Dem Geheimnis auf der Spur:Der echte Gefangene

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Die Insel Chateau d`If bei Marseille. (Foto: mauritius images / Pitopia)

Alexandre Dumas' Roman "Der Graf von Monte Christo" hat reale Vorbilder - hat der Autor auch das Schicksal seines Vaters literarisch verarbeitet?

Von Harald Eggebrecht

Zwei berühmte Gefängnisse liegen auf Felseninseln: Das legendäre Alcatraz in der Bucht von San Francisco in Kalifornien und das Chateau d'If in der Einfahrt zur südfranzösischen Metropole Marseille. Beide Festungen hatten den Ruf, dass es von ihnen kein Entkommen geben könne. Doch hat Chateau d'If eine andere Entstehungsgeschichte als Alcatraz, das zwar als Fort diente, aber mit installiertem Gefängnis, das in den Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts zur Hochsicherheitsanstalt ausgebaut wurde. 1963 wurde Alcatraz geschlossen und ist heute ein attraktiv-gruseliges Touristenziel in der San Francisco Bay.

Der Felsen vor Marseille wurde in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch Franz I. errichtet zur Verteidigung von Marseille. Die Stadtbewohner waren dagegen, weil sie es als Machtdemonstration der Zentralregierung ansahen. Wenig später, bei einem Angriff Kaiser Karls V. erwies sich die Festung als Bollwerk gegen feindliche Eroberungsgelüste. Von Mitte des 16. Jahrhunderts an wurde das Chateau auch zum Gefängnis, in das im Laufe der Jahrhunderte illustre Häftlinge "einquartiert" wurden: viele Protestanten, angebliche Staatsfeinde sowieso. Auch Graf Mirabeau, eine der Portalfiguren zur Französischen Revolution, wurde auf Antrag des eigenen Vaters hier festgehalten. Er war aber bequemer untergebracht als arme Schlucker, denn der Graf konnte ein geräumiges Gelass anmieten mit Fenster und Kamin.

Es ist eine Geschichte von Niedertracht, Intrigen und Rache

Der berühmteste Insasse des Chateau aber ist eine Erfindung des französischen Autors Alexandre Dumas: Edmond Dantès, ein junger Seemann, muss unschuldig mehr als 14 Jahre lang im Chateau schmachten als Opfer einer infamen Intrige. Später, nach abenteuerlich gelungener Flucht, verfolgt er als steinreicher geheimnisvoller Graf von Monte Christo einen Racheplan. Wenn heute Touristen das Chateau besichtigen, werden sie natürlich in die Zelle des imaginären Grafen geführt. Sie ist überraschend groß, sie muss ja den Andrang verkraften! Auch der unterirdische Tunnel, den der ebenfalls erdichtete Zellennachbar von Edmond, Abbé Faria, gegraben hat, lässt sich besichtigen. Dumas' Fortsetzungsroman erschien von 1844-46 im Le Journal des débats und wurde ein Welterfolg bis heute, x-mal verfilmt unter anderem mit Jean Marais, Richard Chamberlain oder Gérard Depardieu.

Dumas hat nicht nur frei erfunden. Eine der Quellen waren die "Memoiren nach den Polizeiarchiven von Paris" von Jacques Peuchet. Darin fand Dumas im Abschnitt "Der Diamant und die Rache" den Fall des Schusters Pierre Picaud, der durch Verleumdung für acht Jahre unschuldig in einer Festung einsaß. Er diente dort einem reichen italienischen Priester, der ihn unterrichtete und ihm am Ende sein Vermögen vermachte. Picaud ging später nach Paris und rächte sich an den drei Verrätern.

Doch gab es noch eine viel näherliegende Quelle: den Vater Alex Dumas. Der war Sohn des Marquis de la Pailleterie und dessen schwarzer Sklavin Cessette Dumas aus Saint Domingue, heute Haiti, wegen der Zuckerrohrplantagen Frankreichs wichtigste Kolonie. Hier herrschte Sklaverei, die weißen Herren spielten sich als Folterer und Vergewaltiger auf. Trotzdem konnten die aus Afrika stammenden Schwarzen aufsteigen als Freigelassene, konnten erben und selbst Plantagen bewirtschaften. Promiskuität zwischen Weiß und Schwarz war üblich, viele illegitime Kinder wurden von ihren weißen Vätern anerkannt. Marquis de la Pailleterie hatte sich Cessette Dumas gekauft und vier Kinder mit ihr gezeugt, unter ihnen Thomas Alexandre. 1775 kehrte der Marquis nach Frankreich zurück, der vierzehnjährige Alex musste nachreisen, denn der Vater hatte ihn in Port-au-Prince für 800 Livre mit dem Recht auf spätere Auslösung verpfändet, um die eigene Passage nach Europa zahlen zu können. Die Auslösung gelang, als Alexandre im August 1776 französischen Boden betrat, war er frei, weil damals das Recht galt, wer als Sklave Frankreich betrete, automatisch frei sei. Bald genoss er die Ausbildung eines Edelmanns, der als Reiter, Fechter und Tänzer seinesgleichen suchte.

Er trat 1786 unter dem Namen Alexandre Dumas bei den Dragonern ein. In Villers-Cotterêts lernte er Marie Labouret, die Tochter des Gastwirts, kennen und heiratete sie 1792, da war er bereits General. Das war nur im Zuge der Revolution möglich. Alex war Paradebeispiel eines furchtlosen, an der Spitze seiner Männer in die Schlacht reitenden, Zivilisten schonenden, nicht plündernden Vorzeigesoldaten. Das machte ihn bei der Armee populär. Je mehr Napoleon an Macht gewann, desto weniger wurde Dumas' republikanische Offenheit geschätzt. Als Alex auf der Ägyptenexpedition Kritik am ganzen Unternehmen übte, hatte er allerdings bei Napoleon verspielt. Das ägyptische Abenteuer verwandelte sich in ein Desaster, während sich Napoleon bereits aus dem Staube gemacht hatte.

Dumas gelang 1799 die Abfahrt aus Alexandria auf einem maroden Schiff. Er, ein Generalskollege und der berühmte Geologe Déodat Gratet de Dolomieu baten in Tarent um Hilfe. Dort waren aber inzwischen reaktionäre Kräfte am Werk, die die Franzosen ohne Anklage einkerkerten. Zwei Jahre schmachtet Alex unter grauenhaften Bedingungen, fühlt sich von Giftanschlägen bedroht und wird durch ärztliche Kurpfuscherei ruiniert. Diese Haft, die Alex nüchtern beschrieben hat, war auch ein Vorbild für die Einkerkerung von Edmond Dantès in Chateau d'If im Roman seines Sohnes. Und Dolomieu ging in den Abbé Faria ein.

Auf einem Auge erblindet, halb taub und hinkend kehrte Alex Dumas 1801 heim, doch das Frankreich Bonapartes war nicht das, für das der schwarze General gekämpft hatte. Napoleon führte die Sklaverei in den Kolonien wieder ein und erließ Apartheidgesetze für das Mutterland. So starb Alex Dumas, dem 1802 sein nachmals berühmter Sohn geboren wurde, 1806 gleichsam als Verfemter im eigenen Land. Im "Grafen von Monte Christo" schimmert also auch eine Rehabilitierung dieses Vaterschicksals durch.

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