Historie:Geist und Handwerk

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Wenn Trompeten zu laut dröhnen: Humorvolles Bild einer Handschrift aus der Ausstellung "Von Frauenhand" im Museum Schnütgen, in Kooperation mit der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln. (Foto: Köln, WRM, Graphische Sammlung, Stanislaw Rusch)

Die Kölner Ausstellung "Von Frauenhand" ist nicht nur für Kirchenspezialisten spannend: Sie erlaubt einen tiefen und seltenen Einblick in weibliche Lebenswelten des Mittelalters.

Von Kay Lutze

Dass in den Skriptorien mittelalterlicher Klöster, wo zu jener Zeit die allermeisten Handschriften entstanden, fleißige Mönche an Buchstaben und Bildern saßen, wissen wir nicht erst seit Umberto Ecos Buch "Der Name der Rose". Weniger bekannt ist dagegen, dass auch schreibkundige Ordensfrauen an der Produktion dieser Kunstschätze einen bedeutenden Anteil hatten. Eine gebührende Würdigung erfahren sie nun in der Ausstellung "Von Frauenhand. Mittelalterliche Handschriften aus Kölner Sammlungen". Die Schau über die Welt mittelalterlicher Schreibwerkstätten wurde in Zusammenarbeit des Museums Schnütgen durch Karen Straub und Harald Horst von der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln konzipiert. Sie besticht nicht durch die Quantität, sondern vielmehr durch die Schönheit der Handschriften, die aus einer Zeitspanne vom 9. bis zum 16. Jahrhundert stammen.

Das historische Gebäude, in dem die Ausstellung zu sehen ist, strahlt eine ganz besondere mittelalterliche Atmosphäre aus: Die Handschriften werden an einem Ort gezeigt, an dem bereits seit dem 9. Jahrhundert Ordensfrauen tätig waren. Seit 1475 war die Kirche in der Hand der Augustiner-Chorfrauen und beherbergt seit 1956 das Schnütgen-Museum. Im Mittelschiff der Kirche sind die Handschriften aus sechs verschiedenen Konventen zu sehen, die die Entwicklung in der Herstellung von Handschriften über die Jahrhunderte anschaulich machen. Exponate aus der Sammlung des Museums Schnütgen ergänzen die ausgestellten Handschriften. So ist eine aus dem 14. Jahrhundert stammende thronende Madonna im weißen Kleid mit goldenen Lilien zu sehen, an deren Sockel eine Klarissin betet.

Die Schwester Karls des Großen

Der Rundgang beginnt mit der Abtei Notre-Dame de Chelles, die östlich von Paris an der Marne lag und im Mittelalter große Bedeutung hatte. Königin Chrodechilde, die Gemahlin des ersten getauften Merowinger-Königs Chlodwig I., gründete Chelles bereits Anfang des 6. Jahrhunderts. Ein mächtiges klösterliches Zentrum wurde die Frauenabtei zur Zeit des Frankenkönigs und Kaisers Karls des Großen. An den Schreibarbeiten im Skriptorium von Chelles war sehr wahrscheinlich auch Karls einzige Schwester Gisela beteiligt. Wie bedeutend sie war, schreibt Harald Horst, Leiter der Handschriftenabteilung der Kölner Dombibliothek: "Große intellektuelle Ausstrahlung erlangte die Abtei Chelles in der Karolingerzeit, als Gisela, die Schwester Karls des Großen, dort Nonne bzw. Äbtissin war (amt. 788 - 810). Aus ihrem lebhaften Briefwechsel mit dem Theologen Alkuin von York geht hervor, wie intensiv sie am geistigen Leben der Hofgesellschaft teilnahm, ja sogar Einfluss darauf hatte: Auf Bitten von Gisela und ihrer Nichte Rotrud, ebenfalls Nonne in Chelles, verfasste Alkuin um 800 einen umfangreichen Kommentar zum Johannes-Evangelium, den er den beiden Frauen widmete."

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(Foto: EDDB Köln)
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(Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln / M. Mennicken; Köln, Kolumba, Foto: farbanalyse)
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(Foto: Köln, WRM, Graphische Sammlung, Stanislaw Rusch)
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(Foto: EDDB Köln)
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(Foto: Köln, WRM, Graphische Sammlung, Stanislaw Rusch)
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(Foto: Köln, WRM, Graphische Sammlung, Stanislaw Rusch)

Aus Chelles werden drei Handschriften aus der Zeit um 800 gezeigt, die zum Grundstock der Kölner Dombibliothek gehören. Meisterwerke der Handschriftenkunst, die eindeutig von Frauenhand geschaffen wurden. Explizit genannt werden neun Schreiberinnen: Girbalda, Gislildis, Agleberta, Adruhic, Altildis, Gisledrudis, Eusebia, Vera und Agnes. Der Schreibschule in Chelles lassen sich heute noch 29 erhaltene Handschriften zuordnen. Die drei in Köln gezeigten Handschriften befassen sich mit den Kommentaren des Kirchenvaters Augustinus zu den 150 alttestamentlichen Psalmen.

Als es noch keinen Buchdruck gab: Jedes Bild war ein Kunstwerk für sich. (Foto: Köln, Kolumba, Foto: farbanalyse)

In der Zeit von E-Mails, Twitter und Co. sind die künstlerisch gestalteten Schriftstücke eine besondere Erfahrung. Vor der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg im 15. Jahrhundert waren Kopien von Büchern nur durch Abschriften per Hand in zumeist klösterlichen Schreibwerkstätten möglich. Pergament und Farben waren sehr kostbar. Für die zum Teil aufwendigen Verzierungen der Seiten mit figürlichen Miniaturdarstellungen oder der Ausschmückung von Initialbuchstaben waren besondere Fähigkeiten notwendig. Dabei erstellten die Skriptores zunächst ein Konzept für das gesamte Buch, einfach drauflosschreiben ging natürlich nicht.

Das Schreiben und Malen der Handschriften erforderte unterschiedliche Ausbildungen; auf jeden Fall Bildung und gute handwerkliche Fähigkeiten. So konnte es sein, dass Schriften nicht allein in einer Ordensgemeinschaft geschaffen wurden, sondern an andere Konvente zum Beispiel zum Ausmalen weitergereicht wurden oder von professionellen Buchmalern bearbeitet wurden.

Beten auf Kölsch

Die Ordensfrauen fertigten die unterschiedlichen Handschriften wie liturgische Werke, Stunden- oder Gesangbücher für den klösterlichen Alltag an. Es konnte sich aber auch um Auftragsarbeiten handeln, wie es bei den Codices aus Chelles der Fall ist. Nachgewiesen ist aber auch, dass in Konventen immer wieder Bücher zum persönlichen Gebrauch der Klostermitglieder abgeschrieben wurden. So lässt sich ein Gebets- und Andachtsbuch aus dem späten 15. Jahrhundert der Oberin des Chorfrauenstifts St. Maximin in Köln, Bela von Glesch, zuschreiben. Interessant ist, dass der Text neben einigen lateinischen Passagen sonst "überwiegend deutschsprachige Gebete im kölnisch-ripuarischen Dialekt enthält", wie es im sehr schönen Katalog heißt.

In der künstlerischen Ausgestaltung der Handschriften standen die Frauen den Männern in nichts nach. Nach Auffassung der Kuratoren finden sich bei der Gestaltung von Handschriften durch Frauen lieblichere Motive als bei ihren männlichen Kollegen, sie konnten aber auch ausdrucksstark malen.

Den Schwerpunkt der Ausstellung bilden die Handschriften aus der Produktion des Kölner Frauenklosters St. Klara, das in der Nähe des heute noch existierenden Kölner Römerturms stand. Um 1340 lebten in der Ordensgemeinschaft etwa 60 Nonnen, die fast ausschließlich aus dem lokalen Patriziat und auswärtigen Adelsfamilien stammten und somit dem Kloster hohe Einkünfte sicherten.

Motive mit Humor

Aus hohem Hause kam die Schreiberin und Buchmalerin Loppa vom Spiegel, Ordensfrau in St. Klara und Tochter Heinrichs vom Spiegel, der 1332 das Amt des Bürgermeisters in Köln innehatte. Aus ihrer Hand stammt auch das beeindruckende Messbuch für den Domdechanten Konrad von Rennenberg, das hier ausgestellt wird. Ein "Graduale"-Blatt belegt die Urheberschaft der Ordensfrau, quasi ein mittelalterliches Copyright. Am Rand des Blattes kniet sie mit einem Franziskanermönch über einer Bildinitiale, in der die Martyrien der heiligen Laurentius und Bartholomäus dargestellt sind. Eine Inschrift daneben weist sie als Schreiberin von Text und Noten aus. Das Graduale wird an seinen Rändern von Blattwerk geziert, zwei Drachen, ein Hase und laufender Hund sind die zusätzlich schmückenden Figuren. Auch weitere Einzelblätter aus Handschriften zeigen vielfach fast humoristische Motive wie kletternde Affen oder Mischwesen aus Mensch und Tier.

Aus dem Kloster in Lamspringe wird ein kleinformatiger Psalter mit einem Bilderzyklus vom Ende des 13. Jahrhunderts, ein Gesangbuch für die 150 alttestamentarischen Psalmen, ausgestellt. Vor allem für Frauen hatte der Psalter eine besondere Bedeutung, er zählte zur Pflichtlektüre adliger Damen. Das Buch enthält Szenen aus dem Leben Christi und Marias wie die Anbetung der Heiligen Drei Könige, die Taufe oder die Kreuzigung.

St. Katharina in Nürnberg besaß neben dem Skriptorium eine Textilwerkstatt. Nonnen befassten sich auch mit Weben, Sticken, Stricken oder Klöppeln. Gezeigt wird ein Bildteppich vom Ende des 15. Jahrhunderts mit der Darstellung der Madonna im Strahlenkranz, umgeben von den Aposteln Petrus und Paulus vor einem Hintergrund aus weißen, roten und blauen Wolkenbändern. So gewährt uns die Ausstellung "Von Frauenhand" einen tiefen Einblick in eine Zeit, in der Frauen bereits sehr viel mehr sein und leisten konnten, als es gängigen Vorstellungen über das Mittelalter entspricht.

Die Ausstellung "Von Frauenhand" im Museum Schnütgen ist noch bis zum 30. Januar 2022 in Köln zu sehen.

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