Glosse:Leicht übergewichtet

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Bauchgefühl: Oliver Masucci als Rainer Werner Fassbinder, links Regisseur Oskar Roehler. (Foto: Bavaria Filmproduktion / ab-bild.de)

Der Schauspieler Oliver Masucci hat sich für seinen Part als Rainer Werner Fassbinder einen Rollenbauch angefressen. Gedanken zur männlichen Körpermitte.

Von Tanja Rest

Der Schauspieler Oliver Masucci hat zugenommen. Das meldet die Deutsche Presse-Agentur. Masucci hat den hässlichen Joe gespielt in "Winnetou - Der Mythos lebt", er war Adolf Hitler in "Er ist wieder da" und Arthur Kemper in "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl". Vor allem aber ist er ein Mann von 51 Jahren mitten in einer Pandemie, die ihn erbarmungslos in die Nähe des häuslichen Kühlschranks sowie der Schublade mit den Knabbersachen zwingt. Hätte die Deutsche Presse-Agentur ermittelt, dass Oliver Masucci nicht zugenommen hat: Das wäre eine Meldung wert gewesen.

Männer haben immer schon zugenommen, vor allem Männer im mittleren Alter. Sie pflegen in dieser Lebensphase häufig sinnierend vorm Spiegel zu stehen und den eigenen Körper so ausgiebig wie unbehaglich zu betasten. Dann kommt der Satz. Es ist wohlgemerkt ein Aussagesatz. Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen besteht darin, dass Frauen in Gewichtsdingen immer fragen würden. "Findest du, dass ich zugenommen habe...?" Männer konstatieren das Offensichtliche, heroisch, wortkarg, gnadenlos gegen sich und andere. "Bin. Ich. Fett."

Das Einzige, was kluge Frauen in diesem Moment tun können, ist lautstarkes, empörtes Lügen

Am sich selbst Fettleibigkeit bescheinigenden Mann mittleren Alters gemessen, sind die Krokodilsümpfe im südlichen Mississippi Gehgelände. Der statistischen Korrektheit halber: Es mag in der Geschichte des mittelalten Mannes hier und da schon vorgekommen sein, dass der Blick in den Spiegel auf einen immer noch tadellosen Körper traf. In diesem raren Fall handelt es sich bei dem Satz um fishing for compliments, weshalb man ihn tunlichst ignorieren sollte. Der Normalfall ist jedoch, dass sich ein grob aus dem Leim gegangener Kerl um die fünfzig im Spiegel betrachtet, seinen Bauchspeck begrapscht, in Businesshemd und Anzughose nicht mehr hineinpasst und abschließend in knappen Worten einräumt, was Sache ist.

Tückischerweise handelt es sich bei der Bin-ich-fett-Aussage aber doch um eine Frage, bei der das Fragezeichen lediglich nicht mitgesprochen wird. Das Einzige, was kluge Frauen in diesem Moment tun können, ist lautstarkes, empörtes Lügen ("Hä, spinnst du?!!"). Schweigen, geschweige denn Abwiegeln ("Och Schatz, jetzt übertreibst du aber"), nicht zu sprechen von liebevollem Einräumen ("Ich mag dich trotz deinem Bauchspeck, Baby"), hätte die Kränkung des männlichen Egos zur Folge, führt also direkt in die Katastrophe.

Doch zurück zu Oliver Masucci. Als er gegenüber dem Playboy (Oktoberausgabe) konstatierte, sein Bauch habe die Ausmaße eines für den Überflug des Alpenhauptkamms gerüsteten Fesselballons angenommen, gab sich die Interviewerin keine Mühe, diese Wahrheit zu leugnen. Weil es sich bei Masuccis Bauch um eine gesellschaftlich akzeptierte Sonderform handelt, den sogenannten Rollenbauch.

Matt Damon schwört auf Happy Meals, Ryan Gosling empfiehlt, geschmolzenes Eis zu trinken

Ein Schauspieler, der sich eigens für eine Rolle in ein menschliches Hippo verwandelt, futtert sich immer auch in eine stolze Tradition hinein. Sein Name steht plötzlich in einer Reihe mit dem von Christian Bale (20 Kilo für "American Hustle"), Bradley Cooper (20 Kilo für "American Sniper"), George Clooney (15 Kilo für "Syriana") und Robert de Niro (30 Kilo für "Raging Bull", dafür den Golden Globe, den Oscar etc.). Der Rollenbauch zeugt von Entschlossenheit, Tatkraft und dem eisernen Willen, sich für eine größere Sache zu opfern, ist also ein originär männliches Attribut und im Playboy bestens aufgehoben.

Man selbst hat den Rollenbauch nichtsdestotrotz immer für leicht übergewichtet gehalten. Wie jeder Mensch aus der Literatur und dem Film "Kleine Haie" weiß, lernt man auf der Schauspielschule, einen Stuhl zu spielen, das fünfte Rad am Wagen dramatisch zu verkörpern und sich in die Bewusstseinsebene eines tasmanischen Teufels tiefenpsychologisch hineinzufühlen. Könnte sich ein Künstler dann das große Fressen nicht eigentlich sparen und den Bauch einfach spielen? So, wie Masucci in "Winnetou - Der Mythos lebt" glaubhaft den hässlichen Joe gespielt hat, obwohl er zweifellos ein schöner Oliver ist?

Andererseits war es nicht irgendein Rollenbauch, den er sich in vielen Wochen mühsam anfraß. Es war der Rainer-Werner-Fassbinder-Bauch. Wie stark sich das Genie, der Wahnsinn und flackernde Sadismus dieses herrlichen deutschen Filmemachers zeitlebens aus dem Bauch gespeist haben, hat die Fassbinder-Forschung zu klären. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass ein Fassbinder mit lediglich gespielter oder aufgeklebter Wampe nur ein halber Fassbinder gewesen wäre. "Enfant Terrible" von Oskar Roehler kommt am 1. Oktober ins Kino. Ersten Augenzeugenberichten zufolge ist Oliver Masucci darin so intensiv Bauch, dass er hundertprozentig den Deutschen Filmpreis bekommt.

Wen es nun ebenfalls nach einem Rollenbauch gelüstet, hier das Masucci-Rezept: Ausgiebiges Frühstück, flankiert von zwei, drei Weißbierchen. Ausgiebiges Mittagessen. Dann ordentlich Kuchen. Ausgiebiges Abendessen. Matt Damon (15 Kilo für "Der Informant!") schwört außerdem auf Happy Meals, die er unter einer Ladung Doritos begräbt. Ryan Gosling (30 Kilo für "The Lovely Bones") empfiehlt, geschmolzenes Eis der Marke Häagen-Dazs zu trinken. Als der 100-Kilo-Gosling damals am Set auftauchte, wurde er vom Regisseur Peter Jackson übrigens gefeuert. Wie sich herausstellte, hatten sie bei der Rolle ein inkompatibles Bauchgefühl.

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