sind eigentlich Frauen zwischen Mitte 20 und Mitte 30, aber dann halt doch wieder Mädchen, weil sie Autogrammkarten und Digicams so fest umklammert haben, dass die Haut über den Fingerknöcheln blutleer ist. Das Management hat die Location an den Fanclub durchsickern lassen, der Fanclub hat sie über Twitter verbreitet, und nun ist die Lobby des Nhow Hotels voll. Die Mädchen warten auf Nick.