"Zur Welt kommen":Bananenbrei

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Wer ein Kind bekommt, wage radikal Neues, behaupten Svenja Flaßpöhler und Florian Werner. Was heißt denn das?

Von Meredith Haaf

Svenja Flaßpöhler und Florian Werner sind Publizisten und promovierte Geisteswissenschaftler in Berlin und haben sich miteinander fortgepflanzt. Ihre Kinder sind laut dem Buch, das sie darüber geschrieben haben, zehn und drei Jahre alt und haben ihren Eltern die Gelegenheit verschafft zu beweisen, dass auch im Jahr 2019 zwar jedes Kind ein Geschenk an die Welt sein mag, man dies aber keinesfalls von jedem Buch behaupten kann.

Aber genug von den Kindern, sie scheinen in "Zur Welt kommen. Elternschaft als philosophisches Abenteuer" höchstens drittrangig. Das Buch, das abwechselnd aus zwei Perspektiven geschrieben ist - Mutter und Vater - stellt eine aus historischer Perspektive gewagte These auf: "Ein Paar, das sich für ein Kind entscheidet (...) wagt das radikal Neue - körperlich, intellektuell, sozial, politisch." Das Autorenpaar möchte die "existenzielle Dimension" ausleuchten: "Ein Kind kommt zur Welt. Was heißt das?"

In zahlreichen kleinen Texten ("Transparenzgesellschaft", "Muttermund", "Kugelmensch", "Penis") schildern die beiden verschiedene Situationen und Gedankengänge aus den Höhen und Niederungen der Elternseins. Die Partnerschaft steht dabei im Fokus, und der Bildungsgrad der Autoren. Andere Menschen, auch die Kinder, tauchen höchstens als Stichwortgeber auf. Dafür ziehen Flaßpöhler und Werner in jedem Kapitel einen wichtigen Denker oder Autoren zurate (neben Hannah Arendt, Judith Butler und einem Klecks Simone de Beauvoir findet man hier so gut wie keine Denkerinnen).

"Immer wenn ich Stuhlbeschwerden habe, muss ich an den Geburtsvorgang denken"

Beiden gelingen dabei immer wieder unterhaltsame und interessante kleine Texte. Svenja Flaßpöhler schreibt etwa frei und befreiend über das Geschenk, seine Kinder zwischendurch vergessen zu dürfen, weil man sie sicher weiß und weil man weiß, dass man sie wiederkriegt. Florian Werner bringt interessante wissenschaftsgeschichtliche Exkurse mit ehrlicher Selbstbeobachtung in Sachen moderner Elternneurose zusammen.

Aber diese Texte gehen im Buch leider etwas unter. Es dominieren sehr viele und sehr detaillierte Beschreibungen toller Schwangerschaft und schlimmer Geburt. Zur Sprache kommt vor allem die ganze Palette herkömmlicher Befindlichkeiten, wie man sie aus Kantinengesprächen und Rückbildungskursen kennt und doch nie kennen wollte: "Jetzt wächst ein Penis in mir", "Immer wenn ich Stuhlbeschwerden habe, muss ich an den Geburtsvorgang denken".

Und dann geht es noch sehr viel darum, wie schwer die Gleichberechtigung auf einmal fällt, wie hart die Nächte mit Neugeborenen sind, aber wie "entzückend" (das Adjektiv fällt mehrfach) das eigene Kind trotzdem ist.

All das ist zunächst kein Vorwurf, den man an eine Publikation zum Thema Elternsein richten darf. So ist das eben, wenn aufgeklärte Leute darüber reden. Dieses Buch ist ein langes, selbstgewisses und mit sich völlig einverstandenes Duett zweier Leute, die offenbar gern von sich erzählen und der Ansicht sind, dass ihre Erfahrungen es wert sind, erzählt zu werden.

Einiges gibt es dem Buch aber doch vorzuwerfen. Da wäre der analytische Haken, dass Kinderkriegen und Elternwerden zwar subjektiv ein gewaltiger Umwälzungsprozess, objektiv aber eben kein bisschen radikal neu sind, schon gar nicht körperlich oder politisch. Bei all ihrem Gerede über existenzielle Dimensionen und ihrem Anspruch ("ich übe einen intellektuellen Beruf aus", "natürlich haben wir nicht nur Bananenbrei vom Boden gewischt, sondern auch über die philosophische Dimension von Elternschaft diskutiert") blenden die Autoren alles aus, was nicht ihre persönliche Erfahrung ist oder eine Anekdote aus der Geistesgeschichte des Abendlandes. Aus Erfahrungen, die zugleich supersubjektiv und überaus verbreitet sind, werden immer wieder neue, interessante Erkenntnisse gewonnen. Aber wenn man sie nur mit Belesenheitslack überpinselt, wie das Flaßpöhler und Werner tun, bleiben sie leider meist ziemlich banal. Flaßpöhler etwa schildert sich als glückliche Schwangere, deren Bauch "eine Kugel wie die Erde" ist und nimmt das zum Anlass, den "Kugelmenschen"-Mythos von Aristophanes zusammenzufassen. Sie schreibt über ihr Dilemma, als intellektuelle Frau jetzt so ein Körper zu sein, der Babys macht und zitiert dazu den bösen alten Ober-Misogynen Nietzsche. Sie schreibt über die Freiheit, die in der Verantwortung liegt und macht das, logo, mit Kierkegaard.

Ein paar feinere Werkzeuge hätten gutgetan. So gewinnt man aus der Lektüre wenig von dem Licht und der Hoffnung, die das Kinderhaben im besten Fall spendet, und man gewinnt auch recht wenige Erkenntnisse. Was entsteht, ist vor allem ein unangenehmer Eindruck. Hier müssen sich zwei ausgiebig vergewissern, dass Elternschaft bei ihnen nicht einfach nun der Fall ist wie bei vielen anderen auch, sondern, dass der Zustand ausdrücklich nicht unter ihrem intellektuellen Niveau liegt. Und das wiederum hat der Zustand so nicht verdient.

Svenja Flaßpöhler, Florian Werner: Zur Welt kommen. Elternschaft als philosophisches Abenteuer. Blessing Verlag, München 2019. 224 S., 18 Euro.

© SZ vom 31.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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