Meine Kindheit: Margot Käßmann:"Musste nie sagen, wohin ich gehe"

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Margot Käßmann, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, über ihre Schwestern und ihre eigene Unsportlichkeit.

Ann-Kathrin Eckardt

Als Kind haben mich die Leute oft 'kleiner Robert' genannt, weil ich so gern bei meinem Vater - er hieß Robert - in der Werkstatt gesessen habe. Er hatte eine Tankstelle und eine Autowerkstatt in Stadtallendorf, einer Kleinstadt in der Nähe von Marburg. In der Gegend zwischen unserem Haus und der Tankstelle hat fast meine ganze Familie gewohnt: die Oma, Tanten und viele Cousins und Cousinen.

Margot Käßmann, 51, spielte als Kind am liebsten hinter der väterlichen Werkstatt. (Foto: Foto: dpa)

Meine Mutter hat immer im Betrieb mitgearbeitet. Ein kleines Unternehmen eben, das sieben Tage die Woche fordert. Sie war strenger als mein Vater und sehr gläubig. Morgens hat sie die Losungen gelesen, und sonntags war der Kirchgang eine Selbstverständlichkeit. "Wenn der liebe Gott die ganze Woche Zeit für dich hat, dann wirst du am Sonntag wohl auch eine Stunde für ihn haben", hat sie gesagt. Aber meine Schwestern und ich sind eigentlich ganz gern in die Kirche gegangen. Wir haben auch im Posaunenchor gespielt und nach der Konfirmation im Kindergottesdienst mitgearbeitet.

Meine beiden Schwestern sind fünf und sieben Jahre älter als ich - das hat mir als Kind viel Freiheit verschafft. Die Nachmittage durfte ich verbringen, wie und wo ich wollte. Das war damals leichter für Kinder als heute, ich musste nie sagen, wohin ich gehe. Meistens war ich sowieso an meinem Lieblingsplatz hinter der Werkstatt. Unter Akazien lagen da ganz viele alte Autoreifen. Stundenlang habe ich dort mit meinen Puppen gespielt. Noch heute liebe ich deswegen Akazien.

Aber zwei ältere Schwestern zu haben hatte auch ein paar Nachteile. Überall war ich "die kleine Schwester". Als mich meine Englischlehrerin in der fünften Klasse gefragt hat, ob ich die Schwester von Ursula und Gisela sei, habe ich glatt nein gesagt. Einmal habe ich mich auf dem Heimweg von der Schule sogar extra in ein anderes Zugabteil gesetzt als meine Schwestern. Das Ganze endete allerdings ziemlich peinlich für mich: Der Zug wurde auf halber Strecke geteilt, und ich fuhr in die falsche Richtung weiter.

Und dann fällt mir zu meiner Kindheit noch meine Unsportlichkeit ein. Es gibt Menschen, die mich heute für sportlich halten, aber als Kind war ich es definitiv nicht. Ich war etwas rundlich und bin über keinen Bock gekommen. Mit acht Jahren stand ich zum ersten Mal auf Skiern und hab' mir gleich den Arm gebrochen. Als nach sechs Wochen endlich der Gips abkam, ist meine Mutter zur Feier des Tages mit mir zum Ponyreiten gegangen. Zwei Stunden später standen wir wieder im Krankenhaus: Ich hatte mir denselben Arm gleich nochmal gebrochen."

© SZ vom 07.11.2009/bre - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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