Dem Geheimnis auf der Spur:Jung und wild

Lesezeit: 3 min

"Das Drehbuch ist perfekt für dich": Der Outlaw-Klassiker "Bonnie and Clyde" hat das Hollywood-Studiosystem in den 1960er-Jahren gehörig erschüttert. Warum einer der berühmtesten amerikanischen Filme der Geschichte eigentlich aus Europa ist.

Von Fritz Göttler

Ich rede vom Kino, und ihr redet vom Wetter ..." Da war Jean-Luc Godard echt frustriert, er drehte sich um und verließ den Raum. Ließ die beiden angehenden Produzenten und den jungen Drehbuchautor, die ihn für ihre Filmproduktion gewinnen wollten, hocken und war weg. Das war im Jahr 1964 in New York. Der Film, um den es ging, war "Bonnie and Clyde", die Geschichte des legendären Outlaw-Paars der Dreißigerjahre. Eine archaische Geschichte, aber voll moderner Coolness: "Dies ist Miss Bonnie Parker. Ich bin Clyde Barrow. Wir rauben Banken aus ..." Es gehört zu den verrücktesten Volten der Kinogeschichte, dass diese Story aus dem texanischen Hinterland in Paris ihren Ursprung hatte.

In die Kinos kam "Bonnie and Clyde" 1967, und er hat das Hollywood-Studiosystem gehörig erschüttert. Gewalt ging auf unerhörte Weise zusammen mit Sex, Tragödie und Komik waren brutal zusammengebracht, Faye Dunaway und Warren Beatty waren auf frivole Weise naiv als das Gangsterpärchen.

Es sei ein europäischer Film, bekundeten die Drehbuchautoren Robert Benton und David Newman, die als Journalisten für Esquire arbeiteten. "Ein Outlaw zu sein, war eine tolle Sache ... Was uns an Bonnie und Clyde faszinierte, war nicht, dass sie Banken ausraubten, denn als Bankräuber waren sie Nieten", erzählten sie dem Filmjournalisten Peter Biskind. "Was sie so attraktiv und bedeutsam machte und so bedrohlich für die Gesellschaft, war die Tatsache, dass sie ästhetische Revolutionäre waren." Biskinds Buch "Easy Riders, Raging Bulls" erzählt, wie die junge Generation Hollywood rettete, das erste Kapitel ist "Bonnie and Clyde" gewidmet. Die Positionen werden abgesteckt, Studiosturköpfe versus respektlose junge Draufgänger. Der Film irritierte bemüht korrekte Kritiker.

Truffaut wollte sich den Gesetzen des Hollywoodkinos nicht unterwerfen

Ästhetische Revolutionäre beherrschten auch die frühen Filme der Nouvelle Vague - die wiederum heftig inspiriert waren vom amerikanischen Gangster- und Noir-Film. Der ganze Vor-Mai 68 wollte lieber ein Loser sein als ein Spießer. "Bonnie and Clyde", ein Film direkt geschrieben für François Truffaut.

Richtig in Bewegung gebracht hatte das Ganze Helen Scott, die unsichtbare Dritte in dem legendären Truffaut-Hitchcock-Interview-Buch, sie hatte zwischen den beiden übersetzt. In seinem Buch "L'amie américaine" hat Serge Toubiana Scotts Rolle in der Nouvelle Vague dargestellt - wie sie sich, nach dem triumphalen Erfolg des Hitchcock-Buchs quasi mütterlich um Truffauts internationale Karriere kümmert, und um den Ruf des jungen französischen Films.

Sie schickte also eine erste Fassung des Bonnie-and-Clyde-Drehbuchs nach Paris. "Das Drehbuch ist perfekt für dich", schrieb sie Truffaut. "Zuerst dachte ich, es sei zu amerikanisch, um von Dir realisiert zu werden, aber die vielen Nuancen, die sich da bieten, kommen Deinem Talent so sehr entgegen, dass ich meine Meinung änderte." Truffaut war hin- und hergerissen, er wollte unbedingt einen Film in Amerika machen, sich aber den Gesetzen des Hollywoodkinos nicht unterwerfen. Und noch war er mit der Montage seines Films "Die süße Haut" beschäftigt, hoffte auch, danach "Fahrenheit 451" nach Ray Bradbury drehen zu können. Der Feuerwehrmann, der das Bücherlesen entdeckt, dieses Thema war ihm wohl genug an ästhetischer Revolution.

Dennoch trafen sich Benton und Newman mit ihm in New York, und er gab ihnen, kameradschaftlich professionell, Tipps für ihr Script. Vertröstete sie. Und brachte den Kollegen und Kumpel Jean-Luc Godard ins Spiel. "Er macht sehr viel mehr Filme als ich, weil er in allen Phasen sehr schnell ist ... Ich bin überzeugt, er wäre der perfekte Mann für den Job. Er spricht fließend Englisch und er könnte euch eine Art amerikanisches ,Außer Atem' machen." "Außer Atem", Godards erster langer Film, 1960, der absolute Kultfilm der Nouvelle Vague, auch in den USA. Jean-Paul Belmondo als ein kleiner Krimineller, der die moralischen Richtwerte für Kinohelden radikal außer Kraft setzt. In den ersten Minuten des Films klaut er einen Wagen und tötet einen Polizisten, der ihn verfolgt. Godard war fasziniert von der Chance, das amerikanische Kino ebenso aufzumischen wie vorher das französische. Er wollte den Film gleich drehen, in zwei Wochen, im Winter. Die Produzenten wollten einen Sommerdreh. "Ich rede vom Kino ..." Exit Godard.

Auch Truffaut sagte dann ab, aber er gab dem Projekt doch den letzten, den entscheidenden Schubs. Er machte Warren Beatty, der ihn in Paris traf, auf Bonnie und Clyde aufmerksam. Beatty war fasziniert, übernahm, kämpfte für den Film. Arthur Penn wurde für die Regie verpflichtet, er hatte mit Beatty bereits "Mickey One" gedreht.

Ja, es gibt wohl einen Geist der Nouvelle Vague, übermächtig, überregional, Helen Scott hat ihn gespürt. Und "Bonnie and Clyde" ist der erste Nouvelle-Vague- Film aus Amerika. In den ersten Einstellungen bewegt sich Faye Dunaway unruhig in ihrem kleinen Zimmer, zwischen Spiegel, Fenster, Bett, eine lüsterne Naivität steckt in ihr, der ganze Ennui der Sechziger. Die Kamera beobachtet sie mit unerbittlicher Neugier, so wie Godard es tat in den Filmen, die er mit seiner Frau Anna Karina drehte. Dann fällt Bonnies Blick auf Warren Beatty vor dem Haus, der seinen Hut mit der gleichen verschmockten Selbstgewissheit trägt wie Belmondo in "Außer Atem" und sich am Wagen ihrer Mutter zu schaffen macht. Erst am Ende gehen die Filme auseinander, auf Belmondos spielerische Todesfantasie antwortet der amerikanische Film mit den hilflos zuckenden, von Kugeln zerfetzten Körpern von Bonnie und Clyde.

© SZ vom 01.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: