Erhöhte Infektionsgefahr:Wie Eltern und Erzieher ihre Kinder vor Zecken schützen können

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Jetzt aber schnell raus damit! Dabei die Zecke sanft ziehen, nicht drehen, sagen Experten. (Foto: plainpicture/Bénédicte Lassalle)

Es gibt so viele Zecken wie seit zehn Jahren nicht mehr. Das stellt Schulen und Kitas vor ein krabbeliges Problem: Rausziehen oder Finger weg?

Von Nina Himmer

Sie sind von Natur aus träge, klettern ungern höher als 1,50 Meter und bohren ihre Kieferklauen gerade deshalb häufig in die Haut von Kindern. Zecken schlagen im Garten oder beim Wochenendspaziergang zu - aber eben oft auch auf dem Schulweg oder dem Pausenhof, beim Klassenausflug in den Wald oder im Schullandheim. Dort sind dann Lehrer und Erzieher die Ersten, die ein krabbeliges Problem haben: Rausziehen oder Finger weg?

Die Frage wird dringlicher, denn diesen Sommer ist die Infektionsgefahr größer als bisher. 2018 gibt es viel mehr Zecken als gewöhnlich, warnt das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung. Gemeinsam mit der Universität Wien hat man dort ein Modell zur Vorhersage der Zeckenzahl entwickelt. Die Forscher zählen Tiere, sammeln Daten darüber, wie warm und feucht es wird und wie viele Früchte die Bäume tragen. Daraus entwickeln sie eine sehr genaue Prognose. In diesem Jahr fanden sie die höchsten Zahlen seit Beginn ihrer Untersuchungen vor zehn Jahren. Auf 100 Quadratmeter kamen 443 Zecken. Im vergangenen Jahr waren es nur 180.

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Mit dem großen Krabbeln wächst auch die Verunsicherung. Vor allem dort, wo es um Kinder geht: In Schulen und Kindergärten werden Einverständniserklärungen zur Zeckenentfernung verteilt oder die Eltern von betroffenen Kindern zum Gespräch zitiert. Auf Elternabenden diskutieren Pädagogen und Eltern die Vorteile von Pinzetten gegenüber Zeckenzangen, und manches Kind bringt aus der Schule nicht nur Hausaufgaben und Pausenhofgeschichten mit nach Hause, sondern auch auf Klebeband fixierte Zecken. So können die Eltern das Tierchen auf Erreger testen lassen, wenn sie denn wollen. Aber bringt das überhaupt was? Oder sollte man seine Kinder diesen Sommer besser gleich gar nicht mehr im Gras toben lassen?

Kinder sind besonders anfällig für Zeckenstiche

Gerhard Dobler, Virologe am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr München und Deutschlands erster Zeckenforscher, nimmt sich für die Antwort ausführlich Zeit. Erhöhte Wachsamkeit sei richtig, sagt er, denn klar ist: Mit der Zahl der Zecken steigt auch das Infektionsrisiko. Im Speichel der Tiere können FSME-Viren schlummern, in ihrem Darm Borreliose-Bakterien. Erstere können die gefürchtete Frühsommer-Meningoenzephalitis (siehe Kasten) auslösen, Letztere Fieber, Gelenkschmerzen und Abgeschlagenheit. Beide Krankheiten sind langwierig und können gefährlich verlaufen.

Und auch das stimmt: Kinder sind besonders anfällig für Zeckenstiche, bestätigt Dobler. Ihre zarte Haut und die geringe Körpergröße machen sie zu perfekten Opfern für die winzigen Spinnentiere. Viel häufiger als Erwachsene werden sie an Kopf, Hals und Ohren gestochen. Auch, weil sie eher durch Gräser und Büsche toben, Schleichwege abseits der Wanderwege suchen und sich generell mehr im Freien aufhalten. Laut Robert-Koch-Institut gab es 2017 in Deutschland 485 gemeldete FSME-Fälle, davon allerdings nur 31 bei Kindern unter 15 Jahren. Das Erkrankungsrisiko nimmt ab 40 deutlich zu. Virologe Dobler zufolge zeichnet sich schon jetzt ab, dass die Zahl 2018 weiter steigen könnte.

Dass Lehrer herausgezogene Zecken mit nach Hause geben, ist allerdings trotzdem nicht nötig. Da sind sich Zeckenforscher Dobler und Josef Kahl vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte einig. Zu gering sei die Aussagekraft solcher Tests. "Die Zecke zu untersuchen ist wenig sinnvoll, im Zweifel bringt nur ein Bluttest beim Kind Klarheit", sagt Kahl. Allerdings ist auch dieser Test mit Vorsicht zu genießen: Er weist die Infektion nach, indem das Blut auf Antikörper gegen Borrelien untersucht wird. Diese bilden sich aber meist erst einige Wochen nach dem Stich. Sinnvoller als gleich zum Arzt zu gehen, ist es darum, das Kind genau zu beobachten.

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Zum einen verläuft die Infektion mit FSME bei Kindern meist harmloser als bei Erwachsenen. Zum anderen gibt es wirksame Möglichkeiten, Kinder zu schützen - auch ohne sie bis zu den Ohren einzupacken oder die Natur als Spielplatz zu verdammen. Wer in einem sogenannten Risikogebiet lebt oder dorthin reist, sollte unbedingt gegen FSME impfen, rät Kinderarzt Kahl.

In solchen Gebieten sind besonders viele Zecken mit FSME infiziert. Die Impfung sei "sehr sicher" und zugleich die einzige Möglichkeit, sich wirksam vor einer Krankheit zu schützen, die in Einzelfällen tödlich verlaufen kann. Theoretisch ist eine Impfung schon im ersten Lebensjahr möglich, die meisten Ärzte raten jedoch zu einem etwas späteren Zeitpunkt. Ein Säugling krabbelt schließlich noch eher selten durchs Gebüsch.

Etwas komplizierter sieht es mit Borrelien aus, denn eine Impfung gegen die Bakterien gibt es bisher nicht. Dafür wissen Forscher mittlerweile mehr über den Übertragungsweg. Zum Beispiel, dass es nach dem Stich meist zwölf bis 16 Stunden dauert, bis die Bakterien aus dem Darm der Zecke in die Blutbahn des Menschen gelangen. "Dieses Zeitfenster sollte man nutzen und Zecken möglichst schnell entfernen", sagt Virologe Dobler. Hier sind auch die Pädagogen gefragt: Je schneller sie einer Zecke zu Leibe rücken, desto besser. "Ich rate deshalb allen Eltern, einer Zeckenentfernung in der Schule oder im Kindergarten zuzustimmen", sagt Kinderarzt Kahl.

Genauso wichtig sei es aber, dass die Lehrer und Erzieher mit den Eltern reden. Denn: Das Datum jedes Zeckenstichs gehört zu Hause in den Kalender. Und die Stichstelle selbst kann der Pädagoge zum Beispiel mit dem Filzstift markieren. Oft ist der Stich längst vergessen, wenn die ersten Symptome auftauchen. So geht wertvolle Zeit verloren.

Nagellack, Öl und Kleber sind tabu

Was sonst noch hilft? Helle Klamotten, Hosenbeine in die Socken stopfen und Kinder nach dem Waldspaziergang baden. Das macht den meisten Spaß, und beim Trockenrubbeln kann man sie nebenbei auf Zecken absuchen. Noch krabbelnde Tiere fängt man am besten mit einem Stück Klebestreifen, auf dem selbst winzige Nymphen hängen bleiben. Bereits festgesaugten Plagegeistern rückt man mit einer Pinzette oder speziellen Zangen und Schlingen zu Leibe. Dabei gilt: "Die Zecke möglichst nah an der Haut packen und senkrecht nach oben ziehen, bis sie sich löst", sagt Dobler. Sanft, nicht ruckartig vorgehen - manchmal dauert es ein bisschen, bis das Tier loslässt.

Mittel wie Nagellack, Öl und Kleber hingegen sind ebenso tabu wie Quetschen oder Drehen. "Zecken haben kein Gewinde, und all diese Methoden erhöhen nur die Gefahr einer Infektion."

Mit dem richtigen Werkzeug und etwas Übung kriegt das jeder Papa und jede Lehrerin hin. Selbst wenn mal ein Stück des Stachels in der Haut zurückbleibt, ist das kein Drama - schließlich sitzen die Erreger im Darm oder den Speicheldrüsen. Aus Haftungsgründen ist eine Einverständniserklärung der Eltern für Pädagogen trotzdem wichtig. Der entscheidende Schachzug liegt aber ohnehin bei den Eltern: Nach jedem Stich muss die Stelle genau beobachtet werden. Rötet sie sich, kriegt das Kind Fieber, Muskel- und Gelenkschmerzen oder Kopfweh, dann heißt es: ab zum Arzt.

© SZ vom 14.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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