Es ist schwer vorstellbar, dass irgendjemand ausgerechnet Noli mit dem Anbau von Salat, Bohnen oder Zucchini in Verbindung brächte. Der Badeort an Liguriens Riviera wirkt, als hätte ihn ein Landschaftsmaler am Fuß der Berge platziert. Zur Hochsaison bummeln gut gelaunte Menschen durch die Gassen der Altstadt und über die von Oleander gesäumte Meerespromenade. Am Strand stehen Liegen und Sonnenschirme so dicht an dicht, dass man sich zum Wasser regelrecht vorarbeiten muss. Und wer dann hinausschwimmt in die azurblaue Bucht, der käme nicht im Traum darauf, dass unter ihm, fest verankert auf dem Meeresgrund, Italiens spannendster Gemüsegarten liegt.
Luca Gamberini wartet etwas abseits der Strandbar und winkt, damit man ihn unter den vielen Badegästen auch ausmachen kann. Und natürlich wirkt der 32-Jährige nicht wie ein Gärtner. Eher wie ein Surfer - halblange, vom Salzwasser gebleichte Haare, gebräunter Oberkörper, sonnengelbe Bermudas. Gamberini grinst zur Begrüßung; auch, weil er längst weiß, was jetzt kommt. Schließlich reisen Menschen aus aller Welt an, um sich sein Gemüseprojekt anzusehen, die Washington Post war da, Wissenschaftler, mögliche Investoren, das italienische Fernsehen sowieso. An einem Tag musste Luca Gamberini einmal 17 Interviews geben. Er kennt also die Überraschung der Besucher bei der Ankunft, ihre fragenden Blicke, ob sie hier richtig sind. Was, an diesem Touristenstrand wird Basilikum angebaut? Unter Wasser?
"Schön, dass Sie da sind", sagt Gamberini dann und schiebt den Besucher vorbei an hölzernen Umkleidekabinen, die sich hier bis zum Ufer reihen. Er öffnet den letzten Verschlag und deutet ins Innere: vier Quadratmeter, darin nur ein Hocker und ein Tisch, die Bretterwände hängen voll mit Monitoren, Mikros und Reglerarmaturen, durchs Fenster sieht man auf das Ligurische Meer. "Unsere Überwachungsstation", erklärt er und grinst wieder. "Oder einfach das schönste Büro der Welt." Dann deutet er auf vier Bojen, die 50 Meter vor der Küste ein etwa 100 Quadratmeter großes Feld markieren: "Dort drüben, acht Meter unter der Oberfläche, liegt Nemo's Garden."
Der Garten der Gamberinis besteht aus sechs halbkugelförmigen Gewächshäusern aus Leichtbaukunststoff, von denen jedes mit 24 Eisenketten und Gewichten auf dem Grund gehalten wird. Diese sogenannten Biosphären schließen unter Wasser Luft ein, an der Unterseite sind sie offen und nur für Taucher zu erreichen. Drinnen gedeiht erstaunlich viel: Bohnen und Kräuter, Zucchini, Salat, Blumen, Erdbeeren und bald, so hoffen sie, Tomaten. Es ist ein Projekt, das bei den meisten Gästen zwei widerstreitende Reaktionen zugleich auslöse, wie Luca Gamberini sagt: Skepsis wegen des Aufwands und Euphorie wegen der Möglichkeiten, die sich hier auftun.
Denn der Gemüseanbau in Luftblasen am Meeresgrund scheint einige geradezu bestechende Vorteile zu bieten: Er funktioniert so gut wie ohne Zufuhr von Wasser und Energie: Die Sonne hat hier unten noch mehr als die Hälfte ihrer Kraft. Sie ermöglicht Fotosynthese und hält die Temperatur in den Biosphären relativ konstant, bei 18 Grad im Winter und bis zu 32 Grad im Sommer. In der Wärme verdunstet Meerwasser, das dabei seinen Salzgehalt verliert und als Kondensat für die Versorgung der Pflanzen genutzt wird. Mangels Schädlingen erübrigt sich hier unten der Einsatz von Pestiziden. Zudem experimentieren die Gamberinis mit der Herstellung von Biodünger - aus Algen, die sich an Hanfseilen im Meer sammeln lassen. Sollte auch das gelingen, dann wären die Biosphären autark.
Es ist also kein Wunder, dass diese Anlage die Fantasie beflügelt. Dass Nemo's Garden auf der Weltausstellung in Mailand vorgestellt wurde oder das Frankfurter Zukunftsinstitut das Projekt in seinem aktuellen Bericht über Ernährungstrends rühmt. Tatsächlich berührt der Meeresgarten von Noli ja einige Kernfragen, mögen diese in der ligurischen Sonne vis-à-vis der planschenden Touristen auch weit weg wirken: Wie ernährt man eine Weltbevölkerung, die sich auf die acht Milliarden zubewegt? Angesichts ausgelaugter Böden, zunehmender Erosion, Versteppung und Wassermangels? Luca Gamberini sagt, man könne ja zusehen, wie alles aus den Fugen gerate. Wie in Texas Städte im Hurrikan-Regen versinken, während "Italien in diesem Jahr die schlimmste Dürre hatte, an die wir uns erinnern. In Rom wurde das Wasser rationiert, die Ernteausfälle sind riesig."
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Forscher glauben, dass Ozeane für die Ernährung immer wichtiger werden
Angesichts solcher Bedingungen gehe es nicht darum, ob, sondern "wie lange uns die konventionelle Landwirtschaft noch ernähren kann. Zehn Jahre? Oder doch noch 20?" Mögliche Antworten auf die Probleme gibt es unübersichtlich viele. Und bei der weltweiten Suche nach der Farm der Zukunft spielen jetzt oft Meere und Metropolen eine Rolle: In den USA wachsen urbane "Aerofarmen" in die Höhe, die auf vertikalen Gemüseanbau, Nährstofflösungen und LED-gestützte Fotosynthese setzen. Ihnen wird ein Milliardenmarkt vorhergesagt.
Forscher der norwegischen Regierung arbeiten an der Perfektion der Aquakultur und predigen, dass die Ozeane, ob mit der Zucht von Fischen oder Pflanzen, eine völlig neue Bedeutung für unsere Ernährung haben werden. Und in Städten wie in Berlin hat man Erfolg mit Aquaponik - ein Kreislaufsystem, das Gewächshäuser mit Aquarien, Gemüse- mit Fischzucht verbindet.
Eine Unterwasserzucht für Kräuter und Gemüse aber gibt es nur in Noli. Und wenn der Garten der Gamberinis hervorsticht unter der Vielzahl an Projekten, dann auch deshalb, weil er beweist, wie wenig es braucht, um innovativ zu sein. Wie weit man kommen kann, mit der Lust am Experiment, Hartnäckigkeit und einer interessanten Idee. Einer Idee, die zugespitzt formuliert "in einer Weinlaune" entstanden ist, wie Luca Gamberini erzählt.
Seine Familie betreibt eigentlich eine Firma für Tauchausrüstung in Genua. Sergio Gamberini, Lucas Vater, ist Ingenieur und leidenschaftlicher Hobbygärtner. Er sitzt oft mit einem befreundeten Bauern zusammen, der ihn eines Tages aufzog: "Tauchen und Gärtnern - wie perfekt wäre dein Leben erst, wenn du unter Wasser Gemüse anbauen könntest!" Bei einem Tauchgang kam Sergio Gamberini auf die Idee, Basilikumsamen in einem Plastikballon unter Wasser zu lagern und zu warten. Fünf Jahre ist das nun her. Und die Saat ging auf.
Luca Gamberini unterbricht seine Erzählung, um seinen Neoprenanzug anzuziehen. Er will in die Gewächshäuser tauchen, um alles von dort aus zu erklären - über Kamera und Mikrofon. Außerdem hat eine Schweizer Wissenschaftsjournalistin um ein Skype-Interview unter Wasser gebeten. Es dauert 15 Minuten, bis er in einer der Biosphären auftaucht und sein Bild auf einem Monitor in der Strandkabine erscheint. Das Gewächshaus hat etwa zwei Meter Durchmesser und erinnert entfernt an die Reichstagskuppel. Ein breiter Schlauch führt spiralförmig bis zur Kugeldecke, darin stecken kleine Zylinder mit Glaswolle für die Setzlinge.
Für ihre Versorgung wird düngerhaltiges Wasser durch den Schlauch gepumpt. "Können Sie die Kräuter gut sehen?", fragt Gamberini über Mikrofon und hält ein Pflanzgefäß hoch. In der Biosphäre nebenan ranken Bohnen an der Kuppelwand. "Und der Bildschirm rechts zeigt alle nötigen Daten an. Temperatur, Feuchtigkeit, Konzentration von Sauerstoff und Kohlendioxid, alles wird erfasst und auf die Pflanzen abgestimmt."
Gemüseanbau mit Müll-Wärme:Alles auf Rot
Aus der Olchinger Müllverbrennungsanlage verpufft jedes Jahr Energie mit einem Heizwert von 19 Millionen Liter Öl. Ein Gemüsebauer will sich das nun zu Nutze machen - und plant neben den Müllöfen den Bau von Bayerns größtem Gewächshaus.
Das Basilikum, das in dieser Biosphäre wächst, unterscheidet sich äußerlich und geschmacklich nicht von solchem vom Wochenmarkt. Wer die Augen schließe und sich vorstelle, wo es gewachsen ist, glaube womöglich, eine leichte Meernote herauszuschmecken, sagt Gamberini, "aber das ist wohl Romantik". Ein Problem dagegen ist die Ernte. Weil alles Gemüse von hier unten in Trockenboxen gepackt und von Tauchern nach oben geschafft werden muss. Da stellt sich die Frage nach der Effizienz.
Und wo es um Fragen zum Gemüseanbau in geschlossenen Systemen geht, da lohnt ein Anruf beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bremen. Bei Conrad Zeidler. Der Ingenieur hat gerade einen Container in die Antarktis verfrachten lassen, um dort unter möglichst "krassen Umweltbedingungen" die Gemüsezucht für Marsmissionen zu testen. Die Forschung sei bei den Versuchen, Pflanzen bestimmten Gegebenheiten anzupassen, zuletzt ein großes Stück vorangekommen, sagt Zeidler.
Nutzpflanzen lassen sich "extrem pushen", indem man ohne Erde arbeitet und genau auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Nährlösung direkt auf ihre Wurzeln sprüht. Über die Steuerung von Licht lässt sich Form, Farbe und Geschmack von Gemüse gezielt verändern. "Theoretisch können Sie Wolkenkratzer mit vertikalen Farmen in die Wüste stellen und dort mit erneuerbaren Energien wassersparend Salat anbauen. Ob sich das rechnet, ist natürlich eine andere Frage", sagt Zeidler.
Die Technologie jedes Systems gerate derzeit noch an ihre Grenzen. Eins der größten Probleme: das künstliche Licht. Hoch entwickelt - und trotzdem noch zu teuer und energieaufwendig. Fünf bis zehn Jahre brauche man da mindestens noch, glaubt Zeidler. "Ein Prozent Lichtverlust entspricht einem Prozent Ertragsminderung, das ist die Faustregel", sagt Uwe Schmidt, Leiter des Instituts für Agrarwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität. Unter Wasser sei der Anbau besonders schwierig - der Sonnenverlust, der Auftrieb, das Luftmanagement, die Taucher. Im großen Stil sehe er da keine Möglichkeiten, sagt Schmidt. "Zum Freilandanbau gibt es einfach noch keine Alternative."
Luca Gamberini kennt all die Einwände und jedes Problem. Schließlich war die Entwicklung von Nemo's Garden bisher ein einziger Hindernislauf. Angefangen haben sie mit ultraleichten Biosphären, Ballonen, die für Liguriens Winterstürme ungeeignet waren. Ein Unwetter zerfetzte den Garten, sie mussten wieder bei null beginnen. Auch das Erdbeerexperiment begann als Desaster. Erdbeeren aus dem Meer - "das klang natürlich toll". Aber sie machten den Fehler, an Land gezogene Pflanzen einzusetzen. Binnen Kürze wurden die Biosphären zu Brutstätten für Keime und Schimmel.
Der nächste Plan: Tomaten anbauen
Alles musste abmontiert, gereinigt, desinfiziert werden. "Was habe ich den Garten anfangs gehasst. Ich hielt ihn für Ressourcenverschwendung!", erzählt Gamberini lachend, als er nach dem Tauchgang in der Strandbar auf sein Sandwich wartet. Er habe ja Wirtschaft studiert, nicht Naturwissenschaften. Ständig stießen sie an ihre Grenzen, sagt er. Dabei hätten sie gelernt, Lösungen zu suchen. Das Projekt zu lieben.
Anfangs habe er seinem Vater einen Gefallen tun wollen und ihm geholfen, stabilere Gewächshäuser zu entwickeln, "in Zukunft wird man ihre Bauweise wohl variieren, je nachdem, wo man sie einsetzt". Sie haben die Kosten für eine Biosphäre auf 4000 Euro gedrückt, "immer noch zu teuer", findet er. Nun würde er gern über ein hydraulisches System nachdenken, um die Gewächshäuser für die Ernte nach oben zu fahren. Die nächsten Pläne: Tomaten anbauen. Erstmals im Winter Gemüse ziehen. Herausfinden, wie genau der höhere Druck unter Wasser das Wachstum der Pflanzen beschleunigt. Sieben Mitarbeiter kümmern sich inzwischen in Teilzeit um Nemo's Garden. Die Gamberinis haben mehrere Patente angemeldet und eine Viertelmillion Euro im Meer vor Noli versenkt.
Auch wenn die Italiener ihr Basilikum und ihre Tomaten in absehbarer Zeit nicht aus Unterwassergewächshäusern beziehen werden, so sei der Erfolg von Nemo's Garden bemerkenswert, finden Ernährungsforscher wie die Österreicherin Hanni Rützler: "Das Projekt ist so einfach und dabei so klar, es wird seine Nische finden." Die Lebensmittelproduktion werde durch viele kleine Schritte revolutioniert, nicht durch "die eine bahnbrechende Technologie". Der Berliner Agrarwissenschaftler Uwe Schmidt hält den Meeresgarten von Noli noch aus einem anderen Grund für wichtig. Er halte zwar nichts von Romantik, sagt er, "aber wir brauchen solche öffentlichkeitswirksamen Projekte, um Menschen wieder nahezubringen, wo ihr Essen herkommt und welche Möglichkeiten es gibt."
Luca Gamberini sagt, natürlich träume er davon, dass sich irgendwann ernergie- und wasserneutral Gemüse in flachen Küstengewässern anbauen lasse. Aber fürs Erste könnte er sich vorstellen, dass ein Partner in das Projekt einsteigt, allerdings einer mit einer konkreten Idee, "ein Spitzenrestaurant wäre schön". Kürzlich hat sich ein Investor aus den Golfstaaten für den Garten interessiert. Aber in Noli haben sie abgelehnt. Ein Bauchgefühl. "Der Mann machte den Eindruck, als betrachte er das Ganze nur als Spielzeug", sagt Luca Gamberini.
Er selbst hat in den letzten fünf Jahren gelernt, dass man das Gartenprojekt lieber umgekehrt verfolgen sollte: Die Idee ernst nehmen, aber sie mit Spaß verfolgen. Und weil nach all der Mühe der Spaß wichtig ist, hat auch ihr Erntedankfest inzwischen Tradition. Ende September bringen sie hier alle gemeinsam das Gemüse an Land, und die Mutter von Luca Gamberini kocht damit. "Jeder ist eingeladen. Es ist immer eine grandiose Strandparty."