Jungfrau-Marathon in der Schweiz:Runner's High

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42,195 Kilometer und 1800 Höhenmeter vor grandioser Naturkulisse: der Jungfrau-Marathon im Berner Oberland. Doch auch hier war das Unglück vom Zugspitz-Lauf Thema.

Jochen Temsch

Bei Kilometer 25 prallen die Läufer gegen die Wand. Ab dem Dorf Lauterbrunnen geht es steil aufwärts, und der Jungfrau-Marathon wird zur zügigen Wanderung - zumindest für die Masse der Teilnehmer, die es nicht wie die Sieger Hermann Achmüller aus Südtirol und Simona Staicu aus Ungarn in 3:03:18 beziehungsweise 3:39:05 Stunden auf die 2100 Meter hoch gelegene Kleine Scheidegg schafften.

Der Weg nach oben: beschwerlich und neblig. (Foto: Foto: Swiss-Image/Guenther Schiffmann)

4076 Teilnehmer aus 43 Nationen sind vergangenen Samstag beim berühmtesten Bergmarathon der Welt in Interlaken angetreten. Sie feierten ein unbeschwertes Läufer-Fest am Fuße des Dreigestirns Eiger, Mönch und Jungfrau. Die Startplätze sind seit Jahren limitiert und so begehrt, dass sie ausgelost werden müssen.

Die Nachfrage nach Bergläufen ist ungebrochen hoch - trotz des Unglücks beim Zugspitz-Extremlauf im Juli, das die Disziplin in die Diskussion brachte. Zwei Teilnehmer starben auf der Zugspitze. Sie starteten im Regen und gerieten oben in Schneefall. Die Temperatur sank von zwölf Grad am Start um etwa zehn Grad über 2000 Metern.

Die gefühlte Temperatur für die entkräfteten, leichtbekleideten Läufer hat laut Experten minus zehn bis 15 Grad betragen: ein vorhersehbarer Kälteschock - im hochalpinen Gelände keine Seltenheit. Gegen den Organisator, der das Rennen hätte abbrechen können, wird wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Die Debatte unter Läufern über die Verantwortung der Veranstalter und die Eigenverantwortung der Teilnehmer hält an.

"Das Unglück auf der Zugspitze hat alle Veranstalter in der Berglaufszene betroffen gemacht", sagt Christoph Seiler, Chef-Organisator des Jungfrau-Marathons.

Der traditionsreiche Lauf gilt als Genussveranstaltung, Höhenprofil und Charakter sind mit der Zugspitze nicht zu vergleichen. Dennoch räumt Seiler ein: "Auch bei uns gibt es Risiken."

Dazu zählen Gewitter, Hochwasser und Schneefall, aber auch Föhnstürme. Im Januar etwa sprang bei der Fallboden-Sesselbahn, die oberhalb der Wengernalp Richtung Eigergletscher führt, bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 90 km/h ein Seil von der Rolle. Mehrere Sessel stürzen ab, ein Skifahrer starb, eine Frau wurde schwer verletzt.

Solche Stürme könnten auch beim Marathon heikel werden. Der legendärste Streckenabschnitt, die Moräne, führt von der Wengernalp den Eigergletscher entlang zum höchsten Punkt des Laufs auf 2205 Meter. Übermüdete Teilnehmer könnten etwa vom schmalen Pfad geweht werden.

"Man darf nicht sagen, bei uns kann nichts vorkommen", sagt Rennleiter Richard Umberg, "wir sind in der freien Natur, da kann alles passieren." Deshalb haben die Organistoren bis kurz vor dem Start noch einmal die Wetterdaten geprüft, mit den Streckenposten gefunkt.

Zum ersten Mal war auch ein Messwagen des staatlichen Wetterdienstes Meteo Schweiz vor Ort, um die Läufer mit detaillierten Informationen zu versorgen. Für Notfälle gibt es ausgearbeitete Szenarien, etwa eine Alternativstrecke, die die Moräne umgeht. Im schlimmsten Fall, so die Organistoren, würden sie das Rennen stoppen.

Auf der nächsten Seite: Das Besondere dieses Laufs.

Das war auch dieses Jahr nicht notwendig. Die Witterung war exakt so, wie vorhergesagt: Beim Start am Morgen in Interlaken schien die Sonne bei 15 Grad ohne Wind. Gegen 14 Uhr war der Himmel zugezogen bei zehn Grad und leichten Windböen von etwa 30 km/h. Über die Moräne stiegen die Läufer in dichten, dunklen Wolken. Aber erst nach Zielschluss am Nachmittag fing es an zu regnen.

Klaus Neumann überraschten die Wolken nicht. Als erfahrener Bergläufer geht der 56-jährige Stuttgarter sowieso nur mit Hüfttasche an den Start. Darin für alle Fälle: Windbreaker, Handschuhe, Mütze und ein simpler Regenponcho - eine Lebensversicherung aus dem Baumarkt für nur 50 Cent. "Man muss schon mitdenken", sagt Neumann, "und sich vorher mit einer Strecke auseinandersetzen."

Dazu hatte er schon oft Gelegenheit. Der passionierte Läufer gehört zum exklusiven Zirkel von nur fünf Teilnehmern, die von Anfang an beim Jungfrau-Marathon dabei sind, also 17-mal liefen, bei der Jubiläums-Doppelausgabe im Jahr 2002 sogar an zwei Tagen hintereinander. Neumann sagt: "Je weiter ich laufe, desto besser fühle ich mich." Damit spricht er auch naturbegeisterten Anfängern aus dem Herzen.

Die besondere taktische Herausforderung beim Jungfrau-Marathon ist, auf den flachen Kilometern nicht zu viel und nicht zu wenig Tempo zu machen. Zu viel bedeutet leiden am Berg. Zu wenig heißt, den verlorenen Minuten mühsam hinterherzusteigen.

Auch wenn ab Lauterbrunnen die Plastikstühle knapp werden, in die sich Läufer fallen lassen, um ihre krampfenden Waden massieren zu lassen - ins Ziel kommen die meisten: rund 3800 der 4000 Starter.

Rennleiter Umberg meint, diese im Vergleich mit Stadtmarathons sehr hohe Finisher-Quote liege am guten Trainingszustand der Läufer, von denen viele bereits mehrmals teilgenommen haben.

Der Sieger des 16. Rennens, der Südtiroler Hermann Achmüller, sagte vor dem Marathon übrigens, dass er Bergläufe eigentlich gar nicht mag. 95 Prozent seines Trainings absolviere er im Flachen.

(Ausführlicher Bericht vom Jungfrau-Marathon im Reiseteil der SZ vom 11. September. Nächster Jungfrau-Marathon am 5. September 2009, www.jungfrau-marathon.ch, www.interlaken.ch, www.myswitzerland.com)

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