Kommunen:"Brauche ich das wirklich?"

In der Kommune soll Geld Nebensache sein. Jeder soll tun können, was er möchte. So geht die Theorie. Die Praxis sieht anders aus - jeder Griff in die Kasse muss überlegt, fast jede Entscheidung diskutiert werden.

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(Foto: Stefanie Preuin)

175 Euro liegen immer frisch gezählt und griffbereit in der Alltagskasse der Kommune. Braucht der Kommunarde 10 Euro fürs Kino, greift er hier hinein. Name und Verwendungszweck schreibt er auf den Zettel nebenan. Wer jeden Griff in die Kasse notieren muss, denkt zweimal darüber nach, ob er auch wirklich ins Kino muss. Und wer sich bewusst macht, dass alle Kommunarden wissen, wofür man wie viel ausgibt, stellt sich die Frage "Brauche ich das wirklich?" ein drittes Mal.

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(Foto: Stefanie Preuin)

Uli ist 65 Jahre alt, Gründungsvater von 1986 und einer von drei Kommunarden im Rentenalter. Er ist hier, weil er mit allen Menschen auf Augenhöhe leben will. An einem Ort, wo nicht der bestimmt, der das Geld hat. Er sagt: "Freier zu leben als in Niederkaufungen, kann ich mir nicht vorstellen." 31 Jahre lang arbeitete der Bauingenieur im Kommunen-Verwaltungsbüro, kümmerte sich um die Buchhaltung und die Finanzen. Jede Rechnung, jede Quittung der Kommunarden heftete er im Ringbuchordner ab. Gesammelt stehen sie heute zu Dutzenden hinter ihm, im Regal an der Wand. Langsam sei es an der Zeit "digital zu gehen." Deshalb gibt er an die nächste Generation ab. Kommunardenkollege Gunter übernimmt seinen Job.

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(Foto: Stefanie Preuin)

Gunter war mal Industriemechaniker, in der Kommune ist er nicht nur Kassenwart, er hat auch die sozialistische Theorie im Kopf. Er träumt von einer Welt ohne Geld, in der die Menschen, das, was sie brauchen, gemeinsam produzieren, teilen und nutzen. Von einer Welt, in der jede Arbeit gleich viel wert ist. Wo Vater zu sein genauso viel wert ist, wie als Chirurg am offenen Herzen zu operieren.

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(Foto: Stefanie Preuin)

In der Kommune kann der 45-Jährige so sehr kümmernder Vater sein, wie er mag. Will er mit Baby Yoko im Wickeltuch über die grüne Wiese spazieren tragen, braucht er eine Minute, um sie zu holen. Soweit liegt sein Arbeitsplatz, das Verwaltungsbüro der Kommune, von seiner WG entfernt. Er nennt das "ganzheitliches Leben und Arbeiten."

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(Foto: Stefanie Preuin)

Deshalb ist auch Rabea, 34, hier. Sie will beides, Leben und Arbeiten, schön haben, "ohne Druck." In Hamburg war das Leben früher ein einziger Kampf. In der Kita-Kommune entscheidet sie zusammen mit zwei Erzieherinnen, ob sie mit den 15 Kindern Brot backen, an den See fahren oder Mandala malen. Im Hamburger Kindergarten war Rabea alleine für 20 Kinder verantwortlich, musste tun, was die Chefin wollte, und spürte sie währenddessen mit der Stechuhr im Nacken. Als man sie abmahnte, weil sie zwei Minuten vor Arbeitsschluss ging, und man ihr vorwarf, einen Tetrapak Milch geklaut zu haben, wählte sie den Ausstieg. In wenigen Wochen startet ihre Weiterbildung zur Geburtshelferin. Die kostet 1200 Euro, bezahlen wird das die Kommune. Rabea sagt: "Ich will nie wieder weg."

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In der Kommune verdient Rabea keine 1200 Euro netto wie früher in Hamburg, sondern nur 800 Euro. Dafür arbeitet sie aber auch keine 40 Stunden mehr, sondern 25. Und sie braucht auch viel weniger Geld, weil die Kommune das Leben günstig macht. Alles, was geht, teilen und nutzen die Kommunarden gemeinsam. So auch den Wohnraum. Gerade einmal 230 Euro kostet die Miete. Rabea teilt sich die Wohnung mit vier Erwachsenen und drei Kindern. Ihr Zimmer hat 12 Quadratmeter, worin sich das einzige befindet, was sie nicht teilen möchte: ihre Möbel und Klamotten.

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Dinge gemeinsam zu nutzen, hinterlässt nicht nur einen vorbildlich ökologischen Fußabdruck. Es kostet auch weniger Geld. Die 56 Kommunarden teilen sich acht Fahrzeuge: Erdgas- wie Elektroautos und Hybrid-Velomobile. Sie besitzen E-Motorroller, acht Elektrofahrräder und neun übertragbare Monatskarten für die Trambahn. Wer eines der Vehikel fahren oder die Monatskarte nutzen will, trägt sich mit Datum und Uhrzeit in die Liste ein.

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Kommunen-Koch Klaus lebt seit fast 25 Jahren in Niederkaufungen. Mit 32 Jahren zog er ein. "Ich wollte ein gerechtes Leben führen", sagt er. Gerade weil er weiß, männlich und reich ist, will er nicht Teil der "kapitalistischen Ausbeutung" sein, sondern Verantwortung übernehmen. "Nicht die Revolution hilft, sondern nur die Arbeit an sich selbst", sagt Klaus. Vor sechs Jahren musste er ziemlich hart an sich arbeiten. Damals erbte er 50 000 Euro und merkte: "Wow. Geld spielt doch eine Rolle." Er konnte nicht schlafen, war hin- und hergerissen, ob er mit allen teilen oder ob er gehen und das viele Geld allein verprassen soll. Klaus ist heute noch Koch in Niederkaufungen. "Diese Entscheidung war meine verfrühte silberne Hochzeit mit der Kommune", sagt er.

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Christine, 38, ist die ökologische Landwirtin der Kommune. Nirgends sonst hätte sie so frei und selbstbestimmt landwirtschaften können wie in Niederkaufungen. Für sie gibt es nichts Befriedigenderes als das frisch geerntete Gemüse zusammen mit ihren Kunden, den Kommunarden, zu verspeisen.

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Mit ihren rund 1300 Euro Gehalt pro Monat gehört Christine zu den Vielverdienern in Niederkaufungen. Sie stört es, dass die allermeisten Kommunarden keine Lust haben mehr für die gemeinsame Kasse zu verdienen. Aus der nehmen sie seit Monaten zu viel raus. Christine findet, wer Dinge begehrt, die kosten, muss auch das Geld haben, sie zu bezahlen.

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Die meisten Kommunarden sehen das anders. Sie finden es gut, dass jede Tätigkeit als echte Arbeit zählt. Nicht nur die, die Lohn einbringt. Ob Klo putzen oder Rasenmähen - alles kostet Zeit und Kraft und nützt allen. Also ist es gleich viel wert. Und deshalb ist auch der anerkannt, der die Wäsche von allen zum Trocknen aufhängt. Natürlich unter einem gemeinschaftlichen Dach.

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Alles, was alle betrifft oder mehr als 150 Euro kostet, beschließen die Kommunarden im Plenum. Einstimmig muss die Entscheidung fallen. Läuft alles glatt, ist die Entscheidung in zwei Wochen gefällt. Ist der Fall kompliziert, braucht es zusätzliche Kleingruppentermine, Moderation und Supervision. Dann kann sich der Beschluss viele Wochen oder gar Monate hinziehen. Auf dem Weg zur Entscheidung helfen den Kommunarden Smiley-Karten. Jüngst haben die 56 ihre Solidarität zu der Hausbesetzung "Unsere Villa" in Kassel beschlossen.

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