Zum Tod von Larry Sultan:Der amerikanische Albtraum

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Hohl gewordene Bürgerlichkeit und faltenfreies Personal hinter den Kulissen der Pornoindustrie: die verstörenden Bilder des Larry Sultan.

Holger Liebs

Der amerikanische Albtraum ist hinter blinden Fenstern der Mittelschichtwohnkisten im San Fernando Valley verborgen: Sind dort auch die Straßen öd und leer, es herrscht hinter den Fassaden der unerbittliche Takt der Pornoindustrie, des kapitalistischen Lustzentrums der Westküste. Die Kulissen einer hohl gewordenen Bürgerlichkeit werden bevölkert vom muskulösen, faltenfreien Personal des "cumshot"- und "threesome"-Gewerbes.

Larry Sultan: "Sharon Wild" aus der Serie "The Valley", 2001. (Foto: Foto: Larry Sultan / Courtesy Galerie Thomas Zander, Köln)

Der Fotograf Larry Sultan hat mit seiner Serie "The Valley" (2001) Furore gemacht, weil er in ihr weder Suburb-Bewohner noch den Porno-Cast denunziert, der sich hier einnistet, sondern die sorgsam inszenierten Bilder der Gegend, in der er aufwuchs, pittoresk, beinahe romantisch auflädt - was die Melancholie der Aufnahmen noch steigert. "Am Ende schauen diese Menschen nicht zusammen fern. Sie gehen auch nicht zu Bett. Sie packen ihre High Heels, Reizwäsche und verschwitzten Shirts und fahren erschöpft durchs Valley, zu ihren Apartments", so Sultan.

Auch für seine jüngste Serie "Homeland" (2009) wählte der 1946 geborene Fotograf den Irrealis, den Traum als Darstellungsmodus: Da sitzt ein Immigrant, einer der naiv Hoffenden im Land der Supermärkte, vor einem unwirklich blühenden Kirschbaum, oder einer rudert einen Fluss entlang, der so auch durch Norddeutschland mäandern könnte: Trügerische Idyllen sind das, Ideenbilder einer verlorenen, schmerzlich vermissten Harmonie.

Im weißen Schaum

Sultan hat sich seit dem Beginn seiner Laufbahn mit der Frage beschäftigt, was das fotografische Bild kennzeichnet: Lüge oder Wahrheit, Dokumentation oder Inszenierung der Realität. "Fotografie konstruiert die Idee von uns als einer großen Familie", sagte er, "nicht als Memento, als Souvenir, sondern als Mythologie". 1977 publizierten Sultan und Kollege Mike Mandel zusammen den Fotoband "Evidence", einen Meilenstein in der Geschichte der Fotografie. Aus Tausenden anonymen Aufnahmen aus Polizeibehörden, dem amerikanischen Innenministerium und ungezählten anderen Institutionen filterten sie 50 teils absurde, teils wunderschöne Fotos heraus und veröffentlichten sie ohne Quellenangaben - man sieht Menschen die erstaunlichsten Dinge tun; sie liegen im Taucheranzug auf einem Teppich, werkeln an einer monströsen Blase oder waten durch ein riesiges Feld weißen Schaumes.

Wie von Aliens zu Forschungszwecken beobachtet, wirkt "Evidence", grotesk gerade wegen des Fehlens von Erklärungen - Ready-mades sind diese Fotos, appropriierte Bilder, die ein ganzes Kunstgenre vorwegnahmen. Verstörung blieb der Grundmodus von Sultans Fotografien, auch in den Aufnahmen seiner Eltern, etwa als er seinen Vater traurig-teilnahmslos auf einem Bett sitzen hieß. Dieser sagte später zu seinem Sohn, "das bin nicht ich, das bist du. Das ist ein Selbstporträt." Am Sonntag ist Larry Sultan in Greenbrae in Kalifornien an Krebs gestorben. Er wurde 63 Jahre alt.

© SZ vom 15.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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