Adidas:Drei Streifen vom Klassenfeind

Fidel Castro

Auch der ehemalige Regierungschef von Kuba, Fidel Castro, trug gerne Adidas.

(Foto: dpa)
  • Adidas knüpfte früh Kontakte in den Ostblock, eher aus politischen als aus finanziellen Gründen.
  • Den enormen Umfang der Osteuropa-Aktivitäten von Adidas beschreibt der Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch in einer Firmenchronik. Dafür gewährte ihm die Firma Zugang zu den "Ostverträgen".

Von Uwe Ritzer

Im Frühjahr holte die eigene Vergangenheit Adidas schmerzhaft ein. Es ging um ein Retro-Shirt zur Fußball-WM in Russland. Das knallrote Leibchen löste eine Protestwelle aus, denn es kopierte das Trikot der letzten Nationalmannschaft der Sowjetunion. Inklusive des Schriftzugs USSR (Union of Soviet Socialist Republics) und Brustwappen mit Hammer und Sichel. Ob Adidas bald auch ein deutsches Trikot samt Hakenkreuz anbiete, ätzten die einen mit Blick auf Millionen Opfer der Sowjet-Diktatur. Sogar das litauische Außenministerium protestierte. Noch mehr empörten sich, weil der Sportartikelhersteller das Shirt als "russisches" Retro-Trikot anbot.

Letzteres korrigierte Adidas umgehend, doch aus dem Angebot nahm man das Hemd nicht. Geschmacksfragen sind das eine, aber in diesem Fall wäre ein Rückzug auch einer Verleugnung der eigenen Geschichte gleichgekommen. Denn Adidas war selbst in Zeiten des Kalten Krieges im damaligen Ostblock enorm aktiv. Und nicht nur dort. Auch die Wettkämpfer sozialistischer Bruderstaaten trugen Adidas. Weshalb etwa Kubas Revolutionsführer Fidel Castro sich gerne in der Kleiderkammer der Olympioniken des Landes bediente und vor allem in seinen letzten Lebensjahren Adidas-Trainingsanzüge statt olivgrüner Kampfanzüge trug.

Den enormen Umfang der Osteuropa-Aktivitäten von Adidas beschreibt der Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch detailliert in einer neuen Firmenchronik ("Unternehmen Sport", Siedler-Verlag), die er mit drei Kollegen geschrieben hat. Dafür gewährte ihm die Firma Zugang zu den "Ostverträgen". Sein Fazit: Als Absatzmarkt war das kommunistische Osteuropa für Adidas kaum relevant. Bedeutender waren Lohnfertigungen von Sportschuhen, Textilien und Taschen in Jugoslawien, Ungarn, Bulgarien und der UdSSR. Am wichtigsten aber war der sportpolitische Einfluss, den sich Adidas über Funktionäre und Politiker jener Länder verschaffte.

Den Anfang machten scheinbar harmlose Geschenke. Schon 1952, sieben Jahre nach Kriegsende und drei Jahre nachdem Adi Dassler seine Firma gegründet hatte, gewann der tschechoslowakische Langstreckenläufer Emil Zatopek in Helsinki drei olympische Goldmedaillen in Adidas-Schuhen. Er hatte sie von der Firma kostenlos erhalten, mehr Zuwendung erlaubten die Amateurregeln (noch) nicht. Adidas brachte das Geschenk mehrfachen Nutzen. Zum einen war der Werbeeffekt enorm. Zum anderen blieb Zatopek der Firma sein Leben lang dankbar verbunden.

Puma, die Firma von Adis Bruder und Rivalen Rudolf, handelte nicht anders. Die beiden Konkurrenten beherrschten lange die Sportartikelwelt und schenkten sich auch im Osteuropageschäft nichts. Als Puma bei der Leichtathletik-EM 1966 die DDR-Läufer Jürgen May und Jürgen Haase nicht nur mit Schuhen sondern auch mit harten Dollars köderte, drohte Adi Dasslers Tochter Inge den DDR-Funktionären mit einem Eklat. Schließlich hatten diese sich verpflichtet, dass die Sportler des Landes exklusiv Adidas trugen. Die Funktionäre schritten ein - und prangerten anschließend am Beispiel Puma die Bestechungspraktiken westlicher Firmen an.

Bei Adidas nahmen die Aktivitäten in Osteuropa besonders in den 1970-er Jahren gewaltig Fahrt auf. Abgesandte des Unternehmens stießen auf viele offene Türen, denn Sportler und Funktionäre schätzten die qualitative Überlegenheit westdeutscher Wettkampfprodukte gegenüber einheimischer Ware. Und die Regierungen der Länder hofften auf Deviseneinnahmen.

Der rumänische Tennisstar Ilie Năstase wurde in den 1970er Jahren als Werbefigur ebenso global vermarktet wie sein US-Rivale Stan Smith. Ansonsten aber ging Adidas immer mehr dazu über, nicht nur osteuropäische Einzelsportler auszurüsten, sondern Verbände und Vereine unter Vertrag zu nehmen, gegen Ware und Devisen. 1976 etwa die sowjetischen Fußballer, Handballer, Leichtathleten und Eishockeyspieler. In Ost-Berlin empörten sich linientreue Kader, wenn sozialistische Sportler in Schuhen und Klamotten des kapitalistischen Klassenfeindes siegten. Sogar die Staatssicherheit intervenierte. Vergeblich, denn Adidas hatte zum einen den DDR-Sport bereits unterwandert. Und zweitens brauchte das marode Land die harte D-Mark.

Adidas ist heute noch Marktführer in Russland

Darüber hinaus verstand es vor allem Horst Dassler, Adis Sohn und Nachfolger, geschickt, auch in Osteuropa Netzwerke zu knüpfen, die ihm Einfluss auf die mächtigen Verbände im Weltsport verschafften, seinem Unternehmen exklusive Zugänge und damit riesige Geschäfte garantierte. Oder, anders formuliert: Er trieb Kommerzialisierung und damit auch die Korruption im Sport voran, in dem er Abhängigkeiten schuf und eiskalt ausnutzte.

Dessen ungeachtet zählt Historiker Karlsch Adidas zu den "Pionieren im Ost-West-Handel". Man habe sich "in der Sowjetunion sowie den übrigen Ostblockstaaten" einen "ausgezeichneten Ruf" erworben, was sich nach der Grenzöffnung 1989 als großer Vorteil erwies. Denn während sich Konkurrenten die Länder erst erschließen mussten, war Adidas bereits etabliert.

Bis heute ist Adidas Marktführer in Russland und die Tochterfirma Reebok Nummer drei. Die Zuwächse waren lange zweistellig und noch 2012 rief der damalige Vorstandschef Herbert Hainer Russland neben Nordamerika und China als größten Wachstumsmarkt aus. Doch die Euphorie ist dahin. Unlängst sagte Hainers Nachfolger Kasper Rorsted, mit nicht einmal mehr drei Prozent vom Gesamtumsatz sei Russland "ziemlich unerheblich für unseren geschäftlichen Erfolg." Das internationale Embargo im Zuge der Krim-Krise, der Verfall des Rubel und die Wirtschaftskrise sind hauptsächlich schuld.

Immerhin rüstet Adidas nach wie vor das russische Fußball-Nationalteam aus. Just als im Frühjahr der Ärger wegen des alten Sowjettrikots tobte, verlängerten beide Seiten ihren Vertrag bis 2022.

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