"Zukunft der Stadt": öffentlicher Raum:"Wir brauchen eine Vielfalt an öffentlich zugänglichen Räumen"

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SZ-Serie "Zukunft der Stadt", Folge 4: Wie soll öffentlicher Raum künftig aussehen? (Foto: dpa; Collage Jessy Asmus)

Die Architektin Anna Rose kritisiert die schleichende Privatisierung des öffentlichen Raumes - und wünscht sich Outdoor-Fitnessstudios. Aus der SZ-Serie "Zukunft der Stadt".

Von Laura Weißmüller

Die Welt wird urban. Immer mehr Menschen wollen in der Stadt leben, weil Metropolen gute Jobs bieten, aber auch Universitäten und ein abwechslungsreiches Kulturprogramm. Dazu noch ein eng getaktetes Nahverkehrssystem, die besten Krankenhäuser und eine gute Internetverbindung. Nicht zu vergessen Flugzeug und Bahn, wenn man mal schnell weg will. Aber wie müssen sich Metropolen verändern, um einer urbanen Gesellschaft gerecht zu werden? Damit beschäftigt sich die SZ-Serie "Zukunft der Stadt". In dieser Folge lesen Sie über öffentlichen Raum. Alle Texte lesen Sie hier.

Die deutsche Architektin Anna Rose ist Direktorin von Space Syntax, einem Londoner Beratungsunternehmen, das sich multidisziplinär mit der Analyse und Planung von Stadträumen und komplexen öffentlichen Gebäuden auseinandersetzt.

Anna Roses Firma Space Syntax versucht, den Menschen und seine Erfahrung in den Mittelpunkt ihrer Projekte zu stellen. (Foto: Space Syntax Limited)

Wo sehen Sie die größten Probleme?

Die schleichende Privatisierung des öffentlichen Raums. Dadurch gibt es Bereiche, in denen Verhaltensregeln aufgestellt werden, die bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Aktivitäten ausschließen, wie zum Beispiel öffentliches Protestieren oder Musikmachen. Die Chance der Stadt als Ort des öffentlichen sozialen Austausches wird damit ausgehebelt. Außerdem wird der öffentliche Raum oft vernachlässigt oder aufgegeben, mit demselben Argument, mit dem man auch den sozialen Wohnungsbau eingestellt hat: weil die öffentlichen Kassen leer sind und man glaubt, dass man alles dem freien Markt überlassen sollte. Doch das funktioniert nicht.

Was sind die Ursachen für diese Probleme?

Weltweit wurde die Stadtplanung im 20. Jahrhundert sehr von den Bedürfnissen des Autoverkehrs dominiert. Darunter leiden bis heute viele Städte, weil ihrer Infrastruktur der menschliche Maßstab fehlt. Das sieht man auch daran, wie beliebt historisch gewachsene Städte sind, wo für Fußgänger und Radfahrer die Aufenthaltsqualität hoch ist. Auch wenn die autogerechte Stadt im Westen ein Auslaufmodell ist, besteht aktuell die Gefahr, dass viele Städte in den schnell wachsenden Regionen der Welt wie China das Modell aus dem Westen importieren und weiterhin nach diesem Modell entwickelt werden.

Schrebergärten, Sportanlagen, Spielflächen - all das kombiniert der Park am Gleisdreieck in Berlin. (Foto: picture alliance / Markus C. Hur)

Was wäre die Lösung?

Wir brauchen eine Vielfalt an öffentlich zugänglichen Räumen, also nicht nur Park mit Spielplatz, sondern Räume für alle Generationen. Zum Sportmachen, wo sich Gruppen treffen können, wo man gemeinsam kochen oder gärtnern kann. Oder auch Angebote wie Outdoor-Fitnessstudios für ältere Menschen. Wir haben eine alternde Gesellschaft, da ist es wichtig, dass die Leute sich fit halten. So kann der öffentliche Raum im Grunde bei einer Menge von gesellschaftlichen Herausforderungen helfen. Um einen solchen vielfältigen öffentlichen Raum zu entwickeln, reicht nicht der eine Architekt, der das plant. Es müssen alle zusammenarbeiten. Und zwar von Anfang an. Das ist die große Herausforderung. Die Planungsberufe arbeiten immer noch sehr stark isoliert voneinander, außerdem wird nach wie vor viel von den Verkehrsplanern vorgegeben. Erst dann kommen die Architekten dazu, die sich meistens zunächst vor allem auf das Gebäude konzentrieren und erst am Schluss ans Landschaftskonzept und den öffentlichen Raum machen. Dabei müsste von Anfang an alles viel integrierter diskutiert werden.

Wo gibt es das schon als bestes Beispiel für die Zukunft?

In Barcelona gibt es das Projekt der "Superblocks". Dort haben sie den Autoverkehr stark limitiert und dafür Räume für Menschen geschaffen, also Cafés, Spielplätze, Sportanlagen, Kunst. Der Ansatz war: Die Stadt ist so dicht, wir müssen die Lebensqualität der Menschen erhöhen und dafür Raum von den Autos zurückerobern. Die dürfen da zwar durchfahren, aber nur auf einer Spur und sehr langsam. In diesen Straßen ist ein ganz anderes Leben entstanden. Die Leute treffen sich, kommen raus. Menschen im Rollstuhl, die sich sonst kaum bewegen könnten, haben auf einmal diese Flächen vor der Tür, wo sie sich gefahrlos bewegen und andere Leute treffen können.

Ein gutes Beispiel ist außerdem der Park am Gleisdreieck in Berlin. Was ihn auszeichnet, ist eine Vielfalt an verschiedenen Arten der Nutzung. Es gibt große offene Flächen, Schrebergärten, unterschiedliche Sportanlagen, Spielflächen. Es gibt Gastronomie, die nötige Infrastruktur und einen Fahrradweg, der durch das Gelände führt. Es gibt damit von jedem etwas und das für die gesamte Bevölkerungsgruppe. Man sieht geradezu, wie die Leute sich den Park aneignen - egal ob für eine Kindergeburtstagsparty oder ein Sportevent.

Ihre verrückteste Idee, die wenig kostet?

Ich würde in der ganzen Stadt komplett Tempo 30 vorschreiben. In deutschen Städten gilt generell Tempo 50, nur in bestimmten Straßen herrscht das Tempo-30-Gebot. Ein solches Tempo erhöht aber die Luftqualität und die Sicherheit für Fahrradfahrer und Fußgänger enorm - Forschungen zeigen, dass ab Tempo 30 die Unfälle erheblich gefährlicher sind als die mit geringerer Geschwindigkeit. Außerdem senkt ein solches Tempolimit den Lärmpegel. Ein solches Limit würde also einen Riesenunterschied machen, man müsste nichts bauen und es würde fast nichts kosten.

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