Zum Tod von F. W. Bernstein:Einer, der antrat, die deutsche Gesellschaft satirisch aufzulockern

Fritz Weigle alias F W Bernstein posiert am Dienstag 12 03 13 vor seinem Goethe in der Ausstel

Fritz Weigle alias F. W. Bernstein im Jahr 2013 vor einer Goethe-Karikatur im Frankfurter Caricatura-Museum. Nun ist der Zeichner und Lyriker im Alter von 80 Jahren gestorben.

(Foto: imago/epd)

Er dichtete das Motto der Neuen Frankfurter Schule und war Mitbegründer der Zeitschrift "Pardon": Der Lyriker und Zeichner F. W. Bernstein ist im Alter von 80 Jahren gestorben.

Von Gustav Seibt

In nachklassischen Zeiten ist es fast unmöglich, mit einem Vers in den Volksmund zu gelangen. F. W. Bernstein, dem Dichter und Zeichner, der jetzt im Alter von 80 Jahren verstarb, ist dies gelungen. "Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche": Unbestreitbare Weisheit fand hier im Gestalt einer kleinen Überraschung - wer würde Elche kritisieren? - zu einer gültigen, mühelos zu memorierenden Form.

Lustig und wahr: Damit wurde der Doppelzeiler zum Motto der Neuen Frankfurter Schule, die sich Anfang der Sechzigerjahre in der Stadt von Adorno um die Satirezeitschrift pardon sammelte. Wer an fünfzig Jahre 1968 erinnert, der darf nicht von dem Parallelunternehmen dieser Künstlergruppe schweigen. Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid, Chlodwig Poth, Hans Traxler, F. J. Waechter und eben F.W. Bernstein fanden sich reimend, zeichnend, erzählend zum Großunternehmen satirischer Lockerung der deutschen Gesellschaft zusammen.

Bernstein, der eigentlich Fritz Weigle hieß, und Gernhardt waren die beiden Zeichnerpoeten des Kreises. "Die Wahrheit über Arnold Hau" (Bernstein mit Gernhardt und Waechter) von 1966 und "Besternte Ernte" (Gernhardt und Bernstein, 1976) wurden Klassiker für eine neue bundesrepublikanische Lesergeneration, der keine Literaturkritik die Wege wies, denn die war gerade mit der Gruppe 47 nach Princeton verreist.

Der aus Göppingen stammende Schwabe Bernstein war der Einzige der Gruppe, der es, wie er gern vermerkte, zu etwas Ordentlichem gebracht hatte, als Kunsterzieher und Hochschullehrer nämlich (von 1984 bis 1999 war er Professor für Karikatur und Bildgeschichte in Berlin), zugleich war er der Stillste und Uneitelste, manche sagen auch: der Sperrigste. Ein unglaublich angenehmer Zeitgenosse, dessen Genialität daher auch, wie Eckhard Henscheid soeben bemerkte, kaum gebührend anerkannt wurde.

Ein Meisterwerk, mit dem sich Bernstein zusammen mit Gernhardt und Waechter in der deutschen Kulturgeschichte verewigt hat, war die Doppelseite "Welt im Spiegel" in der pardon. Rubriziert als "Unabhängige Zeitung für eine saubere Welt" trug sie unter einem Globus das wuchtige Motto "Pro Bono Contra Malum" (für das Gute gegen das Böse), in Anspielung auf den Berliner Tagesspiegel, der ebenso lateinisch Ursachenerkenntnis zusagt: "Rerum cognoscere causas" (hier ist alles erfunden und alles wahr). Schon die Überschriften (wir zitieren aus dem Jahrgang 1968) zeigen die Richtung: "Ein Sex-Buch, das uns mißfällt". "Warum wir dieses scheußliche Bild veröffentlichen".

"Der schiefe Turm von St. Blasen" wird gezeigt, ein phallisches Gebilde mit der Unterschrift: "Kunsthistoriker lehnen ihn ab. Voreilig?" Bilder, Rubriken ("Gut gesagt!"), Comics simulieren eine Zeitung, ein verträumtes Paralleluniversum von Presse, zum Zweck des Spiels mit ihren Hohlformen.

Zu Gernhardt gibt es inzwischen eine ausgebreitete Sekundärliteratur, auf die der zurückhaltende Bernstein noch warten muss. Dabei ist seine Lyrik nicht weniger ergiebig. Wer würde schon eine mit Heine verformte Nibelungenstrophe vermuten, wenn es um den Abgesang auf den R4 geht: "Uns wird in alten Mären/ wunder was erzählt/ von Automobilen, von schweren,/ die wären sehr zu verehren;/ Herr Gott - wie's gefällt." Was dann folgt, ist nicht weniger als eine Kulturgeschichte der alten Bundesrepublik in vierzig Strophen, ein Epos: "Doch ach! Nichts ist von Dauer!/ Vorüber! Vorbei! C'est la vie!/ Die Zeiten, sie werden rauher,/ doch die Mitscherlichkeit zur Trauer,/ die haben wir irgendwie!"

Ach ja, die haben wir! "Hab keine Romane geschrieben;/ keine einzige Sinfonie", sagt Bernstein im Gedicht "Bilanz". "Mein Umsturz ist Stückwerk geblieben;/ wie meine Tanztheorie./ Nicht eine Kathedrale!/ Kein Dachgeschoß ausgebaut!/ Und wenn ich mal male,/ wird's Mist." Was ja nicht stimmte. Ganz still das Ende: "Nur dieses kleine Gedicht./ Reicht das nicht?" Mindestens.

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