La Boum:Der hustende Petrov

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(Foto: Steffen Mackert)

Unsere Kolumnistin schaut sich den Covid-Inzidenzwert in Paris an und fühlt sich von ihrem Handy dauerhaft provoziert.

Von Nadia Pantel, Paris

Ist das dein Ernst, fragte ich mein Handy. Ich hatte so lange sein Display nicht gewischt, es sah ziemlich heruntergekommen aus. Vielleicht war es sauer auf mich. Das Handy leuchtete kalt und sagte: "Nimm es nicht persönlich, das sind die Zahlen der Regierung." 1932 las ich. Es war nicht das Geburtsjahr von irgendjemandem, sondern der Covid-Inzidenzwert in Paris.

Ich zählte meinen persönlichen Inzidenzwert zusammen. Der Nachbarsjunge, ein Interviewpartner, zwei Freunde, die eigentlich bei der Familie in Südfrankreich sein wollten und nun in Paris mit Fieber auf dem Sofa lagen, eine Freundin, ein paar Straßen weiter, die Kindergartenfreunde, die Schwester von einem Freund - alle hatten Covid. 1932 klang, auf die Stadt hochgerechnet, durchaus glaubwürdig. Als ich gestern mal wieder einen Test gemacht hatte, war ich überrascht, ein negatives Ergebnis zu bekommen.

Mein Handy ruckelte auf dem Küchentisch langsam an meine Hand ran. Es blinkte mit der Kino-App. Satan, zischte ich. Das Handy kicherte böse. Vor zwei Wochen war ich in einen Film gegangen, der von einem Mann handelte, der schlimmen Husten hat. "Petrov's Flu" hieß der Film. Er spielte in Russland, es war die ganze Zeit kalt und dunkel, und der arme Petrov litt wie ein Hund an seiner Grippe. Immerhin hatte er fantastische Fieberfantasien.

Ich hatte es vor dem Film nicht mehr geschafft zu essen. Kein Problem, meinte die Freundin, die die Karten besorgt hatte, das ist hier ein altes Pornokino, da kannst du im Saal machen und essen, was du willst. Sie drückte mir einen Lachsbagel in die Hand. In den folgenden drei Stunden, es war ein unfassbar langer Film, hustete Petrov mich an, jemand anderes im Saal hustete auch, ich hatte irre Hunger und traute mich nicht, meine FFP2-Maske abzunehmen, um vom Bagel abzubeißen.

Eine Bibliotheksmitarbeiterin verwandelte sich in einen Killer, sobald sie sich aufregte

Dann halt eine Ausstellung oder ein Konzert, sagte das Handy. Du wohnst immerhin nur einmal in Paris. Oder willst du deine ganze Zeit hier mit dem Nachvollziehen von Infektionskurven verbringen? Meine Augen wurden schwarz, die Pupillen dehnten sich bis zum Oberlid aus. Das hatte ich bei Petrov gelernt. Eine unscheinbare Bibliotheksmitarbeiterin verwandelte sich in dem Film in einen schwarzäugigen Killer, sobald sie sich aufregte. Sie regte sich so oft auf, dass sie irgendwann ihre Küchenmesser versteckte, weil sie das Blut ihrer Morde nicht mehr aus ihrem Mantel gewaschen bekam.

Das Handy duckte sich weg und zeigte schnell ein Sektflaschen-Emoji an. Dazu schrieb eine Freundin: Bin wieder negativ! Das Handy weigerte sich, die Inzidenzwerte in der staatlichen Covid-App sofort nach unten zu korrigieren, aber wir freuten uns kurz gemeinsam. Dann sagte es: Du, ich brauch mal ein bisschen Zeit für mich. Ich nickte und steckte es an die am weitesten entfernte Steckdose und ging nach draußen.

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Paris-Kolumne
:La Boum

Nadia Pantel ist SZ-Korrespondentin in Frankreich. Über ihr Leben in Paris schreibt sie jeden Freitag die Kolumne "La Boum". Hier gibt es alle bisher erschienenen Folgen zum Nachlesen.

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