Familien-Newsletter:Bildschirmfrei bis drei?

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Eine ärztliche Leitlinie fordert, Kleinkinder vollständig von elektronischen Geräten fernzuhalten. Das ist nicht nur unrealistisch - es gibt auch keine Studien, die die Gefahr von moderatem Medienkonsum belegen.

Von Barbara Vorsamer

Dieser Text stammt aus dem Familien-Newsletter der Süddeutschen Zeitung, der jeden Freitagabend verschickt wird. Hier können Sie ihn abonnieren.

Liebe Leserin, lieber Leser,

sobald irgendwo ein Bildschirm hängt, glotze ich drauf.

Geht Ihnen das auch so?

Dabei lasse ich in der U-Bahn oft ganz achtsam und bewusst mein Handy in der Handtasche - nur um dann auf dem Infoscreen, der im Waggon hängt, zu lesen, welcher Fußballspieler wohin gewechselt hat und welcher Highlighter den besten Teint macht. (Wollte ich gar nicht wissen.)

Es braucht einen daher als Eltern nicht zu wundern, dass auch Kleinkinder wie hypnotisierte Kaninchen auf jeden Bildschirm starren, den sie in ihrer Umgebung finden, egal, ob darauf nun "Shaun, das Schaf" läuft oder der Ukraine-News-Ticker.

Ob ihnen das guttut? Die meisten Menschen in Deutschland haben dazu eine klare Meinung: natürlich nicht. Weswegen Eltern, die ihrem Kind im Restaurant das Tablet in die Hand drücken, mit strengen Blicken vom Nachbartisch rechnen müssen und in Kinderarztpraxen Broschüren ausliegen, auf denen der griffige Slogan prangt: "Bildschirmfrei bis Drei." Er bezieht sich auf eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Leitlinie, die kategorisch davon abrät, Kinder unter drei Jahren elektronische Medien nutzen zu lassen.

Mein Kollege Max Muth schreibt, dass diese Leitlinie seltsam aus der Zeit gefallen scheint in einer Zeit, in der so gut wie jedes Bundesland digitale Medien pädagogisch in Kitas einsetzen will und dazu Modellprojekte und Fortbildungen anbietet. Für seinen Text fand er zudem heraus, dass die harsche Formulierung keine wissenschaftliche Basis hat. Studien, die belegen, dass auch moderate Bildschirmnutzung dazu führt, dass Kinder sich schlechter entwickeln, existieren nicht.

Was wiederum nicht heißen soll, dass es egal ist, wie oft man seinem Kind das Tablet in die Hand drückt. Ich fand die Daumenregeln des Entwicklungspsychologen Thomas Mößle daher wesentlich hilfreicher als die umstrittene Leitlinie. Mößle sagt: Je jünger die Kinder sind, je mehr Zeit sie mit Medien verbringen, und je unstrukturierter die Nutzung ist, desto schlechter. Das heißt nämlich im Umkehrschluss: Den Zweijährigen zum Zähneputzen Baggervideos schauen zu lassen, ist vermutlich unproblematisch. Und in der Stadt kann man all den Bildschirmen ohnehin nicht ausweichen. Ich empfehle Ihnen den Text von Max Muth sehr.

Ein schönes Wochenende wünscht

Barbara Vorsamer

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