Karriere:Wie man emotionalen Stress im Job vermeidet

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(Foto: imago, Collage: SZ)

Das moderne Berufsleben verlangt oft, dass Menschen Gefühle vortäuschen, die sie nicht empfinden - oder so tun, als ob sie gar keine Gefühle hätten. Emotionale Arbeit nennen Forscher diese Anforderung, die sehr erschöpfend sein kann.

Von Bernd Kramer

Wahrscheinlich ist es den allermeisten von uns schon einmal passiert, dass sie anderen Menschen eine Art von Arbeit zugemutet haben, die in deren Stellenprofil allenfalls inoffiziell vorgesehen ist. Mir jedenfalls definitiv: Rückkehr aus dem Urlaub, ein Umstieg mit wenig Zeit. Ich holte schnell etwas vom Bäcker, und kurz bevor die Türen zugingen, schaffte ich es mit einem Sprung in den Waggon. Dann kam der Schaffner. Er sagte: Sie sind im falschen Zug.

Beinahe fiel mir der Bäckereinkauf aus den Händen, vor allem aber platzte in dem Moment allerlei Unfreundliches aus mir heraus: Wie das denn sein könne? Warum ein Gleiswechsel nicht durchgesagt werde? Überhaupt der Service! Überhaupt die Bahn: ständig überfüllt, ständig verspätet, viel zu teuer!

Mir tat meine Patzigkeit schon wieder leid, als ich einen Platz gefunden hatte. Kontrolleure müssen in diesem Job ganz schön viel aushalten, dachte ich: Wie viel Frust sie abbekommen. Wie oft sie sich die Gegenpatzigkeit verkneifen, obwohl sie menschlich gesehen jedes Recht dazu hätten.

Ihr Job umfasst so viel mehr als die Ticketkontrolle. Ihr Job ist auch: Freundlich sein. Die Fassung wahren. Nicht zurückschimpfen. Immer professionell bleiben, obwohl jede Verspätung ja auch in ihr eigenes Leben eingreift.

Es gibt einen Namen für diese Art der unbemerkten Arbeit, die oft in Dienstleistungsberufen mit viel Kundenkontakt verlangt wird. Die US-Soziologin Arlie Russell Hochschild bezeichnete sie in einer Studie über die stets zum Lächeln verpflichteten Stewardessen als "Emotional Labour", Emotionsarbeit. Einer Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zufolge muss etwa ein Viertel der abhängig Beschäftigten in Deutschland häufig oder sehr häufig die wahren Gefühle am Arbeitsplatz verbergen. In Gesundheitsberufen ist der Anteil derjenigen, die ihre Gefühle oft verbergen müssen, mit 44 Prozent besonders hoch. Und häufig sind es Jobs mit einem hohen Frauenanteil, in denen die Emotionsarbeit stillschweigend vorausgesetzt wird: bei Verkäuferinnen, Lehrerinnen, Pflegekräften, Messehostessen, Kellnerinnen.

Man könnte sagen: Millionen Menschen erledigen Tag für Tag parallel noch einen Zusatzjob als Schauspielerinnen und Schauspieler - der gar nicht ausdrücklich vorgesehen ist.

Gefühle sind Privatsache, heißt es - aber im Job spielen sie ständig eine Rolle

Denn in der Regel gilt die Berufswelt ja als emotional steriler Ort: Man hat ein Set an Aufgaben, das man sachlich in vorgegebener Zeit abarbeiten soll. Man wurde eingestellt fürs Ticketabstempeln, Verkaufen, Verwalten, Sachbearbeiten, Texteschreiben. Aber natürlich gibt man seine Gefühle nicht am Empfang ab, wenn man das Büro betritt. Selbst wenn man im Job nur eine professionelle Fassade ohne erkennbare Gemütsregung aufrechtzuerhalten hat, muss man dafür im Hintergrund doch oft ziemlich intensiv seine Emotionen beackern: Wut unterdrücken, Frust herunterschlucken, Kränkungen ertragen. Gefühle sind Privatsache, heißt es - aber im Job spielen sie ständig eine Rolle. Es redet nur kaum jemand darüber.

Manchmal wundert man sich nach einem langen Bürotag ja selbst, warum man so erschöpft nach Hause kommt, obwohl man doch vordergründig nicht viel geleistet hat. Man hat kaum verwaltet oder sachbearbeitet, man hat keine Präsentation erstellt und auch keinen Werbeslogan entwickelt, vielleicht nicht einmal besonders viele Tickets kontrolliert, man hat nichts von dem getan, was man für seinen Job hält, den man vielleicht sogar liebt, und kann zu seinem eigenen Verdruss kein sinnvolles Tageswerk vorweisen. Man sackt trotzdem zusammen und fragt sich, wo die ganze Kraft nur hingegangen ist.

Sehr wahrscheinlich in die heimliche Arbeit, die Gefühle verursachen.

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Daniela Rastetter, die an der Universität Hamburg zur Emotionsarbeit forscht, hat in einer ihrer Studien festgestellt, dass Versicherungsvertreter zwar fachlich geschult und auf alle erdenklichen Fragen der Kunden vorbereitet werden - aber kaum darauf, wie sie mit Situationen umgehen, in denen die verlangten Gefühle nicht mit ihren erlebten übereinstimmen. "Unter Arbeit stellen wir uns Heben und Tragen vor, Ideen produzieren oder Dinge verkaufen", sagt Rastetter. "Dass viele Tätigkeiten auch große emotionale Anforderungen haben, wird oft übersehen."

Forscherin Rastetter spricht von "emotionalen Dissonanzen", wenn das erlebte Gefühl nicht mit dem im Job verlangten Gefühl übereinstimmt. Wenn man als Versicherungsvertreter begeistert tun muss, obwohl man die zu verkaufende Police unsinnig findet. Wenn man als Flugbegleiterin höflich lächeln soll, obwohl man wütend auf den unverschämten Passagier ist. Wenn man als Gerichtsvollzieher hart zu bleiben hat, obwohl man Mitleid empfindet. "Emotionale Dissonanzen bedeuten Anspannung", sagt Rastetter. "Wenn man sie sehr oft erlebt, kann das auf Dauer krank machen." Erschöpfung oder Burn-out gehen also oft nicht auf zu viel Verwalten, Sachbearbeiten, Ticketabstempeln zurück - sondern auf die mühevolle emotionale Tarnung, die man sich dabei manchmal zulegen und einen Acht-Stunden-Tag lang durchhalten muss.

Alexander Rezek, Jahrgang 1984, ist seit 16 Jahren bei der Bahn, immer gut gelaunt, niemand, der sich groß verstellen muss, wenn er auf seine Fahrgäste trifft. Einige von ihnen haben ihn 2019 beim Wettbewerb "Eisenbahner mit Herz" vorgeschlagen, Rezek habe "mit seiner Herzlichkeit und Menschlichkeit eine rekordverdächtige Fanschar um sich gesammelt", befand die Jury. Und dennoch: Manchmal ist die Nettigkeit auch für ein Naturtalent wie ihn ein schweres Geschäft.

Ein Zugbegleiter wie Rezek hat ständig mit pampigen Fahrgästen wie mir zu tun, oft auch mit weitaus schlimmeren. Da sei neulich einer in Köln in den ICE in Richtung Berlin zugestiegen, erzählt Rezek, einer "mit einer Vorgeschichte", wie er sagt: erst den Anschlusszug verpasst, und jetzt umgekehrte Wagenreihung, Reservierungen werden nicht angezeigt, Verspätung, das volle Programm. Rezek war der Prellbock, gegen den der Herr seinen geballten Ärger schleuderte. "Der Fahrgast hat mich angebrüllt, der hat sich komplett vergessen."

Und dann? Rezek hat ein paar Tricks entwickelt für akute Situationen, in denen die emotionale Arbeit besonders herausfordernd ist. Der erste: auf eine aufrechte Körperhaltung achten, auf Mimik und Gestik. Dinge, die er aus der Theater-AG in der Schule mitgenommen hat und von denen er damals wahrscheinlich nie dachte, dass sie ihm einmal in einem Beruf jenseits der Bühne was nützen würden. Schauspielerei eben.

Der zweite: sich entziehen. Weggehen, sich einen Moment ins Dienstabteil setzen, durchatmen, sich Bestärkung bei Kolleginnen und Kollegen holen. Dem brüllenden Kunden im ICE nach Berlin hat Rezek gesagt, er komme gleich wieder, dann könnten sie das Anliegen in Ruhe besprechen. Das ist seine Zauberformel.

Der dritte: die Momente suchen, die zum erforderten Gefühl passen. In einem vollbesetzten ICE mit hunderten Passagieren finden sich immer einige, die freundlich sind. Die zurücklächeln, wenn man ihnen eine gute Fahrt wünscht. Diese Kunden versucht Rezek dann bewusster wahrzunehmen.

Und dann gibt es noch eine entscheidende Sache, sagt Rezek, die ihm immer hilft: Ein Zugbegleiter weiß, dass die Freundlichkeit, die er darzustellen hat, einen Dienst erfüllt. Ein Unternehmen, das bestehen will, ist auf zufriedene Kundinnen und Kunden angewiesen, ein Zug, der sicher ans Ziel kommen soll, braucht Fahrgäste, die ruhig bleiben. Die emotionale Arbeit hat einen erkennbaren Sinn. Und Rezek sagt: "Das erleichtert es auf jeden Fall."

Ein Glück für ihn. Ein Glück, das nicht alle haben.

Vor einigen Jahren beklagte der Anthropologe David Graeber die Zunahme von Nonsens-Aufgaben in der modernen Arbeitswelt und prägte für sie den Begriff der "Bullshit-Jobs": Stellen, die so überflüssig und gesellschaftlich irrelevant sind, dass es selbst denjenigen nicht entgeht, die sie ausführen. Diese Tätigkeiten sind für Graeber nicht bloß ökonomischer Quatsch, sondern eine Seelenqual für alle, die sie ausführen müssen. Finanzjongleure hatte er dabei vor Augen oder Lobbyisten. Aber auch eigentlich sinnvolle würden immer mehr verbullshitten - etwa, wenn Ärztinnen ständig Formulare ausfüllen müssten, statt Patienten zu behandeln.

Man kann analog zu Graebers Idee auch bei der Emotionsarbeit sinnvolle und unsinnige Tätigkeiten unterscheiden. Es gibt Gefühlscamouflage, die tatsächlich einen Mehrwert hat (bei Zug- oder Flugbegleitern etwa) - und eben die viele emotional Bullshit-Arbeit des modernen Bürolebens, das alltägliche Navigieren durch ein schwer durchschaubares Geflecht an Befindlichkeiten ohne erkennbaren Bezug zu dem, was man eigentlich für seinen Beruf hält.

Da muss man dann an den richtigen Stellen Bewunderung vortäuschen, damit einem keine Steine in den Weg gelegt werden.

Da gibt es die Geschäftsführung, die im großen Stil Leute wegrationalisieren will und der man weiter die ungebrochene Identifikation mit dem Unternehmen vorheucheln muss.

Da gibt es die Abteilungsleiterin, die lauter inkompetente Vorschläge macht, aber leider eine Furie mit gewaltiger Verleumdungsbereitschaft ist - und der man deswegen niemals widerspricht, obwohl man damit eklatant gegen die Berufsehre verstößt. Man nickt. Man belächelt den Schwachsinn. Man leistet emotionale Bullshit-Arbeit.

Wie bewältigt man die besonders perfide, besonders blöde Form der Gefühlsarbeit?

Man kann sich wahrscheinlich wappnen wie der Schaffner im Zug: sich kurz zurückziehen und durchatmen. Situationen suchen, die dem verlangten Gefühl eher entsprechen. Und man wird dem Schauspielen wohl selbst einen Sinn verleihen müssen, wenn er aus sich selbst heraus keinen anbietet: als notwendiges Übel vielleicht, das man zu überstehen hat, um dann hoffentlich doch noch oft genug das tun zu können, was man tun möchte.

Vielleicht ist es gerade bei emotionaler Bullshit-Arbeit ein wichtiger erster Schritt, sich zuzugestehen, dass man eben doch etwas leistet - und nicht zu rätseln, was einen so müde und erschöpft gemacht hat, obwohl ein Arbeitstag scheinbar unproduktiv verstrich. Man hat acht Stunden lang eine Maske getragen, die schwer sitzt. Sich zusammengerissen. Demütigungen weggelächelt. Auch mit den eigenen Gefühlen ist man schließlich Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin und sucht sich in aller Regel nicht aus, welche Last man emotional zu bewältigen hat. "Es ist immer schon viel gewonnen", sagt Forscherin Rastetter, "wenn man sich bewusst macht, dass die Gefühlsregulation tatsächlich Arbeit ist."

Manchmal sollte man sich gerade für diese Art der Arbeit am Feierabend besonders belohnen. Und dann einfach nur machen, wonach man sich fühlt.

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