Kinderthemen sind vermintes Gelände. Impfen oder Geburt haben die größte Sprengkraft in Elternrunden. Beim Trockenwerden ist das anders, da herrscht weitgehend Ruhe. Die meisten Eltern schweigen - und wickeln weiter. Denn ob ein Kind eine Windel braucht oder nicht, können sie kaum beeinflussen. Forscher sagen: Eigentlich können sie es gar nicht. Die Natur gibt den Takt vor, sonst keiner. Einige Kindergärten wollen trotzdem, dass Dreijährige windelfrei sind.
Juristen sagen, dass eine Platzvergabe nicht an eine Bedingung geknüpft sein darf, die ein Kind gar nicht erfüllen kann. Das sei eine "unverhältnismäßige Benachteiligung". Aber wer klagt schon gegen den einzigen Kindergarten im Dorf? Wer will einen der raren Plätze in der Großstadt riskieren, wenn die Windelfreiheit zwar nicht im Vertrag steht, die Kindergartenleiterin es sich aber doch so sehr wünscht - und schlussendlich darüber befindet, wer alsbald zu den "Trollen" oder "Tigerchen" geht?
"Absoluter Quatsch"
Der Berliner Kinderarzt Ulrich Fegeler rät Eltern, die ihre Kinder trocken in den Kindergarten schicken müssen, "bis in die letzte Instanz zu gehen, damit das Thema endlich vom Tisch ist". Er hat als Mitglied der Kommission Frühe Betreuung und Kindergesundheit der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin viele Kitas beraten, um "diesen Unsinn", wie er ihn nennt, abzuschaffen und aufzuklären, dass Druck kontraproduktiv ist und es durchaus normal sei, wenn ein Kind mit drei Jahren oder mehr eine Windel trägt.
Das Interesse an den eigenen Ausscheidungen beginne meist im späteren zweiten Lebensjahr. Neurologen zufolge werden entsprechende Nervenbahnen erst dann ausgebildet. Und erst dann, sagt Kinderarzt Fegeler, könne ein Kind überhaupt spüren, ob Blase oder Darm drücken - und der Lernprozess beginnen, dass dann die Toilette anzusteuern ist.
Im Schnitt werden die meisten Kinder mit drei Jahren trocken sein - aber eben nicht alle. Erziehern wie Eltern rät die Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel, gelassen zu bleiben und die Kinder, sofern sie schon ein Interesse an Töpfchen oder Toilette erkennen lassen, zu unterstützen. Schimpfen sei nie eine gute Idee. Nicht das Kind sei schuld an der nassen Hose, sondern die Toilette, die zu weit weg war. Ein Töpfchen könne man zum Beispiel "anwärmen", in dem man eine Puppe daraufsetze.
Auch wenn dieser Mythos immer noch herumgeistert, sei es "absoluter Quatsch", sagt Haug-Schnabel, dass Kinder früher schneller trocken gewesen wären als heute. "Man war nicht eher trocken, man wurde nur alle Dreiviertelstunde auf den Topf gesetzt", sagt sie. Mütter und andere Versorger seien weit weniger berufstätig gewesen und hätten die Zeit dafür gehabt. So könne natürlich nichts schiefgehen. Aber eine echte Blasen- und Darmkontrolle sei das nicht. Die müsse ein Kind langsam erlernen. Wenn Kindergärten da Druck machten, sei das "hochgradig unanständig".