Kolumne: Vor Gericht:Das verbrecherische Weib

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(Foto: SZ)

Frauen begehen weniger Straftaten als Männer. Um das zu erklären, fanden Kriminalhistoriker erstaunliche Begründungen.

Von Ronen Steinke

Sind Frauen eigentlich die besseren Menschen, weil sie so viel seltener kriminell werden als Männer? Der Anteil von Frauen auf deutschen Anklagebänken ist tatsächlich so niedrig wie sonst nur der Anteil in Aufsichtsräten von Dax-Konzernen - es sind weniger als 20 Prozent. Und in Gefängnissen ist nur jeder 20. Häftling eine Frau. Männer sind also auf diesem Feld präsenter. Sie dominieren. Man darf fragen, woran dies liegt. Stimmt mit den Männern etwas nicht?

Auf gar keinen Fall!, entgegnete auf diese Frage der Begründer der modernen Kriminologie, Cesare Lombroso aus Italien, schon im Jahr 1894 - und er begann damit, stattdessen Theorien über die Kriminalität von Frauen zu entwickeln, die diese Geschlechterdifferenz anders erklären sollten. Seine erste Theorie lautete: Frauen gingen halt lieber auf den Strich, statt kriminell zu werden, "denn die natürliche Rückschlagbildung beim Weibe ist die Prostitution, nicht die Kriminalität". Der Kriminologe Lombroso fand: Im Grunde seien Frauen deshalb sogar das schlimmere Geschlecht.

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Eine zweite Theorie: Menstruation sei ein wichtiger Faktor für Straftaten. Der Jurist und Kriminologe Hans Gross schrieb hierzu im Jahr 1905, dass in der Gebärmutter "meistens die Ursache des Übels" stecke. Wie das? Die Kollegen Wissenschaftler, so referierte er, hätten herausgefunden, dass "etwa 63 Prozent der Warenhausdiebstähle von menstruierenden Frauen begangen" würden, die ganz wirr im Kopf seien. Aber das, so notierten die Kriminalwissenschaftler, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert viel über diese Fragen diskutierten, sei ja gottlob nur einmal im Monat der Fall.

Der Münchner Historiker Karsten Uhl hat diese ganzen wilden Theorien in einem faszinierenden Buch dokumentiert, "Das 'verbrecherische Weib‛", ein sehr guter Zeitvertreib, wenn man zum Beispiel im Amtsgericht Berlin-Tiergarten mal wieder länger warten muss, weil ein Prozesstermin ausgefallen ist. Darin finden sich auch Stimmen wie jene des berühmten Kriminalbiologen Franz Exner. Er sah Diebstahl als "Ausdruck des weiblichen Wesens". Denn: "Die staatliche Regelung des Gemeinschaftslebens ist ihr vielfach eine lästige Formalität, über die man sich hinwegsetzen kann", das sei halt "ein anderes Rechtsdenken" als bei Männern. Oder auch der Direktor der Leipziger Universitäts-Frauenklinik. Er plädierte im Jahr 1930 dafür, Frauen generell anders zu bestrafen. Denn: Zyklus, Schwangerschaft, Klimakterium - im Grunde seien Frauen nicht nur einmal im Monat, sondern dauerhaft wirr im Kopf. Das weibliche Geschlecht als mildernder Umstand.

Am schmeichelhaftesten für Männer aber war wohl die Theorie, die da lautete, in Wahrheit seien Frauen gar nicht weniger kriminell. Der Eindruck täusche. Erklärt wurde dies mit der sogenannten Kavaliersthese: Die Herren Wachmeister und auch die Herren Staatsanwälte würden einfach viel öfter ein Auge zudrücken, Kavaliere eben - und die diebischen Damen davonkommen lassen.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))

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