"Er sagt, sie sagt" zu Arztphobie:Das wird schon wieder

Lesezeit: 3 Min.

Mir fehlt nichts! Vor allem kein Arzt. (Foto: iStock)

Er kann sich kaum mehr auf den Beinen halten. Sie versucht, ihn zum Arztbesuch zu bewegen. Doch davor scheint er sich mehr zu fürchten als vor den Schmerzen.

Von Violetta Simon

Sie: Kommst du essen? Mein Gott, wie stehst du denn da? Du bist ja total schief!

Er: Ach was, nur ein kleines Problem mit dem Rücken.

Sie: Immer noch dieses Ziehen?

Er: Inzwischen ist es eher ein Stechen.

Sie: Sicher hast du dir einen Nerv eingeklemmt. Willst du damit nicht lieber zum Arzt?

Er: Wegen sowas gehe ich doch nicht zum Arzt! Wirst sehen, das wird schon wieder. ( Er versucht, sich hinzusetzen.) Autsch!

Sie: Was ist los?

Er: Ich glaube, ich esse meine Suppe im Stehen.

Sie: Und ich glaube, wir rufen den Arzt an.

Er: Bis ich da einen Termin bekomme, ist es längst wieder vorbei.

Sie: Bei deinen Schmerzen schiebt er dich sicher dazwischen.

Er: Du tust ja gerade so, als hätte ich einen offenen Bruch!

Sie: Mein Gott, muss denn erst der Knochen freiliegen, damit du freiwillig zum Arzt gehst?

Er: Du daramatisierst mal wieder.

Sie: So wie damals, als sie dir um ein Haar den Unterschenkel amputiert hätten, weil du die Blutvergiftung tagelang ignoriert hast?

Er: In unserem Alter zwickt es eben ab und zu irgendwo. Das ist doch normal.

Sie: Normal nennst du das? Schau dich mal an, du stehst da wie eine Geisterbahnfigur, die man falsch zusammengeschraubt hat.

Er: Ich fühle mich topfit, wirklich! Schau doch (hebt ein Bein, bewegt es mit schmerzverzerrtem Gesicht nach vorne und hinten).

Sie: Eindeutig: Du brauchst einen Arzt.

Er: Brauche ich nicht! So ein Arzt macht einen erst richtig krank. Der verschreibt mir nur irgendeine Salbe. Oder ein paar Tabletten, und dann habe ich die nächsten Probleme. Hast du schon mal so einen Beipackzettel durchgelesen?

Sie: Sag mal, hast du etwas Angst?

Er: So ein Quatsch. Der einzige, dem es nach meinem Besuch besser geht, ist der Arzt.

Sie: Aber wäre es denn nicht sinnvoll, das mal röntgen zu lassen, nur um sicher zu gehen, dass es nicht die Bandscheiben sind?

Er: Kommt nicht in Frage, ich setze mich doch nicht überflüssiger Strahlenbelastung aus!

Sie: So wirst du aber nie wissen, was du hast.

Er: Pah, als ob ein Arzt das beurteilen kann. Man hört doch immer wieder von Fehldiagnosen. Am Ende werde ich operiert und sitze für den Rest meines Lebens im Rollstuhl!

Sie: Mein Lieber, im Rollstuhl landest du bestenfalls, wenn du weiter so stur bist. Auf jeden Fall aber im Gipsbett. Hast du denn gar kein Verantwortungsgefühl? Immerhin bist du Familienvater.

Er: Ich bin nicht stur. Schau, ich habe sogar ein Wärmepflaster aufgeklebt.

Sie: Also ich geb's auf. Es ist einfach hoffnungslos mit dir. Aber wenn sie dich mit dem Kran abholen, will ich nichts hören.

Er: Wieso Kran?

Sie: Ach, die Geschichte kennst du ja gar nicht! Du warst an dem Tag in Berlin. Da haben sie Herrn Lentner aus dem dritten Stock gehievt. Durchs Fenster.

Er: Oh Gott, warum das denn?

Sie: Bandscheibenvorfall. Es begann mit einem leichten Ziehen.

Er: Im Ernst?

Sie: Es hieß, er habe am Boden gelegen, nahezu transportunfähig. Sechs Stunden soll er gebraucht haben, um sich bäuchlings zum Telefon zu robben. Die Notärzte konnten ihn nicht mal mehr übers Treppenhaus hinuntertragen, jegliche Erschütterung musste vermieden werden. Also haben sie die Feuerwehr geholt. Die hat ihn dann mit der Drehleiter auf einer Bahre aus der Wohnung holen müssen.

Er: Das ist ja furchtbar!

Sie: Das kannst du laut sagen. Die Nachbarn und die Leute im Haus gegenüber hätten fast selbst einen Orthopäden gebraucht, so haben sie sich die Hälse verrenkt. Gott, war dem armen Mann das peinlich.

Er: Ist er deshalb ausgezogen?

Sie: Keine Ahnung. Was soll's. Mach dir keine Sorgen, du kannst ja noch aufrecht stehen.

Er: Die Frage ist nur, wie lange.

Sie. Ach was. Das wird schon wieder! A propos: Soll ich dir den Teller jetzt ans Fensterbrett tragen oder möchtest du lieber im Stehen direkt aus dem Topf essen?

Er: Ich will nicht essen. Ich will einen Arzt. Sofort. Besser, du rufst gleich den Notarzt. Schnell, bitte! Ich glaube fast, es sticht jetzt sogar am Herzen!

Sie: Na also, endlich wirst du vernünftig. Wobei: Die Nachbarn hätten sich gefreut.

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