Mountainbike-Freeriding:"Angst kommt im Alter"

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Warum man als Freerider nicht nachdenken darf und wieso jüngere Fahrer waghalsiger sind - Guido Tschugg über Abfahrten und Stürze.

Stephan Bernhard

Nicht nur Skifahrer, auch Mountainbiker treten inzwischen bei Freeride-Wettkämpfen an. Dabei rasen die Fahrer fast senkrechte Wände hinab oder stürzen sich über zehn Meter hohe Felsen. Der 33-jährige Guido Tschugg ist der einzige Deutsche, der zu den berüchtigsten Wettkämpfen in den USA eingeladen wird

Irre Sprünge: Die Strecken von MTB-Freeridern sind für normale Biker unfahrbar. (Foto: Foto: oh)

SZ: Sie rasen mit 60 Kilometer pro Stunde auf Klippen zu und fliegen dann 20 Meter weit durch die Luft. Wie fühlen Sie sich am Start eines Wettkampfs?

Tschugg: Ich gehe jedes Detail meiner Linie durch, genauso wie ein Skirennläufer. Ich fahre nicht einfach los und hoffe, das ich heil unten ankomme. Vorher schaue ich jeden Sprung genau an. Manchmal fahre ich zehnmal auf eine Klippe zu und bremse kurz vor dem Absprung - bis ich die Geschwindigkeit exakt einschätzen kann, um nicht zu weit oder zu kurz zu springen.

SZ: Für Zuschauer sieht es absurd gefährlich aus, wenn ein Mountainbiker über eine zehn Meter breite Schlucht springt. Wie sehen Sie das Risiko? Tschugg: Sicher sind diese Sprünge gefährlich. Deshalb werden auch nur Fahrer eingeladen, die schon bewiesen haben, dass sie solche Abfahrten meistern können. Bis man so weit ist, vergehen Jahre. Man fängt klein an, sammelt Erfahrung und versucht immer größere Sprünge. Ich sitze seit meiner Kindheit auf dem Bike und trainiere das ganze Jahr. Ich denke, dass ich im Sattel immer alles unter Kontrolle habe. Ein Restrisiko bleibt. Aber das gibt es überall.

SZ: Wie würde es einem Hobbyfahrer ergehen, wenn er Ihnen auf so einer Abfahrt folgen würde?

Tschugg: Der würde ziemlich bald anhalten, sein Bike schultern oder den Hang hinabwerfen, weil das Gelände so unwegsam ist, dass er klettern muss. Für einen Normalsterblichen sind solche Linien nicht fahrbar. Daher halten uns viele für verrückt. Aber ich sage: Es ist ein Sport wie jeder andere. Für einen normalen Autofahrer wäre es auch Wahnsinn, wenn er auf einmal wie ein Formel-1-Fahrer in Kurven rasen würde.

SZ: Formel-1-Rennen sind ja nun auch nicht unbedingt ungefährlich. Denken Sie denn über die Konsequenzen eines möglichen Sturzes nach?

Tschugg: Sobald man nachdenkt, hat man eine Blockade im Kopf und kann nicht mehr Vollgas geben. Das muss man aber, wenn man auf dem Siegertreppchen stehen will. Auf Wettkämpfen sehe ich oft junge Nachwuchsfahrer, die überall runterspringen. Ältere, so Ende 20, gehen viel zögerlicher an den Start. Das Nachdenken beginnt wohl, wenn man älter wird.

SZ: Ist man deshalb mit 30 schon zu alt für diesen Sport?

Tschugg: Ich bin jetzt 33. Zum Glück ist das bei mir noch nicht so, jetzt jedenfalls noch nicht. 35-Jährige sind bei einem Rennen sicher keine Seltenheit. Aber ich fühle mich auch noch nicht wie ein 33-Jähriger. Ich glaube, darum geht es eigentlich. Vor ein paar Wochen musste ich in Slowenien sogar noch meinen Ausweis vorzeigen, um in eine Disco zu kommen. Aber mittlerweile spüre ich Stürze schon ein paar Tage länger als früher.

SZ: Haben Sie in den zehn Jahren Ihrer Profikarriere nach einem Sturz je ans Aufhören gedacht?

Tschugg: Schwer zu sagen, da sind ja einige Stürze zusammengekommen. Dieses Jahr bin ich nach einem Sprung genau auf dem Rücken gelandet. Das hat sich angefühlt, als würde mir ein Blitz durch die Wirbelsäule schießen. Zuerst dachte ich, mein Rücken sei gebrochen. Aber dann war es doch nur eine schwere Prellung, die mir drei Wochen lang das Leben schwergemacht hat. Wegen so etwas hänge ich meine Bike-Karriere aber nicht an den Nagel. Ein Unfall kann mir schließlich auch jeden Tag auf der Autobahn passieren.

SZ: Gibt es Tage, an denen Sie lieber einen anderen Beruf hätten?

Tschugg: Vor drei Jahren hatte ich ein Motivationsloch, weil es sportlich nicht gut lief. Aber das ist überwunden. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht und weiß, dass das ein Privileg ist. Aber das heißt nicht, dass ich nicht arbeite. Ich stehe morgens auf, trainiere, mache Pressearbeit und bin ständig unterwegs. Fliege von einem Fotoshooting zum nächsten Rennen und lebe wochenlang aus dem Koffer. Außerdem verdiene ich im Moment zwar mehr als in meinem alten Beruf als Heizungsbauer, habe aber nicht ausgesorgt und wenn man plötzlich keine Erfolge mehr vorweisen kann, ist man schnell weg vom Fenster.

© SZ vom 24.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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