Kürzlich habe ich mich an dieser Stelle darüber ausgelassen, wie hartnäckig sich platte Geschlechterklischees in vielen Köpfen noch halten. Nun muss ich leider selbst eins bestätigen, was mir sehr leid tut, aber was soll ich machen.
Also: Ich habe keine Ahnung von Fußball, was mich aber nicht davon abhält, hin und wieder in Gesellschaft wichtige Spiele zu gucken und dabei durch Kommentare aufzufallen, die meine Freunde zu Bemerkungen veranlassen, die auch von Mario Barth stammen könnten. Irgendwas mit "wenn Frauen plötzlich Fußball gucken" grummeln die männlichen Zuschauer um mich herum, während die weiblichen Fans, von denen es natürlich auch viele gibt, eher pikiert schweigen. Bei der letzten EM löste ich Fassungslosigkeit damit aus, dass ich dachte, der Name dieses Torwarts sei Marcel Neuner.
Mein Frauen-gucken-Fußball-Klischee reicht übrigens nicht so weit, dass ich automatisch zu der Mannschaft halte, die "die süßeren Spieler" hat. Ich mag Fußball, wenn Drama dabei ist, deshalb möchte ich immer, dass die Mannschaft gewinnt, die gerade am Verlieren ist. Den FC Bayern etwa finde ich eigentlich so rein imagemäßig unsympathisch, habe aber trotzdem beim Champions-League-Halbfinale mitgelitten, weil es tragisch war, im eigenen Stadion so zu scheitern. Auch das Relegationsspiel, bei dem der HSV fast abgestiegen wäre, fand ich spannend.
Taktik und dieses ganze Zeug
Ich habe Theaterwissenschaften studiert, ich kenne das Prinzip von Fallhöhe, Pathos und Katharsis aus der aristotelischen Dramentheorie. Was mir beim Fußballgucken ziemlich egal ist: Taktik und dieses ganze Zeug. Da das aber leider den größten Teil des Spiels ausmacht, konzentriere ich mich während dieser langweiligen Passagen auf andere Dinge - das sind dann die Beobachtungen, die die richtigen Fußballfans banal und "mädchenmäßig" finden.
Beim Pokalfinale Dortmund gegen Bayern etwa konnte ich mich sehr lange über diese Rolltreppe beömmeln, über die die Spieler nach der Halbzeitpause dichtgedrängt wie an der U-Bahn-Station nach Feierabend aus der Kabine auf den Platz gekommen sind. Oder über diese komischen Daunenbademäntel, die die FCB-Ersatzspieler trugen.
Als coole, emanzipierte Frau sollte man besser auch von Fußball Ahnung haben. Man wird als Klischee-Tussi abgestempelt, wenn man sich mehr für lustige Spielerfrisuren als für die Abseits-Regel interessiert. Ich finde das gemein. Von emanzipierten Männern erwartet ja auch keiner, dass sie sich mit "Germany's Next Topmodel" auskennen. Die Sache mit der Gleichberechtigung ist immer noch - mal in Fußballsprache ausgedrückt - ein Spiel auf ein Tor.
Judith Liere, geboren 1979, arbeitet in Hamburg als Journalistin. In ihrer Kolumne "Dreißignochwas", die jede Woche im Wochendteil der Süddeutschen Zeitung erscheint, schreibt sie über die kleinen und die großen Dinge, die sich ändern, wenn man die Altersgrenze von 30 überschritten hat.