Zum Tod von Roger Willemsen:"Wenn man ein Image hat, muss man es schänden"

Lesezeit: 5 min

Ein echter öffentlicher Intellektueller: Roger Willemsen ist im Alter von 60 Jahren gestorben. (Foto: dpa)

Roger Willemsen war ein wacher Beobachter voll beißender Ironie. Eine sehr subjektive Zusammenstellung seiner schönsten Momente.

Von Johanna Bruckner und Julian Dörr

Roger Willemsen als investigativer Moderator

Vorgespielte Naivität funktioniert manchmal bei Frauen, so gut wie nie bei Männern, und sie ist überhaupt und eigentlich nervig. Nicht bei Roger Willemsen. Der sitzt 1995 in seiner Talkshow Willemsens Woche Medienprofi und Focus-Mann Helmut Markwort gegenüber und gibt ein Bild der Unbedarftheit ab: dunkler Anzug, runde Hornbrille, Haarteppich statt Frisur. Harmloser Professortyp - wenn da nicht die funkelnden Äuglein wären. Aus seinem Mund schießen - das kommt Willemsens Redegeschwindigkeit tatsächlich sehr nahe - Sätze wie dieser: "'68 sind Sie in die FDP gegangen und die Studenten auf die Straße, das nur nebenher."

Doch Willemsen triezt nicht nur an der Oberfläche, er bohrt da, wo es weh tun müsste: "Als es bei Hoechst Chemieunfälle gegeben hat, da haben Sie ab dem neunten Unfall berichtet. Es hat aber schon sehr früh eine ganzseitige Anzeige von Hoechst bei Focus gegeben. Warum wurden da eigentlich acht Unfälle, darunter der schlimmste (...), nicht erwähnt?" Und dann haut er seinem Gast dessen Werbespruch "Fakten, Fakten, Fakten" um die Ohren: "Ich sag' auch immer: Akten, Akten, Akten."

In seiner Akte Markwort hat Willemsen dann noch einiges mehr stehen: ein verfremdetes Mitterand-Interview, zum Beispiel, und einen getürkten Brief des Baulöwen Schneider an den iranischen Geheimdienst - beides abgedruckt im Focus. "Jeder sitzt mal einer Fälschung auf", sagt Marktwort. "Hitler-Tagebücher finden Sie aber trotzdem schlimm?", entgegnet Willemsen.

Und wie sich das für einen guten Investigativmoderator gehört, hält er nach bis zur letzten Frage: "Wenn Sie nach Ihrem Tod an dem Organ gestraft werden, mit dem Sie am meisten gesündigt haben - gibt's dann noch ne Chance für die Schreibhand?"

Verstorbener Publizist
:Roger Willemsen - Schwebender mit Bodenhaftung

Roger Willemsen war ein Intellektueller, wie sie Deutschland zu selten hat: Er brachte seinen Kenntnisreichtum in die Öffentlichkeit.

Nachruf von Lothar Müller

Roger Willemsen über das deutsche Fernsehen

Willemsen war nicht nur Bestandteil des deutschen Fernsehens, er schaute auch gerne zu. Aber noch lieber sprach er darüber und ließ andere an seinen Beobachtungen teilhaben. Ob über das Dschungelcamp, wie in diesem Gastbeitrag für die SZ, oder über das Reality-Format Big Brother: "Da gibt es viel zu sehen - aus ethnologischen Gründen." Roger Willemsen zählte zu den klügsten Beobachtern der deutschen Medienlandschaft.

Als Marcel Reich-Ranicki 2008 den deutschen Fernsehpreis ablehnte, verteidigte Willemsen den Literaturkritiker bei Johannes B. Kerner: "Dieses Fernsehen belobhudelt sich dermaßen exzessiv. Und dass ein Mann, dessen Humanitätsideal der Literatur geschuldet ist, sagt, im Sinne Kafkas und Fontanes greife ich das Menschenbild des Fernsehens an: Ja, was will man denn erwarten?"

Manchmal packte Willemsen seinen Zynismus in den süßen Mantel der Ironie. Den deutschen Fernsehpreis für RTL Aktuell als beste Nachrichtensendung kommentierte er trocken - und zum Ärger von Markus Lanz - mit "eine bahnbrechende Wendung im investigativen Journalismus." Und manchmal griff er klar und ohne Umschweife an: "Ich habe noch nie einen Fernsehmacher getroffen, der nicht klüger ist als das Programm, das er vertritt. Es liegt eine gewisse Arroganz darin zu sagen: Das können wir dem Zuschauer nicht zumuten."

Ob ironisch gebrochen oder direkt - auf den schmerzhaften Punkt brachte Willemsen seine wortreichen Ausführung immer selbst: "Das Fernsehen ist ein Medium der Unterforderung. Wer abends nach Hause kommt, der möchte unterfordert werden. Dafür kann man Verständnis haben. Aber man soll nicht unterstellen, dass unser deutsches Leben so anstrengend sei, dass erst der Äthiopier, wenn er nach Hause kommt, wirklich die Muße hat das Auslandsjournal zu sehen."

SZ MagazinInterview ohne Worte
:Als Roger Willemsen nichts sagte und viel verriet

Der Moderator gab dem SZ-Magazin 2010 ein Interview ohne Worte: über deutsches Fernsehen, Verführungskunst und die Grenzen seiner Offenherzigkeit.

Roger Willemsen über Heidi Klum

Es ist nicht so, als hätte Roger Willemsen generell etwas gegen Trash-TV gehabt ( siehe Gastbeitrag zum Dschungelcamp). Aber ein Format wollte der Fernsehkritiker partout nicht gutheißen. So brachte er es einmal auf die Titelseite der Bild-Zeitung mit dem folgenden Satz über Heidi Klum: "Da möchte man dann, elegant und stilsicher, wie der Dichter sagt, sechs Sorten Scheiße aus ihr heraus prügeln, wenn es nur nicht so frauenfeindlich wäre."

Übers Ziel hinausgeschossen? Iwo. Im SWR UniTalk legte Willemsen nach, in pointiert-bösartiger Manier. Heidi Klum und Germany's Next Topmodel machten sich schuldig an einer "Schändung des Frauenbildes, was ich habe". Dort werde eine "Verletzung des Begriffs Persönlichkeit" betrieben, "den ich auch dadurch definiere, dass man nein sagen kann, dass man sich verweigert, dass man in dieser Weise Haltung beweist".

Überhaupt habe er eigentlich nur positives Feedback auf seine "Hass-Attacke" erhalten - mit einer Ausnahme: "Der Einzige, der dieser Rede intellektuell nicht gewachsen war, war der Vater von Heidi Klum, und bei dem wäre es besser, angesichts der Verträge, die er mit jungen Models macht, wenn er aus dieser Form des Mädchenhandels entfernt würde."

Roger Willemsen über das eigene Leben und Schaffen

Kompromisslos war Roger Willemsen nicht nur der deutschen Kulturlandschaft gegenüber, sondern vor allem sich selbst. Beim Late-Night-Talk mit Harald Schmidt verriet der Autor 2007: "Ich erzähle mein Leben als eine Kette von Pleiten, weil ich glaube, das humanisiert eher als die Einsamkeit der Triumphe, an die wir uns kaum erinnern können."

Selbstironie als wichtigste Waffe des Menschen in der Öffentlichkeit. "Wenn man schon ein Image hat, dann muss man es schänden. Das ist das einzige, wozu es gut ist", sagte Willemsen. Und dazu fiel selbst Schmidt kein Konter mehr ein.

Roger Willemsen über Reisen und Begegnungen

Irgendwann war Roger Willemsen dann weniger im Fernsehen und dafür mehr auf Reisen, wo er Material für seine Bücher - und für das Fernsehen - sammelte. Er fand den richtigen Tonfall für Anekdoten aus dem afghanischen Flüchtlingslager. Und war sich nie zu fein, seine Rolle als großer Beobachter hin und wieder anzusägen. Mit Sarah Kuttner moderierte er vor 80 000 Menschen den Gegengipfel zum G-8-Gipfel in Heiligendamm: "Man sieht Menschen bis zum Horizont und bildet sich ein, sie hören einem zu."

Willemsen traf den Dalai Lama und Jassir Arafat, doch in Erinnerung sind ihm nicht die großen Gesprächspartner geblieben, sondern die ganz normalen Menschen. "Weil sie mich überrascht haben, weil sie etwas mitbrachten, weil sie gerührt waren, weil sie mich in Frage stellten."

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Das erzählte Roger Willemsen als Gast bei Thadeusz im rbb - kurz vor seinem 60. Geburtstag, kurz vor der Krebsdiagnose. Er witzelte über das Älterwerden und die Eigenarten von Männern, die auf dem Klo stöhnen. "Er geht in die Kabine und seufzt. Das ist der einzige Ort, an dem Männer transzendentale Obdachlosigkeit erleben."

Roger Willemsen über Jan Böhmermann

Wenn sich der angesagteste Typ des Fernsehens in seiner eigenen Show von einem Gast beleidigen lässt, dann sagt das natürlich etwas über die momentane Unantastbarkeit des angesagten Typen aus. Es sagt aber auch etwas über den Gast aus. Im August 2015 machte Roger Willemsen seine Krebserkrankung publik und sagte alle Termine ab - im Januar des Jahres war er noch zu Gast im Neo Magazin von Jan Böhmermann. Es ist einer der letzten TV-Auftritte des großen Fernsehmannes Willemsen.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Die beiden spielen "Entscheide! Dich", ziehen abwechselnd Fragen aus einem Hut, die es zu beantworten gilt. "Hättest Du lieber zwanzig Finger oder zwei Nasen?", fragt sich Jan Böhmermann selbst. Die Antwort gibt sein Gast: "Bei Ihnen wären zwei Nasen 'ne Katastrophe." Dann muss sich Willemsen selbst befragen: "Wärst Du lieber ein heißer Urlaubsflirt von Elke Heidenreich oder ein unwichtiger One-Night-Stand von Helmut Karasek?" Er entscheidet sich für Antwort c): "Lieber hätte ich 20 Nasen."

Bei Roger Willemsen waren Anspruch und Blödelei nie Gegensätze, sie ergaben eine wunderbare Symbiose. Und so möchte man ihm stundenlang zuhören - wenn man denn nur könnte.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWilli Winkler über Roger Willemsen
:Er konnte alles besser als alle

Eigentlich wollte er nie zum Fernsehen, sondern schreiben. Zum Glück tat er beides. Zum Tod von Roger Willemsen.

Von Willi Winkler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: