Als er noch ein Kind war, sagte Otto Piene am Mittwoch, habe er oft stundenlang in den Himmel geschaut, zu den Sternen, dem Licht. Immer sei da was los gewesen, erzählte er im Vorfeld der Ausstellung, die seine letzte sein wird - am Donnerstag ist Otto Piene gestorben.
Später, als jugendlicher Flakhelfer, habe er für Hitlerdeutschland in den Himmel gucken müssen, fuhr er fort. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete Piene, sobald er ein Kunst- und Philosophiestudium in der Tasche hatte, eine Künstlergruppe, die die Nachkriegskunst von altem Ballast befreien und den Menschen das Licht und die Hoffnung zurück bringen sollte: "Zero", die "Stunde Null" (1958).
"Wir hatten überlebt, das hatten wir nicht erwartet", sagte der 86-jährige in Berlin mit leiser Stimme und mildem Blick. Aus dieser überschäumenden Lebensenergie hätten die Künstler damals die Kraft und die Gewissheit geschöpft, etwas aus ihrem Leben machen zu wollen, das dem Guten diene. Nicht länger dem Krieg, dem Verderben, der Düsternis.
Er ließ das Licht für sich malen
Otto Piene hat diesem Wunsch die Krone aufgesetzt. Nicht nur, dass er mit seiner Düsseldorfer Künstlergruppe international Einfluss auf die Kunsterneuerung genommen hat, sie aus dem Bild befreit und in die Natur getragen und umgekehrt die Naturgewalten mithilfe der Wissenschaft zum Bestandteil der Kunst gemacht hat. Piene hat sich der Lichtkunst verschrieben.
Schon in den 50er Jahren löste er sich von der klassischen Bildkunst und experimentierte seit den 60er Jahren mit Licht, Feuer und Rauch, malte Bilder mit diesen Elementen, beziehungsweise ließ die Elemente für sich arbeiten - und baute Kunstobjekte, die mit dem Licht spielten. Anti-museal, möglichst demokratisch, im offenen Raum, für alle. Der mehrfach dekorierte Documenta-Künstler soll im Oktober deshalb auch im Guggenheim-Museum in New York ausgestellt werden.
"Wir wissen immer noch so wenig über das Licht", erzählte er am Mittwoch in einem Interview, doch er habe nach den Jahren in düsteren Luftschutzkellern und geprägt durch eine Zeit, in der es verboten gewesen sei, Licht zu machen, dieses mit aller Kraft zurück in die Welt bringen wollen.
Wie er das gemacht hat, daran erinnern seit Mittwochabend in Berlin zwei Ausstellungen, für die sich die Neue Nationalgalerie und die Deutsche Bank Kunsthalle zusammengetan haben, um den großen Zero-Künstler zu ehren. Er lebte seit den 70er Jahren in den USA und pendelte zuletzt mit seiner Frau, der Künstlerin Elizabeth Goldring, zwischen ihrer "Art-Farm" in den USA und Düsseldorf. Zur Ausstellungseröffnung war er nach Berlin gereist und sagte: "Es schließt sich ein Kreis." In Berlin hatte er einst eine seiner ersten Einzelausstellungen gehabt.
Er schien jetzt selbst voller Licht zu sein
Noch nie sei sein Werk so umfassend und so klar gezeigt worden, freute sich Piene sichtlich, stolz und gerührt zugleich, und ließ sich im Rollstuhl durch die Ausstellung in der Kunsthalle führen, um noch einmal zu erklären, was damals so wichtig war. Und an das heute manchmal erinnert werden müsse: Optimismus.
Gerade in Berlin, wo jetzt der Skeptizismus herrsche, habe sich seit damals so viel verändert: "Manches ist gut geworden." Diesen Spirit aus den 60er und 70er Jahren, als die Welt erneuert werden sollte, wollte er nun wieder nach Berlin tragen. "Als etwas Flüchtiges, das bleibt", formulierte er weise. Mit einem Sky-Art-Event an diesem Samstagabend, der seine Ausstellungen krönen sollte. Am Himmel über Berlin, vom Dach der Neuen Nationalgalerie, sollten drei Helium-gefüllte Sternenskulpturen aufsteigen. Die größte von ihnen, "Berlin Superstar" (die er in den 80ern für die Ausstellung "Die Zukunft der Metropolen: Paris - London - Berlin" entwarf), sei 90 Meter hoch und 20 Meter breit, verkündeten die Veranstalter. Die Sterne würden weiß angestrahlt und weithin sichtbar sein.
Doch die traurige Nachricht lautet: Otto Piene ist tot. Am Donnerstagnachmittag, nach der Eröffnung seiner beiden Ausstellungen, ist der Künstler überraschend gerstorben - an einem Herzinfarkt, offenbar während einer Taxifahrt. Zuvor hatte er noch ein letzte Teambesprechung geleitet, auf dem Museumsdach nach dem rechten gesehen und war in seinen Ausstellungen als Visionär und Erneuerer der Kunst gefeiert worden.
"Er war so glücklich und zufrieden", sagen die, die ihn in den letzten Tagen begleitet haben. Und so wirkte er auch zur Eröffnung: Glücklich, stolz, angekommen, voller Optimismus - und voller Licht. Die Augen strahlten, im Körper eines alten Mannes schien ein junger Geist zu wohnen. "Dieses Licht, das er da einfangen will, verbreitet er auch selber", wunderten sich zwei Besucherinnen am Mittwoch über die Strahlkraft des 86-jährigen Künstlers.
In diesem Geist haben auch die Veranstalter Piene nach Berlin geholt: Er sei "einer der großen Kunsterneuerer des 20. Jahrhunderts", sagte der Kurator der Neuen Nationalgalerie, Joachim Jäger, zur Eröffnung. Seine Kunst erinnere an die Visionen, Hoffnungen und Taten einer Generation, für die Piene stellvertretend sei.
Happy Dias in der Nacht
Love, Peace and Happiness - in diesem "Spirit", wie Piene sagte, ist auch die Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie zu sehen, die nur nachts geöffnet ist, und gemütlich auf Sitzsäcken betrachtet wird. Der Titel "The Proliferation of the Sun" (Die Sonne kommt näher) bezieht sich auf die "Non Proliferation-Treaties" zur Kernwaffenbegrenzung aus der Atomwaffenzeit. Piene wollte mit seiner Diashow, die er 1967 mit damals neuester Diatechnik und handbemalten Glasdias zu einer kleinen Theateraufführung verdichtet hatte, der Atomkraft und den politischen Diskussionen darum betont friedliche Bildwelten entgegegensetzen. Die Arbeit gilt als richtungsweisende Multimedia-Performance der 60er Jahre. "Total toll, Revolution, internationale Solidarität!", riefen junge Besucher nach der Performance am Donnerstag durch die Nacht. Da wussten sie noch nicht, dass der Künstler gerade gestorben war.
An diesem Freitagmittag mussten Pienes Witwe und die Veranstalter nun darüber beraten, ob das Sky-Art-Event abgesagt wird. Doch die gute Nachricht lautet: Es findet trotzdem statt, zu Ehren des Künstlers.
Und auch damit schließt sich ein Kreis - und der hat wieder mit Gewalt, wieder mit Optimismus zu tun. Und mit München und einem großen Sportereignis, das die Welt in Aufruhr versetzt hatte.
Wie Piene einst dem Olympia-Attentat in München entgegentrat
Es muss traumatisch gewesen sein, auch für Otto Piene. Als der Künstler am 11. September 1972 sein Kunstwerk über den See im Münchner Olympiastadion spannte, wo sechs Tage zuvor elf israelische Sportler, fünf palästinensische Terroristen und ein deutscher Polizist dem Olympia-Attentat zum Opfer gefallen waren, war er gerade auf einem Höhepunkt seiner Karriere.
Der Zweite Weltkrieg war seit einem Vierteljahrhundert vorbei, Piene hatte nach dem Begründen von "Zero" und nach der Erfindung seiner Licht- und Feuerkunst gerade eine Professur für Umweltkunst erhalten - am renommierten Massachussets Institute of Technology (MIT), wo er sein geliebtes Licht weiter erforschen konnte.
Und dann das. Schon wieder Gewalt, schon wieder Blut, schon wieder Angst und Schrecken, und das in seiner alten Heimat. Mit seiner Hinwendung zur Kunst, zum Licht, zum Positiven, hatte Piene ja eigentlich den Schrecken seiner Kindheit und Jugend entkommen wollen. Und doch muss es nicht nur Trauma, sondern auch Triumph gewesen sein: Der Künstler spannte einen Regenbogen aus Licht über den Olympiasee.
Das war natürlich schon vor dem Attentat geplant (die Technik war für damalige Verhältnisse sehr aufwändig und ganz neu und benötigte eine lange Vorbereitungszeit), aber jetzt, nach diesem Schrecken, war die sowohl künstlerische als auch politische Strahlkraft umso größer. Piene konnte mit seinem Regenbogen aus Licht der Gewalt seine ganze positive Energie entgegensetzen - und ein Zeichen der Hoffnung in den Himmel malen.
Himmelskünstler mit Überraschungseffekt
Und nun ist es also wieder dramatisch geworden um Otto Piene und seine Himmelskunst. Um es allerdings mit dem ganz großen Optimismus zu sehen, den Piene sein Leben lang vertrat, muss man an ein Zitat von ihm erinnern, das da lautet: "Ich muss gestehen, dass ich in meiner Arbeit immer dann am glücklichsten war, wenn sie eine überraschende Wendung nahm."
Die Sterne werden wieder fliegen am morgigen Samstagabend. Ganz in seinem Sinne.
Die Ausstellung "Otto Piene. More Sky" - ist tagsüber in der Deutsche Bank Kunsthalle zu sehen (Unter den Linden 13, täglich von 10 bis 20 Uhr, Eintritt 4 Euro), nachts von 22 bis 3 Uhr in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50 (täglich außer montags). Das Sky-Art-Event startet am Samstag, 19. Juli, auf dem Dach der Neuen Nationalgalerie um 17 Uhr und endet um 3 Uhr, Prime-Time (alle Sterne am Himmel) ist von 21 bis 23 Uhr. Weitere Infos unter www.ottopieneinberlin.de