Krieg:Mitgenommen

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(Foto: Michaela Pelz)

Wer flüchtet, muss eine Menge zurücklassen. Hier erzählen Kinder und Jugendliche, was sie trotzdem retten konnten. Diesmal: Oleksandra, 15, aus der Nähe von Kiew. Sie lebt seit etwa 15 Monaten in Pasing und hat eine grüne Trainingsjacke dabei.

Protokoll von Michaela Pelz

"Morgens um fünf haben uns Explosionen geweckt, um halb sieben saßen wir schon im Auto. Alle hatten einfach irgendwas eingepackt. Bis auf mich. Meine Mutter sagt, ich bin die Einzige, die bei uns wirklich einen Plan davon hat, was wichtig ist. Vielleicht hängt das mit meinem Lieblingshobby zusammen, von dem auch diese grüne Mannschaftsjacke stammt: Seit ich elf war, mache ich viermal die Woche Wald-Orientierungssport. Da kriegst du eine Karte, auf der verschiedene Kontrollpunkte eingezeichnet sind. Die müssen so schnell wie möglich in einer vorgegebenen Reihenfolge erreicht werden, ein Chip misst die Zeit. Meist braucht man zwei bis drei Stunden. Im Sommer rennen wir, im Winter nehmen wir Ski. Doch wir benutzen nicht Google Maps, sondern eine Karte mit Symbolen für Berge, Flüsse oder bestimmte Bäume. Und einen Kompass. Ich brauche den in unserer Gegend in der Ukraine aber nicht mehr, ich orientiere mich mit dem Herzen. Wenn man einen Ort kennt, ist es leicht, das Ziel zu finden. In dieser Sportart gibt es auch Wettbewerbe. Die letzte Ski-Orientierung, bei der ich mit meinem Verein gegen ein Dutzend anderer Mannschaften angetreten bin, fand vom 17. bis 20. Februar 2022 in Sumy statt. Das ist nahe der russischen Grenze. Wir hatten gehört, dass vielleicht ein Krieg ausbrechen würde, sind aber trotzdem gefahren. Später war es gut, dass mein Rucksack mit der warmen Jacke noch griffbereit dastand, als wir wegmussten. Durch meinen Sport bin ich es gewohnt, blitzschnell zu packen und an alles Mögliche zu denken. Ich habe eine Taschenlampe, eine Tasse, einen Teller und eine Menge Wechselwäsche eingesteckt. Den Rucksack habe ich bis obenhin vollgestopft, so hätten zwei Leute darauf sitzen können, falls wir längere Zeit in einen Keller hätten zubringen müssen. Das war nicht nötig, wir sind in München in einem schönen Haus untergekommen. Ich habe hier Freunde gefunden. Aber ich vermisse meinen Sport sehr - und mein Team noch mehr."

© SZ vom 17.06.2023 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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