Die verlorene Ehre des Filterkaffees:Kommt nicht in die Tüte!

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Die Filtertüten-Branche ist in Aufruhr: Erst verdrängen bunte Kapseln und Vollautomaten das gute alte Papier - und nun zieht auch noch ein Werbespot die Tüten durch den Kakao.

Martin Zips

"Nichts für Kinder ist der Türkentrank", so klingt der "Kaffeekanon" von Carl Gottlieb Hering (gest. 1853), "schwächt die Nerven, macht dich blass und krank./Sei doch kein Muselman,/der ihn nicht lassen kann!" Ehrlich: Wäre der Oberlehrer aus Sachsen nicht zusätzlich durch Kompositionen wie "Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp" musikalisch weiter aufgefallen, so würde sich doch niemand mehr an seinen Namen erinnern.

Bei Melitta, dem Erfinder der Filtertüte, findet man es gar nicht lustig, dass in der Werbung damit nun Muckefuck getrieben wird. (Foto: Foto: dpa)

Denn der Deutsche, nervenschwach, blass und krank wie er heute überall in den Bürotürmen sitzt, schätzt entgegen Herings plumpem Rat den "Türkentrank" mehr als je zuvor: 146 Liter Kaffee schüttet jeder hierzulande jährlich in sich hinein - noch viel mehr als Mineralwasser oder Bier. Allen ökologischen oder gesundheitlichen Bedenken zum Trotz.

Am wenigsten Kaffee trinken laut Statistik Sachsen wie Herr Hering. Und obwohl von den Massen an Kaffeepulver, die der Deutsche per annum so verbraucht, immer noch der größte Teil in der Filtertüte landet, so herrscht doch derzeit eine unschöne Unruhe in der Filtertüten-Branche. Anlass ist ein Werbespot, den der Automatenhersteller Kaffee Partner aus Wallenhorst nahe Osnabrück ins Netz stellte.

In dem Spot tritt eine Sekretärin auf, die recht angewidert eine benutzte Filtertüte aus der Kaffeemaschine fischt und im Mülleimer entsorgt. Als die Frau eine neue Tüte füllen will, ist die Kaffeedose leer, was ihre Laune nicht hebt. Am Bildrand läuft ein Lohnkostenzähler mit. Mit Kaffeevollautomaten aus Wallenhorst, das ist nur mal so in die Tüte geredet die Botschaft dieses Films, sind Sekretärinnen einfach besser drauf. Und der Chef spart auch noch Geld.

"Durch den Kakao gezogen"

Stephan Bentz, Enkel von Melitta Bentz, die vor genau 100 Jahren die Filtertüte erfand, kann darüber gar nicht lachen. "Aus unserer Sicht verunglimpft dieser Film die Filtertüte", lässt der Melitta-Geschäftsführer ausrichten: "Wir sind Marktführer bei Filtertüten und haben die Filtertüte erfunden, deshalb können wir das so nicht stehen lassen." Melitta hat sich dereinst sogar das Wort "Filtertüte" schützen lassen, um zu verhindern, dass damit Muckefuck getrieben wird.

Die Konkurrenz darf seitdem nur noch "Kaffeefilter" vertreiben. "Der Spot schädigt unser Image, auch wenn unsere Marke nicht genannt wird." Zudem habe das Entsorgen von Filtertüten im echten Leben nichts Ekliges an sich.

In einer Zeit, in der Kaffeemaschinen Latissima, Porsche oder Espresseria heißen und in der Cappuccino-Freunde sich die Soundfiles ihrer sündhaft teuren 8,5bar-Boliden zumailen, liegen in der Filtertüten-Branche die Nerven blank. Bei den Espresso- und Caffé-Crema-Röstungen verbuchte der Deutsche Kaffeeverband zwischen 2006 und 2008 eine Zuwachsrate von 20 Prozent.

Besonders gerne scheint sich der deutsche Barista mittlerweile farbig eloxierte Vakuumkapseln aus Aluminium oder samtweiche Kaffeepolster in sein Chromgerät zu drücken - bei Kaffee-Einzelportionen liegt die Wachstumsquote bei 50 Prozent. In Deutschlands Küchen dampft und ächzt es mittlerweile wie in der U96 oder mindestens wie in einem Rammstein-Video. Wer es da noch wagt, seinen Gästen Filterkaffee anzubieten, bei dem liegen sicher auch Häkelkissen auf der Couch.

Die Zubereitung von Filterkaffee - ein ekelerregender Vorgang?

Dieser Tage nun schickten Juristen im Auftrag des Branchenriesen Melitta (1,23 Milliarden Euro Umsatz, 3400 Mitarbeiter) Abmahnung und Einstweilige Verfügung zu Kaffee Partner nach Wallenhorst (100 Millionen Euro Umsatz, 500 Beschäftigte). Dort wunderte sich Marketingleiter Michael Wiese über das "buchdicke Anwaltsschreiben". In dem gut 80 Seiten starken Antrag heißt es, der Film reduziere die Zubereitung von Filterkaffee auf einen "ekelerregenden", "dreckigen", "langwierigen", "mühsamen" und "teuren" Vorgang.

Der Spot sei nicht komisch und ziehe "in pauschal-herabsetzender Weise" Filtereinsätze "und die betreffenden Maschinen ,durch den Kakao". Wiese rechtfertigt sich: "In dem Spot fällt weder das Wort Filtertüte, noch der Firmenname Melitta. Außerdem wurde bei den Dreharbeiten ein Discounter-Filter verwendet". Natürlich nahm Wiese den Spot trotzdem von der Internetseite. Seiner Firma könnte laut Antrag ein Ordnungsgeld von bis zu 250000 Euro drohen. Ersatzweise geht auch Ordnungshaft. Nun sei es an den Juristen zu klären, ob der Spot bald wieder gezeigt werden dürfe. Im schlimmsten Fall müsse man "neun Melitta-Anwälte" bezahlen, sagt Wiese. "Es freut mich aber, dass man bei uns beobachten kann, wie man mit relativ kleinem Budget eine große Wirkung erzielt."

Bei solchen Auseinandersetzungen gehe es natürlich auch um Marktanteile, betont der Kaffee-Partner-Mann. Schließlich vertreibe Melitta neben Filtertüten, Folien und allerlei anderen wichtigen Dingen eben auch Kaffeeautomaten. Bei Melitta wiederum gibt man im Wirtschaftsjargon zu, der Sektor Filterkaffee sei "in Teilbereichen leicht rückläufig", stelle aber immer noch "das beliebteste Getränk der Deutschen" dar. Beim Filterpapier habe man in Europa "in einem leicht schrumpfenden Markt Absatzmengen verloren". Zahlen dazu werden nicht herausgegeben. Wahrscheinlich hatte Oberlehrer Hering halt doch Recht: Dieser schwarze Türkentrank schwächt die Nerven, macht blass und krank.

© SZ vom 12.12.2009/bre - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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