Zugang zum Internet:Buena Vista Netz Club

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Keiner tanzt, alle tippen: Ein Hotspot in Havanna. (Foto: imago/Cathrin Bach)

In Kuba gibt es seit vier Wochen mobiles Internet - das hat Folgen für die Freizeit und für die Freiheit.

Von Titus Arnu

Auf der Plaza Mayor in Trinidad verschmelzen Gerüche und Geräusche zum nostalgischen Kubagefühl. Die Luft riecht nach Zigarrenrauch, gegrilltem Fleisch und Limetten, es ist 25 Grad warm und leicht windig. Eine Salsaband spielt zum siebten Mal an diesem Abend "Chan Chan", den Weltmusiksuperhit von Buena Vista Social Club. Kellner servieren Mojito, Piña Colada und Cristal-Bier. Ab und zu rumpelt ein Pferdekarren über das Kopfsteinpflaster. Man könnte stundenlang auf der Freitreppe der Iglesia de la Santísima sitzen, der prächtigen Dreifaltigkeitskirche, und einfach nur hören, schnuppern, schauen.

Doch die Menschen, die auf Stufen und Stühlen am Platz hocken, kehren den Musikern den Rücken zu, den pittoresken Platz nehmen sie allenfalls als Kulisse wahr. Alle starren auf ihre Smartphones und iPads. Die Plaza Mayor war bisher der Hotspot des Nachtlebens in Trinidad, nun ist sie ein Wifi-Hotspot. Hunderte Touristen und Einheimische nutzen die Treppe als Startrampe ins Internet. Keiner tanzt, alle tippen im Staccatostil auf ihre Bildschirme. Bis ein Kellner ruft: "Achtung! Die Verbindung bricht in einer Minute ab, wenn Sie nicht sofort einen Drink ordern!" Ein Scherz, um ein paar Bestellungen zu generieren - aber nur halb so witzig, wie er klingt. Die Verbindung bricht sowieso alle paar Minuten ab.

Erst seit Anfang Dezember ist in Kuba ein freier Internetzugang per Mobiltelefon möglich - erstmals auch ohne Hotspot. Die staatliche Telekommunikationsgesellschaft Etecsa bietet nun Datenverträge an, die Einheimischen ermöglichen, jederzeit ins Netz zu kommen. Auch Touristen können mit ihren mobilen Geräten unterwegs online gehen, allerdings sind die Roaming-Gebühren sehr teuer. Viele Leute in Kuba haben mittlerweile ein Smartphone, meist geschenkt bekommen von Verwandten im Ausland. Nur konnte man es auf der Insel bislang nicht besonders viel anfangen damit und es so uneingeschränkt verwenden wie in anderen Ländern. Erst Anfang Mitte Dezember nahm das staatliche Telekommunikationsunternehmen dann das 3G-Netz in Betrieb und schaltete mobile Internetdienste frei. Für die Einheimischen ein Riesenfortschritt, als Tourist aber fühlt man sich medial um Jahre zurückgeworfen - was erst gewöhnungsbedürftig ist, nach einigen Tagen aber auch wunderbar befreiend sein kann. Null berufliche E-Mails, null Werbung, null Nonsensnachrichten.

Der sozialistisch regierte Karibikstaat hatte bisher eine der niedrigsten Internetnutzungsraten weltweit. Die ersten staatlichen Internetcafés auf der Insel eröffneten 2013, Hotspots gibt es seit 2015, erst 2017 genehmigten die Behörden in Einzelfällen die Internetnutzung zu Hause. Bislang konnten Kubaner aber nur staatliche E-Mail-Konten eröffnen, nun ist der Zugang zum weltweiten Netz weitgehend frei - theoretisch. Um ins Internet zu kommen, braucht man ein bisschen Geld und ein bisschen mehr Geduld. Wenn man es mal geschafft hat, online zu sein, dauert es ewig, bis sich eine Seite aufbaut. Es ist ungefähr so wie in den 1990er-Jahren in Deutschland, als Boris Becker mit den Worten "Bin ich schon drin?" für AOL warb.

Wer nach Kuba reist, fühlt sich sowieso zurückversetzt in eine andere Zeit. Man kommt sich vor wie in einer kubanischen Version des Films "Zurück in die Zukunft" - amerikanische Straßenkreuzer aus den 1950er-Jahren, Slogans aus dem Kalten Krieg und dazu verfallene Paläste aus der Kolonialzeit. Dass die Regierung das Netz nach jahrelanger Blockade weitgehend freigibt, begründete Präsident Miguel Díaz-Canel so: "Wir müssen fähig sein, mehr Inhalte der Revolution online zu stellen." Es hat wohl aber auch damit zu tun, dass der Staat seinen Bürgern lieber keinen Zugang zu kubakritischen Informationen aus dem Ausland verschaffen wollte. In Wirklichkeit wollen die Kubaner aber einfach auch fähig sein, Selfies und Katzenvideos online zu stellen wie jeder andere Mensch.

Dass Kuba so lange eine Internetwüste war, hat vor allem politische, aber auch technische Gründe. Wegen der US-Sanktionen war Die Insel war lange von den Unterseeleitungen der Region abgeschnitten. Das ganze Land hing noch vor fünf Jahren ausschließlich über Satellitenverbindungen am Netz, deren gesamte Bandbreite war vergleichbar mit der DSL-Kapazität einer deutschen Kleinstadt. 2013 ging das Glasfaserkabel Alba 1 zwischen Kuba und Venezuela in Betrieb, die Bandbreite wurde vervielfacht. Allerdings bekamen nur einige privilegierte Bürger wie Ärzte und linientreue Journalisten einen Internetzugang. Wer in Havanna einen Netz-Zugang für ein Privathaus beantragt, wartet mehrere Monate - oder Jahre.

"Tarjetas, Tarjetas!", zischt ein Schwarzhändler auf der Plaza Mayor Passanten zu. Wer ins Internet will, braucht entweder einen Datenvertrag oder eine Zugangskarte für die Hotspots (Tarjeta de Navegación) mit zwei 16-stelligen Codes, die man nur bei der staatlichen Kommunikationsgesellschaft Etecsa oder in Hotels kaufen kann. Vor den Etecsa-Läden sind meistens lange Schlangen, so wie auch vor den Bäckereien, Lebensmittelläden und Drogerien. Offiziell kostet der Internetzugang einen CUC pro Stunde, das entspricht einem Dollar. Auf dem Schwarzmarkt verlangen Netzdealer zwei bis drei CUC, dafür spart man sich das Anstehen. Wer einen der 800 neuen Hotspots findet und eine Karte hat, muss sich mühsam einwählen. Beim ersten Versuch klappt es nie.

Touristen mögen das umständlich und teuer finden, aber für Kubaner ist das neue Medium eine Sensation - aber nahezu unerschwinglich. Ein Internetpaket mit vier Gigabyte kostet umgerechnet 26 Euro, das ist das Monatsgehalt eines Professors. Trotzdem will jeder ins Internet. Anders als in China sind Facebook, Youtube und Twitter nicht blockiert, auch internationale Nachrichtenseiten wie CNN und BBC sind abrufbar. Das ist revolutionär in einem Land, das alles dafür getan hat, kritische Berichterstattung zu unterbinden. Doch nicht alles im Netz ist frei zugänglich. Außerhalb Kubas können Touristen über Zimmervermittlungs-Seiten wie Airbnb private Unterkünfte auf der Insel buchen, innerhalb des Landes sind sie allerdings gesperrt. Einige Blogs, die Kubas Einparteien-Regierung kritisieren, wurden gesperrt. Nur Auch der US-finanzierte Sender Martí, der einen politischen Wandel auf Kuba propagiert, wird geblockt.

Zu meckern gäbe es einiges, etwa über Fehlplanung und Korruption. In den Lebensmittelläden von Trinidad gibt es derzeit keine frische Milch, es herrscht wieder einmal Mangel an Eiern und Mehl. Aber immerhin fließen jetzt die Daten, wenn auch noch etwas stockend.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde an einigen Stellen geändert und um wichtige Informationen ergänzt.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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