Do it Yourself - oder auch nicht:Schrauben bis zur Verzweiflung

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Die Romatik des Selbermachens: Was früher mit Hammer und Säge repariert werden konnte, erfordert heute oft Spezialwerkzeug - und macht es der Do-it-Yourself-Bewegung damit nicht leicht. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Schon wieder was kaputt: Die Renaissance des Do-it-Yourself-Trends ist toll, aber trügerisch. Denn die Sehnsucht nach der Reparatur aus eigener Kraft ist das Ergebnis von schnellem Produktverschleiß und romantisierender Baumarktwerbung.

Von Gerhard Matzig

Ein Junge. Der hat ein Fahrrad. Das Fahrrad hat einen Reifen - und der Reifen hat einen Platten. Na und? Üblicherweise würde der Zehnjährige nun was tun? Er würde sein mintgrünes Reparaturkästchen "Tip Top" aus dem Keller holen. Darin ruhen einsatzbereit: vier Flicken der Größe 1, ein Flicken der Größe 2, eine Tube mit Vulkanisierflüssigkeit und ein Streifen Sandpapier. Dann müsste der Junge eigentlich nur noch Luftpumpe, Wassereimer und Schraubenschlüssel organisieren, um - ganz im Sinn von Büchern, die "Marke Eigenbau", "Ich schraube, also bin ich" oder "Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten" heißen -, um solcherart durch eigene handwerkliche Tätigkeit inmitten der Do-it-Yourself-Renaissance zu sich selbst zu finden. Früh übt sich.

Was der Junge jedoch tut, ist Folgendes: Er sucht und findet nicht sich selbst oder die Renaissance, sondern den Vater. Dem sagt er: "Der Reifen ist platt."

Junge, sei ein Mann

"Dann flick ihn", sagt der Vater etwas unwirsch. "Das kann ich nicht", sagt der Junge, woraufhin der Vater poltert: "Das kann nicht sein." Denn er hat nicht nur die oben genannten Bestseller im Regal, sondern hat auch schon mal was von "Dawanda" gehört. Das ist ein boomender Internet-Marktplatz für Selbstgebautes, Selbstgestricktes oder sonstige Selbstigkeiten.

"Selbst ist der Mann", denkt der Vater, der (wie auch der Satz selbst) aus den Sechzigerjahren des vorangehenden Jahrhunderts stammt. Wie schön also, dass das Selbst jetzt wieder so angesagt ist. Da darf der Junge nicht abseits stehen. Nicht in der Manufactum-Ära. Manu factum: Mit der Hand gemacht. Junge, sei ein Mann.

"Komm mein Junge", sagt der Vater hilfreich und im schönsten Einklang mit dem Trend der Zeit, "ich zeige dir jetzt, wie man das macht. Einen Reifen flicken. Nichts leichter als das." Dabei denkt er schon an die gummi-aromatische Vulkanisierflüssigkeit, die ihn wie die Proustsche Madeleine gleich in die eigene Jugendzeit katapultieren wird. Hach, es gibt sie noch, die guten Reifenflickbewährungsproben in Zeiten arbeitsteiliger Entfremdung.

Sehnsucht nach Handwerkeln in Zeiten des Verschleißes

Der Rest ist schnell erzählt: Das Fahrrad wird umgedreht, der Schraubenschlüssel angelegt - nur lässt sich das Hinterrad, ja, es ist doch immer das verfluchte Hinterrad, nicht von der hochkomplexen Schaltung lösen. Man ruckelt und rüttelt, man dreht und wendet und wuchtet. Nichts rührt sich.

Was fehle, so wird einem später in der Notaufnahme von "Dr. Bike" lächelnd erklärt (im Hintergrund lächelt auch der missratene Sohn), sei das notwendige Spezialwerkzeug. Offensichtlich haben die Fahrradschaltungen seit den Sechzigerjahren eine technologische Evolution vollzogen, gegen die der aufrechte menschliche Gang gar nichts ist. "Nichts leichter als das", sagt das Kind.

Keine demütigende Situation, die nicht auch ihr Gutes hätte. Man ist einer großen Verschwörung auf der Spur - und wenigstens einem ordentlichen Paradoxon.

Einerseits vergehen im Fernsehen keine fünf Sekunden, ohne dass irgendeine Baumarktkette das Selbstsein mittels Schrauben, Sägen oder Hämmern beschwört, um den Absatz von Schrauben, Sägen oder Hämmern zu beschleunigen. Andererseits tut es "Tip Top" längst nicht mehr, man braucht Spezialwerkzeug.

Einerseits werden im Netz selbstgestrickte Nierenwärmer, selbstproduzierte Schals und selbsterfundene Armstulpen gegen den antiindividualistischen, entfremdeten Massenkonsum ins Feld geführt. Andererseits lassen sich Reißverschlüsse, die nach dreimal reißen & verschließen gerissen & verschlissen sind, auch nicht mit Spezialwerkzeug reparieren. Was auch für Rührmixer, Akku-Zahnbürsten oder Tintenstrahldrucker (siehe oben) gilt.

Das Birnchen im Rücklicht

Einerseits preist man allerorten das Glück des Handanlegens und der Autarkie - das reicht vom Soziologen Richard Sennett ("Handwerk") bis Michelle Obama in ihrem medienaffinen Salat-Beet hinterm Weißen Haus. Andererseits hat eine Studie im Auftrag der Grünen erst kürzlich herausgefunden, dass die "geplante Obsoleszenz" um sich greift.

Das ist der bewusst seitens der Produzenten und Händler in Kauf genommene vorzeitige Verschleiß von Produkten oder ihres komplizierten Innenlebens - wobei der Verschleiß einhergeht mit der Tatsache, dass man bei vielen Produkten gar nicht mehr ans Innenleben herankommt. Versuchen Sie mal, ein Smartphone oder auch nur ein Radio zu öffnen. Oder das Birnchen im Rücklicht vom VW Touran zu ersetzen.

Die zunehmende Sehnsucht nach Autarkie im privaten Raum, nach Reparaturmöglichkeit, Produzentenrolle und Selbstbestimmung, stößt also an die Grenzen des glatten Gehäuses. Es herrscht kein Friede: Die einen wollen schrauben - und die anderen wollen sie daran hindern oder zum Spezialwerkzeug nötigen. Das ist so teuer, dass man dafür beinahe ein kleines neues Fahrrad kaufen kann. Na, wieder was gelernt, mein Sohn.

© SZ vom 06.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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