Extremlaufen:"Ich bin nicht sexy"

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Er gilt als einer "der schärfsten Männer im Sport": Ultraläufer Dean Karnazes hält den Weltrekord im Dauerlaufen. Frauen lieben sein Buch. Er weiß, warum.

Jochen Temsch

Der US-Amerikaner Dean Karnazes war in Turnschuhen am Südpol und im Backofen des Death Valleys. Er rennt 50 Marathons an 50 Tagen hintereinander. Der 44-Jährige hält den Weltrekord im Dauerlaufen: 560 Kilometer in 80 Stunden nonstop. Darüber hat er einen Bestseller geschrieben, den auch unsportliche Hausfrauen lieben.

(Foto: Foto: North Face/ Corey Rich)

sueddeutsche.de: Wie kommen Sie damit klar, ein Sexsymbol zu sein? Eine Frauenzeitschrift verpasste Ihnen diesen Titel.

Dean Karnazes: Darüber mussten meine Frau und ich lachen. Ich versuche nicht, sexy zu sein. Ich finde mich nicht sexy. Du trainierst, du rennst, du bekommst Muskeln. Ich pumpe ja keine Gewichte, um mich aufzublasen. Es passiert einfach.

sueddeutsche.de: Sind Sie gar nicht eitel?

Karnazes: Wissen Sie, ich bin einfach ein Läufer. Die anderen Jungs sehen auch so aus. So ist das eben. Wenn jemand ein Autogramm will, stelle ich erstmal klar, dass dieses Wort für mich zu hochgegriffen ist. Ich unterschreibe eben was.

sueddeutsche.de: Und wie ist das mit Läuferinnen?

Karnazes: Die hauen mich höchstens mal wegen eines Energie-Riegels an. Sie starten an der selben Linie und gehen durchs selbe Ziel - und manchmal gewinnen sie auch.

sueddeutsche.de: Können Sie mit dem Wort "extrem" etwas anfangen?

Karnazes: Nein. Was ich tue, ist einfach mein Leben. Wenn meine Kinder hier wären, würden die auch sagen, dass ihr Daddy die normalsten Dinge der Welt macht.

sueddeutsche.de: Andere würden sagen, es ist eher abnormal.

Karnazes: Für viele ist es eben dermaßen jenseits ihrer Realität, dass ein Mensch 200 Kilometer ohne Pause rennen kann.

sueddeutsche.de: Und wenn jemand denkt, dass Sie dafür dopen?

Karnazes: Das Thema spielt in meinen Kreisen keine Rolle, weil es überhaupt nicht um Geld geht. Wenn man den Badwater-Ultramarathon gewinnt, den härtesten Lauf der Welt, bekommt man eine Gürtelschnalle - und zwar die Gleiche, die jeder andere bekommt, der es über die Ziellinie schafft. Wer sich dieses Rennen antut, sucht eine innere Belohnung. Warum sollte man sich selbst betrügen?

sueddeutsche.de: Was sagt Ihre Frau zu Ihren Eskapaden?

Karnazes: Sie ist ein Engel. Meine Familie kommt für mich an erster Stelle. Ich trainiere, wenn meine Kinder im Bett sind, dann noch einmal morgens um vier, bevor ich ihnen Frühstück mache und sie zur Schule fahre. Und das empfinde ich nicht als Opfer, das kommt echt von Herzen. Die Idee zu den 50 Marathons entstand auf einem Familienurlaub. Ich wollte meine Kinder ins Wohnmobil packen und ihnen die großartige Natur unseres Landes zeigen. Dann dachte ich, ich könnte doch hier mal einen Marathon mitmachen und da.

sueddeutsche.de: Das machen Sie jetzt seit 14 Jahren. Wie geht es Ihren Knien?

Karnazes: Alles bestens. Ich habe das Gefühl, je älter ich werde, desto stärker werde ich. Ich mache wohl weiter, bis es mich umhaut.

sueddeutsche.de: Das ist ja bereits geschehen. Etwa beim Badwater-Ultramarathon im Death Valley, dessen Hitze Sie im Buch beschreiben: Vögel fallen tot vom Himmel, Ihre Schuhe schmelzen und Sandwiches werden von der Toasterluft geröstet. So wollten Sie mehr als 200 Kilometer schaffen.

Karnazes: Ich bin froh, dass ich zusammengebrochen bin. Wer weiß, was sonst noch passiert wäre.

sueddeutsche.de: Trotzdem sind Sie zurückgekehrt und haben das Rennen gewonnen.

Karnazes: Ich mag keine unerledigten Geschäfte.

sueddeutsche.de: Ist das noch gesund, was Sie machen?

Karnazes: Eine gute Frage. Man geht bis an die äußerste Grenze und hofft, diese nicht zu überschreiten. Ich habe Familie. Wenn ich das Gefühl hätte, mich in Gefahr zu bringen, würde ich nicht so laufen.

sueddeutsche.de: Wieso haben Sie dann im Death Valley nicht aufgehört?

Karnazes: Es gibt keine Abkürzungen beim Ultramarathon. Der Körper ist darauf programmiert, an einem bestimmten Punkt Stopp zu sagen. Die Gedanken sagen: Nein, lauf weiter! So ist der einzige, finale Selbstschutz-Mechanismus die Ohnmacht - oder Schlimmeres.

sueddeutsche.de: Oder Sie schlafen einfach kurz ein.

Karnazes: Ja. Einmal wachte ich in der Nacht auf, stellte fest, dass ich mitten auf der Straße lief und mindestens 50 Meter mit geschlossenen Augen zurückgelegt hatte. Das Lustige daran war, dass ich mich tatsächlich etwas erholt fühlte. Ein Typ, der davon las, schrieb mir. Er behauptete, er sei der Trainer von Bruce Lee gewesen und könne mir das Schlaflaufen über Hunderte Kilometer beibringen. Ich habe dann nicht mehr auf seine Mails geantwortet.

sueddeutsche.de: Mit Esoterik hat Ihre Lauferei also nichts zu tun?

Karnazes: Jeder Läufer kennt besondere Zustände. Ich weiß nicht, wo man beim Laufen ist, aber man ist definitiv woanders. Und wenn man 40, 50 Stunden lang läuft, ist man echt ganz, ganz woanders. Es ist eine Form von Abenteuer. Ich renne 100 Kilometer durch die nächtliche Natur, sehe die Sonne untergehen, den Mond aufsteigen - das sind unglaubliche Erlebnisse! Ich bestelle eine Pizza per Handy an eine Straßenkreuzung oder quatsche morgens um drei in der Pampa mit einem Tankstellen-Pächter. So was reißt alle menschlichen Barrieren nieder.

sueddeutsche.de: Klingt wie Szenen aus "Forrest Gump".

Karnazes: Ja, ein bisschen.

sueddeutsche.de: Der läuft als Kind vor den Hänseleien seiner Mitschüler davon. Und Sie?

Karnazes: Bei mir geht es um etwas anderes. Ich bekomme sehr viele begeisterte Mails von Leuten, die überhaupt nicht laufen, von ganz normalen Hausfrauen zum Beispiel. Weil die Idee hinter meiner Geschichte universal ist. Es geht darum, Grenzen auszutesten, zu schauen, was man draufhat. Wir haben so viele Annehmlichkeiten in unserer Zivilisation. Wir denken, die Abwesenheit von Schmerz bedeute Glück. Aber wenn wir um etwas kämpfen müssen und Schmerz im Spiel ist, fühlen wir uns viel lebendiger. Das lässt sich auf alle Lebensbereiche übertragen.

sueddeutsche: Genießen Sie diesen Schmerz?

Karnazes: Ich genieße den Schmerz nicht, ich will ihn beherrschen. Er ist eine Herausforderung. Die erste Hälfte eines Rennens läuft man mit den Beinen, die zweite Hälfte mit dem Herzen. Es ist ein mentaler Kampf.

sueddeutsche.de: Mit solchen Ausführungen inspirieren Sie eine Menge Leser.

Karnazes: Wenn mir vor fünf Jahren jemand gesagt hätte, dass ich mal auf Flughäfen in der ganzen Welt angesprochen werde! Ein ganz schöner Erfolg für einen Typen, der nicht schreiben kann.

sueddeutsche: Das stimmt so auch nicht. Sie zeigen zum Beispiel auch Humor, wenn Sie schildern, wie Sie kollabieren, Ihre Zehennägel verlieren und Brechkrämpfe kriegen.

Karnazes: Als es mir passierte, fand ich das nicht so lustig. Aber im Nachhinein sind viele Erlebnisse komisch - das kennt jeder Läufer. Außerdem ist eine meiner guten Eigenschaften, dass ich mich selbst nicht zu ernst nehme.

sueddeutsche.de: Missionieren Sie jetzt mit Ihrer Bekanntheit? Zum Beispiel druckt eine Kaffeekette Zitate von Ihnen auf ihre Pappbecher. Sprüche wie "Renne, wenn du kannst. Gehe, wenn du es nötig hast. Krieche, wenn du musst. Aber gib niemals auf."

Karnazes: Meine Botschaft lautet: Mach körperliche Aktivität zum Teil deines Lebens. Wenn du keine Gesundheit hast, hast du nichts. Aber ich predige nicht, ich gebe ein Beispiel. Ich bin aktiv, gesund und glücklich. Und das genieße ich.

sueddeutsche.de: Vielleicht müssen Sie aufpassen, dass Sie kein Guru werden?

Karnazes: Ja, ich als der Dalai Lama des Laufens. So weit kommt es noch!

Dean Karnazes, Jahrgang 1963, ist Ultramarathon-Läufer und Autor verschiedener Ultramarathon-Bücher. Er hat Wirtschaft studiert und wohnt mit seiner Frau Julie und seinen Kindern Alexandria und Nicholas in San Francisco. Sein neuestes Buch "Ultramarathon Man. Aus dem Leben eines 24-Stunden-Läufers" ist 2007 im riva Verlag München erschienen.

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